THE RAKE'S PROGRESS
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Theater an der Wien Musikalische Leitung: Michael Boder Inszenierung:
Martin Kusej ORF Radio
Symphonieorchester Wien |
Trulove - Manfred Hemm |
„Wenig Neues vom Wüstling” Das Theater an der Wien startet mit dem eher lauwarmen Aufguss einer schon 2008 nicht wirklich heißen Produktion in die Saison 2013/14: Igor Strawinskys „The Rakes Progress”. Die Wiederaufnahme war natürlich der für Oktober terminisierten Uraufführung von „The Harlots Progress” von Iain Bell geschuldet, ob sie in diesem Zusammenhang aber wirklich zwingend war, wird das Publikuk erst nach der Uraufführung wissen. Die Umodelung der schwarzen Komödie aus der Strawinsky-Auden’schen-Feder in ein gesellschaftskritisches „Societymelodram” durch Martin Kušej ging für meinen Geschmack viel zu stark auf Kosten des absurden Zynismus, der hier von Musik und Libretto in eine pseudobarocke Folie gepackt wird. Diese „Folie” wurde szenisch überhaupt eliminiert – und das Geschehen angeblich, so die zum ersten Bild aufflammende Leuchtschrift über der Bühne, im „Wien” des Jahres „2013” verortet. Viel von „2013” und viel von „Wien” war der Aufführung allerdings nicht anzumerken – bis auf die eingespielten Videos, die an die Besetzungsänderungen angepasst worden waren. Aber waren auch die Nachrichten rund um die Hypo Alpe-Adria-Bank neu? Die aufgezeigten Millionenbeträge kamen mir etwas niedrig vor. Jedenfalls flimmerte der Villacher Fasching wieder in der letzten Szene über den Bildschirm – und untermalte Toms Wahnsinn. Den Gedanken, dass sich der Kärntner Kusej mit dieser Produktion ursprünglich an dem „Politmodell” des damaligen Kärnter Landeshauptmanns Jörg Haider hätte „reiben“ wollen, ist naheliegend. Selbiger starb wenige Wochen vor der Premiere im November 2008 seinen spektakulären Unfalltod. Kusej hat in einem Profil-Interview (10. 11. 2008) zur Premiere diesbezüglich Stellung genommen: „Es geht natürlich um den Aufstieg diverser Wüstlinge bestimmter politischer Parteien. Und auch um ihren Absturz – und ihren Tod. Es geht darum, dass sich auffallend viele junge Menschen in den Dunstkreis rechter Parteien begeben.” Aber Kusej hat in diesem Interview auch angemerkt, dass er sich nur „musikalisch für diese Oper begeistern könne”. Und das sieht man dem Ergebnis an. Aber weil ich mich nicht wiederholen möchte, weitere Anmerkungen zur Inszenierung können hier nachgelesen werden: http://www.operinwien.at/werkverz/strawinsky/arakes2.htm Die Besetzung war in einigen Punkten verändert worden, aber Toby Spence steuerte wieder Tom Rakewell bei. Seinem „britisch-keuscher“ Tenor ging die Partie an diesem Abend nicht ganz so locker von der Kehle (vor der Pause ein paar geraute Töne), aber er bot in Spiel und Gesang ein eindrückliches nach den Regievorgaben geformtes Rollenporträt – und er harmonierte recht gut mit Bo Skovhus, ein weiteres Plus an diesem Abend, der neben spielerischer Präsenz Nick Shadow mit durchschlagskräftigem Bariton versah. In der Kartenszene, in der Tom seine Seele vor dem Teufel Shadow rettet, boten die beiden spannendes Musiktheater. Hier hatte der Abend seine besten Momente. Die Szene sollte zwar auf einem Friedhof spielen und auf Mozarts „Don Giovanni“ verweisen, aber das dampfende Loch in dem Neubauwohnzimmer hatte schon seinen Reiz. Nick schaufelte sich quasi in den Keller hinunter, um Tom ein Grab zu bereiten. Die überraschend dicht aufsteigenden Höllendünste evozierten im Publikum allerdings starken Hustenreiz – offenbar ein psychologischer Effekt. Musikalisch ging es hier endlich zur Sache, denn bis dahin hatte das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Michael Boder – so mein Eindruck– dem vordergründig recht mechanistisch designten „Klassikimitat“ von Strawinsky nicht viel abgewinnen können. Wenn man hier zu „sachlich“ bleibt, wird es schnell langatmig. Manfred Hemm war der besorgte Vater (wie schon 2008), Anne Sofie von Otter sang wieder die bartlose Baba (die dafür mit einem hermaphroditischem „Anhängsel“ zwischen den Beinen herumblitzte), schräg und belebend in Gesang und Darstellung. Carole Wilson führte schon wie vor fünf Jahren Tom versiert in die Geheimnisse der Liebeskünste von Mother Goose ein. Bleibt noch Anna Prohaska als „neue“ Anne Truelove – mit zu viel Mühe bei den Spitzentönen in der von Strawinsky virtuos auskomponierten Arie am Schluss des ersten Aktes, die schon ein fast fidelio-leonorenhaftes Flair verströmt. Aber vor allem vermittelte mir Prohaska kaum dieses Versprechen von „Truelove“: ein aufblühendes, kräftiges, aber naiv-jungfräuliches Liebesverlangen (das in dieser Produktion schlussendlich vom Teufel korrumpiert wird). Der Applaus des beifallfreudigen
Publikums im Theater an der Wien fiel nicht so „bravolastig“
aus wie meist. Buhrufe hörte ich von meinem Platz aus keine. Als
das Licht anging, verebbte der Beifall rasch. |