TAMERLANO
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Theater an der Wien
25. September 2014
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Maxim Emelyanichev

Orchester: Il pomo d'oro

Tamerlano - Xavier Sabata
Andronicus - Max Emanuel Cencic
Bajazet - Nigel Robson

Asteria - Sophie Karthäuser
Irene - Ruxandra Donose
Leone - Pavel Kudinov


„Rettung in der letzten Stunde“
(Dominik Troger)

Georg Friedrich Händels „Tamerlano“ wurde vor 290 Jahren in London uraufgeführt. Die konzertante Aufführung des Werkes im Theater an der Wien stand unter keinem günstigen Stern: Sogar eine Absage wegen der Erkrankung des Tenors John Mark Ainsley, der den türkischen Sultan Bajazet hätte verkörpern sollen, war von der Direktion angedacht worden.

Intendant Roland Geyer kam vor der Vorstellung auf die Bühne und erläuterte dem Publikum, wie schwierig es gewesen sei, für die Partie des Bajazet so kurzfristig einen Einspringer zu finden. Zu guter Letzt wurde der Retter in der Not wenige Stunden vor der Vorstellung aus London eingeflogen. Es handelte sich um Nigel Robson, dessen „Tamerlano“-Vergangenheit schon einige Jahrzehnte zurückliegt: 1985 hat er in einer Gesamtaufnahme der Oper unter John Eliot Gardiner den Bajazet verkörpert.

Robson besitzt eine typisch helle, etwas nüchtern timbrierte „englische“ Tenorstimme, die viel barockes Stilgefühl auszeichnet. Allerdings – der Verweis auf das Erscheinungsjahr der Gesamtaufnahme legt es nahe – die Karriere des Sängers hält schon einige Jahrzehnte an und seine Stimme konnte das nicht verleugnen. Ob dieser Tatsache schwankte das Publikum zwischen der Bewunderung für dieses „Husarenstück“ eines verdienten Sängers und einer gewissen „Ernüchterung“, denn Robsons Tenor war für die Anforderungen Händels eigentlich nicht mehr elastisch genug und es mangelte in der Ausführung an Exaktheit. Die berühmte Todesszene im dritten Akt (Bajazet stirbt durch Selbstmord an Gift) gelang dem Sänger ausdrucksstark, eifrig sekundiert vom Orchester.

Bei Bajazet handelt es sich um eine der ersten bedeutenden Tenorrollen der Operngeschichte. Händel hat sie für den italienischen Sänger Francesco Borosini komponiert. Borosini war an der Gestaltung dieser Partie nicht unbeteiligt. Er kam mit der Rolle im „Gepäck“ nach London, die er bereits in Italien in der Oper „Il Bajazet“ von Francesco Gasparini verkörpert und durch Einfügen der Todesszene auf sich zugeschnitten hatte. (Gasparinis Oper folgte einem Libretto von Agostino Piovene, das auch Händels Librettisten Nicola Francesco Haym vorlag.) Händel hat nach Ankunft Borosinis in London an der bereits fertig gestellten Oper einige gravierende Änderungen vorgenommen und unter anderem die Todesszene im dritten Akt auf Vorschlag Borosinis eingefügt. Diese Sterbeszene zählt zu den expressivsten Momenten in Händels gesamtem Opernschaffen.

Über dem ganzen „Tamerlano“ liegt ein tragisch-melancholischer Zug, auch das versöhnliche Ende der Oper kann nicht darüber hinweg täuschen, dass es mit dem Opfer Bajazets erkauft worden ist. Der in der Tonart e-Moll gehaltene Schlusschor wirkt deshalb auch nicht befreiend auf die Zuhörer, sondern erreicht durch die aufsteigenden Streicher in der Choreinleitung und im sich wiederholenden „D’astra notte gia mirasi a scorno“ einen emotionalen „Schwebezustand“, der den Anbruch des neuen Tages einer tröstenden Läuterung gleichsetzt, die fast schon ein wenig „mozartisch“ anmutet.

