EUGEN ONEGIN

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Kammeroper
2. Oktober 2014

Premiere
Kammermusikfassung von Jonathan Lyness

Musikalische Leitung: Peter Valentovic

Inszenierung: Ted Huffman
Ausstattung: Samal Blak
Licht: Norbert Chmel

Wiener KammerOrchester

Tatjana - Victorija Bakan
Olga - Natalia Kawalek-Plewniak
Eugen Onegin - Tobias Greenhalgh
Lenski - Vladimir Dmitruk
Fürst Gremin - Christoph Seidl


Russisches Biedermeier

(Dominik Troger)

Die Saison an der Kammeroper begann mit einem auf die kleinen Proportionen des Hauses zurechtgestutzten „Eugen Onegin" – mehr ein Experiment als ein zwingendes Opernerlebnis.

Die Kammeroper wird seit zwei Jahren vom Theater an der Wien bespielt und dient dem Haus als „Studiobühne" für das „Jungen Ensemble des Theaters an der Wien" (abgekürzt „JET"). Die jungen Sängerinnen und Sänger mussten sich schon in der ersten Saisonpremiere mit einem Kernstück des Opernrepertoires auseinandersetzen. Gespielt wurde eine Fassung für Kammermusik von Jonathan Lyness: Reduziert auf fünf Mitwirkende und ohne Chor wurden Tschaikowskys „Lyrische Szenen" auf knapp zwei pausenlose Stunden gekürzt. Das Orchester wurde auf 12 Musiker verkleinert.

Die Inszenierung von Ted Huffman in der Ausstattung von Samal Blak hat nicht dazu beigetragen, dass der „JET“ so richtig abheben konnte. Vielleicht wollte der Regisseur auf die Uraufführungssituation des Jahres 1879 verweisen, als Studenten des Moskauer Konservatoriums das Werk aus der Taufe gehoben haben. Der Komponist hat bei der Konzeption an eine kleine Bühne gedacht – seinen Siegeszug hat „Eugen Onegin“ aber auf den großen Opernbühnen erlebt – eine Tatsache, die zu denken geben könnte.

Die Sänger in historische Kostüme zu packen und mit einer leicht formalisierten Gebärdensprache auszustatten, schuf an diesem Abend wenig Anreiz – vor allem die männlichen Darsteller steckten in diesem Biedermeieroutfit ein bisschen wie in einer Zwangsjacke. Die Chance von der Natürlichkeit dieser jungen Darsteller zu profitieren und die Emotionen der einzelnen Figuren mit Elan und Tiefenschärfe herauszuarbeiten, wurde vertan. Dieser „Eugen Onegin“ geriet zu einer genrehaften Szenenfolge mit dem Charme eines angeklebten Backenbartes – wie ihn Lenski, Onegin und Gremin denn auch üppig zur Schau stellen mussten (wobei die schon echt gewesen sein können – das konnte ich nicht überprüfen).

Etwas belebter und von der Garderobe bevorzugt wirkten die Damen, die Briefszene mit dem vorhangverhüllten Fenster, vielleicht von Mondlicht erhellt, vermochte sogar ein wenig Stimmung auf die Bühne der Kammeroper zu zaubern. Dass Tatjana das Bett auf dem Wohnzimmertisch bereitet wurde, der zuvor noch mit Blumenvase geschmückt das möbilare Zentrum der Tatjana-Onegischen-Annäherung gebildet hatte, übertrieb die Simplifizierung. Problematisch geriet die Festszene durch die Abwesenheit der Gäste als „ehrbegriffliche Instanz“. Unter fünf Menschen – wie auf der Bühne der Kammeroper zugegen – hätte sich die Sache doch noch Regeln lassen sollen, aber natürlich nicht vor Dutzenden Zeugen. Die Intimität der Gefühle bedarf in diesem Fall der gesellschaftlichen Reflektionsebene, auch wenn die lyrische Intimität in der reduzierten Orchesterfassung und in der personalen Entschlackung manch gefühlsbetonten Moment evozierte.

