SCHUMANN & SCHUBERT IN WIEN 2000 - 2020

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Robert Schumann und Franz Schubert haben mit ihren Opern beim Publikum wenig Erfolg gehabt. In Wien gab es in den letzten beiden Jahrzehnten einige Versuche, diese Werke neu zu beleben – gelungen ist das nicht. Eine Zusammenschau in acht Kapiteln.


Autor:
Dominik Troger
Bearbeitungsstand:
Juni 2020

Kapitelübersicht

I. Hat Eduard Hanslick Schuld?
II. Schumanns „Genoveva“ - Ein Rückblick
III. Theater an der Wien: „Genoveva“ (2000)
IV. Volksoper: „Genoveva“ (2005)
V. Franz Schubert „Fierrabras“ – Ein Rückblick
VI.Wiener Konzerthaus: „Fierrabras“
(2005)
VII.
Wiener Konzerthaus „Alfonso und Estrella“ (2012)
VIII
Theater an der Wien: „Lazarus“ (2013)


II. Schumanns „Genoveva“ – Ein Rückblick

Das Schicksal der Genoveva von Brabant ist Bestandteil sagenhafter Überlieferung. Sie erzählt die Geschichte einer Frau, die zur Zeit Karl Martells ungerechtfertigter Weise des Ehebruchs angeklagt, mit dem Tode bedroht und schließlich rehabilitiert wird. Der Stoff enthält alles, was in der erste Hälfte des 19. Jahrhunderts „in“ war: deutsches Frühmittelalter, Christentum im Kampf gegen die Heiden, das Mysterium einer schönen, leidenden, untadeligen adeligen Frau. Genoveva wurde zu einer Ikone der Romantik. Ihre Geschichte wurde unter anderem von Ludwig Tieck und Friedrich Hebbel dramatisiert. Schumann hat sich bei diesen beiden umgesehen und nach einem ihm nicht zusagenden Librettoentwurf von Robert Reinick den Text selbst fertiggestellt.

Heute ist Schumanns „Genoveva“, Oper in vier Akten, vor allem eine Rarität. Hin und wieder setzt man sie mutig als konzertante Aufführung an, szenische Produktionen sind selten. Das Werk hat schon bei Schumanns Zeitgenossen zwiespältige Gefühle erweckt. „Völliges Erschrecken über die Gemeinheit und Roheit dieses Werkes“ notierte eine echauffierte Cosima Wagner am 10. April 1875 in ihr berühmtes Tagebuch. Richard Wagner berichtet im zweiten Teil seiner Autobiographie generös, wie er Schumann bei dessen Oper helfen wollte – aber Schumann wollte von den vorgeschlagenen Änderungen nichts wissen. [1]

Schon die BERLINER MUSIKZEITUNG vom 10. Juli 1850 vermeldete zur Uraufführung: „Die Oper mag ein vortreffliches Concertstück sein, aber es fehlt ihr das Lebenselement: die dramatische Wirksamkeit." Eine grundsätzlich positive Besprechung in der WIENER ZEITUNG (6. Juli 1850) drängt auf Kürzungen und vermerkt einen „Mangel an dramatischer Technik“ und – sinngemäß – eine den Gesang überwuchernde Symphonik. Der Bericht in der NEUEN ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK (2. Juli 1850) vermerkt das „gespannteste Interesse“ des Publikums, dem es aber der Begeisterung für das Gebotene ermangelt habe. Und wie hat das Publikum anlässlich der Wiener Erstaufführung am 8. Jänner 1874 reagiert? Die WIENER SONN- UND MONTAGSZEITUNG (11. Jänner 1874) berichtet von einer „höflichen Ablehnung“. DIE PRESSE (10. Jänner 1874) notierte: „Auf einen zündenden durchgreifenden Erfolg wird 'Genovena' stets verzichten müssen; in ihren Adern pulsirt kein Tropfen vom echten dramatischen Blute.“ [2]

Ehrerbietung gegenüber dem Komponisten, Skepsis gegenüber dem Werk, so könnte man die geäußerten Meinungen grob zusammenfassen – und das ist auch die Position, die Hanslick in seinem bereits zitierten Aufsatz „Robert Schumann als Opencomponist“ einnimmt. Hanslick hat die Argumente, die er gegen „Genoveva“ ins Feld führt, nicht „erfunden“, sie waren längst formuliert worden. Für ihn war das Textbuch schwach, ohne psychologische Motivierung der Handlung, und auch für ihn krankte die Musik „an dem einen unheilbaren Uebel, undramatisch zu sein“ („Die moderne Oper“, 1877, S. 258). Er erwähnt die Publikumsreaktionen bei der Wiener Erstaufführung: Das nach seinen Worten für Schumann „enthusiastisch“ eingenommene Publikum habe die erste Vorstellung mit „pietätvoller Andacht und Aufmerksamkeit“ verfolgt, um von der zweiten an „in bedenklicher Weise auszubleiben“ (Ebd. S. 256).