Das Werk hat in den letzten Jahren einige Bekanntheit über das Umfeld der Barockopern-Liebhaber hinaus erlangt. Placido Domingo hat den Bajazet in sein Repertoire aufgenommen und unter anderem 2008 in Madrid gesungen. Ob das Theater an der Wien bei Domingo angefragt hätte, wäre er inzwischen nicht als Bariton auf den Opernbühnen unterwegs?

Die Aufführung war gut besucht, einige Besucher verließen allerdings in der Pause das Haus. Bis zur Pause hatte die Geschichte um die Liebesverwirrungen des tartarischen Herrschers Tamerlano, des von ihm bezwungenen Sultans Bajazet, dessen Tochter Asteria und dem griechischen Prinzen Andronico nicht wirklich „Fahrt“ aufgenommen. Die hohe stilistische Raffinesse der beiden Countertenöre Xavier Sabata und Max Emanuel Cencic wurde von den übrigen Mitwirkenden nicht erreicht. Sophie Kartäusers Sopran war mir im Timbre zu wenig weich abgerundet für barocke Leidens- und Liebeslyrik und wie meist lag in ihrem Gesang eine Gespanntheit, die für meinen Geschmack mit den virtuosen Anforderungen barocken Operngesangs nicht harmonisch zusammenging. Ruxandra Donose steuerte die Irene bei – eine Partie, die schon mehr eine „Nebenrolle“ darstellt, und in der die vielseitige Sängerin mit ihrem leicht „rauchig-eleganten“ Mezzo ihre Vorzüge herauszustreichen wusste. Pavel Kudinov sorgte mit bewährtem Bassbariton für den ergänzenden Leone.

Tamerlano ist zwar die Titelfigur dieser Oper, wurde von Händel aber gar nicht so stark ins das Rampenlicht gerückt. Xavier Sabata widmete sich mit seiner inzwischen sehr schön gereiften Stimme diesem „barbarischen“ Feldherrn. Sabatas Countertenor verbindet ein angenehm weiches Timbre mit einem leichten virilen Kern. Sabatas Porträt des Kriegsfürsten bestach durch die Bandbreite an Ausdruckskraft, nicht ganz ohne Ironie, mit der er ein wenig die Exotik des Sujets zu betonen schien. Einer der Reize des Countertenorgesanges liegt womöglich gerade darin, dass er den ausführenden Künstlern eine leichte ironische Distanz ermöglicht, die den „Showcharakter“ der Barockoper geschickt auszunützen versteht. Max Emanuel Cencic sang mit weit aufgeknöpftem Hemd und dunkelgrünem Sakko, und verführte das Publikum etwa in der langen Arie am Schluss des ersten Aktes „Benché mi sprezzi“ oder beim impulsiven „Piu d’una tigre altero“ zu fasziniertem Zuhören. Wie schon angedeutet, die beiden Sänger setzten künstlerische Maßstäbe, die im Gesamteindruck der Aufführung dann leider doch zu isoliert wirkten.

Am Pult des Il pomo d’oro stand der junge russische Dirigent Maxim Emelyanichev. Emelyanichev ist noch keine 30 Jahre alt – ihm eine bedeutende Karriere vorauszusagen ist nach dieser Vorstellung wahrscheinlich kein Kunststück. Für den ruhigen „Flow-Charakter“ von Händels Musik fehlte ihm aber noch die Abgeklärtheit – wobei auch das Orchester mehr einen puristischen Tonfall pflegte. Emelyanichev dirigierte vom Cembalo aus, exzentrisch und impulsiv, wie unter Strom stehend. So richtig starke Momente gelangen ihm aber erst nach der Pause – zum Beispiel in besagter Todesszene, wo er Händels musikalische „Interjektionen“ zu einschneidendem Leben erweckte. Emelyanichev besitzt möglicherweise ein starkes Gefühl für die klangliche „Plastizität“ von Musik – und das Orchester hätte um eine Nuance leiser spielen können.

Nach fast dreieinhalb Stunden gab es viel Jubel für die Ausführenden und der Schlusschor wurde wiederholt.