Huffman scheint geahnt zu haben, dass der historische Rahmen nicht genügen würde: Ein stummer Schauspieler (Thomas Engel) fungierte als zweite „Spielebene“ und Betroffenheitsmimiker, verrichtete Bühnearbeiten wie das Dekorieren des Tisches oder das Öffnen von Türen und stellte möglicherweise den gealterten Onegin dar, der sich wehmutsvoll an seine verflossene Liebe erinnert. In der Katastrophe des Festes oblag es ihm zum Beispiel, Sessel behutsam umzulegen, um das Chaos der Gefühle anzudeuten, zum „Kuda, kuda“ kletterte er auf eine Leiter und ließ es ein wenig schneien. Die Duellszene war einerseits der einzige Punkt, an dem die beiden Ebenen – der Schauspieler und die „Handlung“ – konsequent miteinander verwoben wurden: Der Schauspieler war Onegins Sekundant – und er (!) schoss mit einer Pistole in die Luft wie zu einem 100-Meter-Lauf. Andererseits wurde der Naturalismus, zu dem sich phasenweise die Regie verstieg, durch das akribische Laden der beiden altertümlichen Duellpistolen auf die Spitze getrieben. Der Schauspieler, angetan mit legerem Hemd, gehörte der Mode nach unserer heutigen Epoche an.

Die Klaustrophobie der eingesperrten Emotionen wurde durch die verengte Bühne verdeutlicht: Eine „Möbelhauswand“ aus großen rechteckigen Elementen schloss die Spielfläche nach hinten ab. Praktischerweise ließen sich dort in Fächern auch Requisiten verstauen, zwei Türen und ein Fenster unterbringen – wobei diese Durchgänge optisch geschickt verblendet für das Publikum nicht erkennbar waren – wie Geheimdurchgänge, die sich plötzlich öffnen. Diese Wand war ein zusätzlicher „Stimmungskiller“, weil sie in ihrer sterilen großflächig-geometrischen Optik nicht zu den historischen Kostümen passte.

Im JET gab es mit der neuen Saison viele Neuzugänge nur Natalia Kawalek-Plewniak als Olga hat schon bei einer Produktion in der Kammeroper mitgewirkt. Ihre Olga brachte viel Frische auf die Bühne und ein belebendes Element, das sie auch gut mit ihrem Mezzo zu unterstreichen wusste. Tatjana wurde von Victorija Bakan verkörpert. Das Timbre ihres Soprans ließ eine leicht metallische Folierung erkennen, die sich in den leidenschaftlicheren Momenten der Stimme zu deutlich in den Vordergrund drängte, worunter der an sich angenehme Klang zu leiden begann. Die Briefszene wurde von der Sängerin mit gutem Ausdruck und passender Sensibilität gestaltet.

Schwer fällt mir die Einschätzung von Tobias Greenhalgh als Onegin, weil der Sänger in dieser Biedermeier-Aufmachung wie eingezwängt wirkte und sein etwas rauer Bariton im Ausdruck auch nicht gerade zur großen, weltmännisch-überheblichen Geste fand. Das trieb mehr so dahin, bemüht, aber – auch ein Versäumnis der Regie – ohne zu vermitteln, dass sich der Sänger in der Rolle wirklich „gefunden“ hätte.

Beim Lenski von Vladimir Dmitruk hingegen war viel Selbstsicherheit spürbar – und sein typisch slawischer Tenor sprengte schon die Grenzen des kleinen Saals. Dmitruks Stimme hat an Kraft und Metall keinen Mangel, der Feinschliff geht ihr noch ab. Vor allem ihm war es zu verdanken, dass die Dramatik der Festszene überhaupt spürbar wurde.

Christoph Seidl als Gremin musste zwischendurch als „Festgesellschaft“ und Sekundant aushelfen. Dass sich sein ebenfalls gut ausgestatteter Bass noch nicht in die „samtige Noblesse“ dieser Figur hineinfand, wird auch wenig verwundern, aber die Stattlichkeit in der Bühnenerscheinung hat gepasst.

Natürlich war der Höreindruck ob der kleinen Besetzung ungewohnt, aber das Wiener KammerOrchester – diesmal unter der Stabführung von Peter Valentovic – blieb an diesem Abend in der exakten Umsetzung und im Pflegen einer kammermusikalischen Raffinesse zu deutlich hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Der Premierenjubel brach leicht ein, als der Regisseur auf die Bühne kam, ansonsten wird der starke Zuspruch alle Beteiligten sicher gefreut haben.

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