Hanslicks Urteil sei um das Urteil eines weiteren Kritikers vermehrt, der mit seinen Aussagen nicht minder polarisieren konnte: Der englische Dramatiker George Bernard Shaw hat am 13. Dezember 1893 eine konzertante Aufführung der „Genoveva“ in London rezensiert. [2] Shaw merkt die Nähe der Musik Schumanns zu Wagner an – und das meint er durchaus positiv. Er findet, man müsse sich bei dieser Oper an ihre symphonischen, beschreibenden und lyrischen Seiten halten, die aber den Kennern von Schumanns Liedern, Klavierstücken und Symphonien nichts Neues bieten würden. Vom Textbuch und von der dramatischen Ausführung hält er wenig. Als Ganzes sei die Oper ein „Versager“, und er bekundet Verständnis dafür zu haben, dass das Publikum sich nicht weiter mit ihr befasse. [3]

Hat sich seither viel verändert? Aufführungen – szenische Produktionen im Besonderen – blieben und bleiben rare Ereignisse: in Deutschland gab es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur vier Inszenierungen. [4] Die vierte, die Leipziger-Produktion aus dem Jahr 1999, die zu den Wiener Festwochen weiterwanderte, markierte die erste szenische Aufführung in der Donaumetropole seit dem Jahre 1874. In den 2000er-Jahren – auch anlässlich des 200-Jahr-Jubiläums von Schumanns Geburt im Jahr 2010 – kam es weltweit zu einigen szenischen Aufführungen, die vor allem dann Interesse erweckten, wenn sich ein bekannter Dirigent und ein bekannter Regisseur vor den verfahrenen „Genoveva“-Karren spannten wie Nikolaus Harnoncourt und Martin Kusej 2008 in Zürich.

In der Saison 2007/08 wurden am dortigen Opernhaus acht Vorstellungen gespielt. Es existiert eine DVD von dieser (szenisch die Stereotypen zeitgenössischen Theaters beschwörenden) Produktion. Nikolaus Harnoncourt hat das Werk schon 1996 bei der Styriarte aufgeführt und sich in Interviews immer wieder leidenschaftlich dafür ausgesprochen. Schumanns 200. Geburtstag sorgte an kleineren deutschen Bühnen für Neuinszenierungen: in Cottbus und in Zwickau. Die großen Häuser haben sich an die Sache nicht herangewagt. In Leipzig gab es 2010 auch nur eine konzertante Aufführung.

In Wien rankten sich um die Jahrtausendwende drei Produktionen – zwei konzertante und eine szenische: 1996 gab es eine konzertante Aufführung im Wiener Konzerthaus mit Vlatka Orsanic als Genoveva, Peter Schreier als Golo und den Wiener Symphonikern unter Heinz Holliger. Die Oper wurde anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums der Uraufführung in der Saison 1999/2000 im Rahmen einer Koproduktion der Leipziger Oper mit den Wiener Festwochen szenisch im Theater an der Wien aufgeführt. 2005 folgte eine konzertante Produktion der Wiener Volksoper, die an drei Abenden gespielt wurde. Seither war die „Genoveva“ in Wien nicht mehr zu Gast.

[1] Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe. Berlin 2004 (DGB 107)

[2] Eine der wenigen Ausnahmen in der wenig erfreulichen Aufführungsbilanz der „Genoveva“ dürfte laut Bericht der BERLINER MUSIKZEITUNG (14. Mai 1874) eine erfolgreiche Aufführungsserie in Wiesbaden im Jahre 1874 gewesen sein. Es wird allerdings betont, dass Kapellmeister Wilhelm Jahn da und dort mit Veränderungen nachgeholfen habe, um die Oper „bühnengerechter“ und „wirkungsvoller“ zu machen.

[3] Der Text ist in deutscher Übersetzung auf der Webseite des SCHUMANN-PORTAL zu finden, und er ist – mag man mit Shaws Urteil jetzt übereinstimmen oder nicht – jedenfalls amüsant zu lesen.
https://www.schumann-portal.de/george-bernard-shaw-zur-englischen-erstauffuehrung-von-robert-schumanns-oper-genoveva-2655.html [26.5.2010]

[4] Gerd Nauhaus: „Ein Stück Lebensgeschichte ...“ Schumanns „Genoveva“ revidida. In: ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT. Band 55. Heft 5. Wien 2000. (S. 15ff)

-------> III. Theater an der Wien: „Genoveva“ (2000)

2020 - © Dominik Troger