CAVALLERIA RUSTICANA / PAGLIACCI
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Leoncavallo-Portal Mascagni-Portal

Staatsoper
2. 11.2020

Dirigent: Marco Armiliato

Cavalleria rusticana

Santuzza - Eva-Maria Westbrock
Turiddu - Brian Jagde
Lucia - Zoryana Kushpler
Alfio - Ambrogio Maestri
Lola - Isabel Signoret

Pagliacci

Canio (Bajazzo) - Roberto Alagna
Nedda (Colombina) - Aleksandra Kurzak
Tonio (Taddeo) - Ambrogio Maestri
Beppo (Harlekin) - Andrea Giovannini
Silvio - Sergey Kaydalov
Erster Bauer - Jens Musger
Zweiter Bauer - Martin Müller


„Im Schatten von Lockdown und Terror“
(Dominik Troger)

Die letzte Aufführung vor dem neuerlichen Covid-19-bedingten Lockdown an der Wiener Staatsoper galt dem Einakter-Duo „Cavalleria rusticana / Pagliacci“. Der Abend wurde vom Terroranschlag in der Wiener City überschattet.

Die Aufführung stand zuerst ganz im Zeichen des Lockdowns und der seitens der Regierung dem Publikum verordneten kulturellen Abstinenz. Staatsoperndirektor Bogdan Rošcic ging in einer kurzen Ansprache darauf ein. Er bedankte sich beim Publikum für die Treue und versicherte, man werde so weiter arbeiten wie bisher, um zum behördlich genehmigt frühest möglichen Zeitpunkt wieder spielen zu können. Der Schlusssatz aus dem „Bajazzo“ – „La commedia è finita“ – wurde von ihm ebenso zitiert wie Bertold Brecht „Den Vorhang zu und alle Fragen offen“ – womit er passend die „verstrickte“ Coronasituation umschrieben hat. Das Publikum bedankte sich für die Ansprache mit sehr positiv gestimmtem Beifall.

Auch wenn sich Rošcic der „Polemik“ enthalten hat, so war seitens der Staatsoper doch deutlich auf dieses „Kulturverbot“ reagier worden. Vor Vorstellungsbeginn wurde ein Ausschnitt aus der Lockdown-Verordnung auf den kleinen Untertitel-Tablets angezeigt bzw. bei offener Bühne auf einer großen Leinwand projiziert. In diesem Text, der sich mit der Schließung von Freizeiteinrichtungen befasst, tauchen Kultureinrichtungen wie Theater, Konzertsäle, Kinos erst sehr weit unten in der Liste auf – hinter Freizeit- und Vergnügungsparks, Bädern, Tanzschulen, Wettbüros, Automatenbetrieben, Schaubergwerken (!!), Einrichtungen zur Ausübung der Prostitution (!!!). Ob man daraus auf den Stellenwert schließen darf, den „Kultur“ für diese Bundesregierung hat?

Aber in Anbetracht des schrecklichen Geschehens, dass sich während der Aufführung von „Cavalleria rusticana“ einen Kilometer entfernt abgespielt hat, war das dann aber überhaupt nicht mehr wichtig. Schon in der Pause machten Nachrichten von einem Terroranschlag schnell die Runde, doch das ganze Ausmaß war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Die Vorstellung lief weiter wie geplant. Nach einem kurzem Schlussbeifall etwa gegen 22.15h wurde das Publikum informiert, dass es im Haus bleiben soll, die Staatsoper sei zum Schutz mit Sicherheitskräften umstellt, man werde informieren wie es weitergeht.

Das Publikum schwärmte in die Foyers, die Buffetts hatten geöffnet; man bemühte sein Smartphone um die neuesten Nachrichten; auf den Foyerbildschirmen, die Zuspätgekommenen das Verfolgen der Vorstellung ermöglichen, wurde die aktuelle ORF-Berichterstattung eingeblendet. Plötzlich vernahm man Applaus aus dem Zuschauerraum, spontan hatte man ein Streichquartett „arrangiert“, das Haydns „Kaiserquartett“ zum Besten gab. Nach dem zweiten Satz, so mir erinnerlich, wurde verlautbart, dass eine U-Bahn der Linie U4 nach Hütteldorf bereitstünde, und dass das Publikum zum Zwecke deren Benützung auf der Seite des Karajanplatzes das Haus verlassen dürfe. Das war gegen 23.30h. Bis kurz nach Mitternacht leerte sich das Gebäude dann weitgehend. Der Schreiber dieser Zeilen machte sich zu Fuß auf den Weg und erreichte, unter Vermeidung der gesperrten Innenstadt, sicher sein Domizil.

Nun ist die Wiener Staatsoper an diesem Abend wahrscheinlich einer der sichersten Plätze des Ersten Bezirkes gewesen – aber fühlte man selbst nicht auch die Unangemessenheit kultureller Vergnügungen, während sich einen Kilometer weiter Menschen in Lokalen unter Tische oder aufs WC flüchten, um nicht einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen? Diesen Zwiespalt wurde man, nach den ersten, in der Pause gewonnenen Informationen, während des ganzen „Bajazzos“ nicht mehr so richtig los – er sei hier formuliert, weil es letztlich einfach ein Glück ist, dass man sich zu diesem Zeitpunkt gerade hier und nicht dort befunden hat.

Die Aufführung der beiden Einakter selbst hinterließ einen sehr intensiven, musikalisch allerdings etwas „grellen“ Eindruck. Die Protagonisten schienen ganz aus sich herausgehen zu wollen, um zumindest auf diese Weise lautstark ihre Stimme zu erheben. Den Rezensionen, die nach der ersten Vorstellung erschienen sind, ist aus meiner Seite beizupflichten, „Pagliacci“ war diesbezüglich das einprägsamere Stück dieses berühmtesten aller „Opern-Einakter-Duos“. Aber der Reihe nach, Eva-Maria Westbrock (Santuzza) forcierte ihren Sopran hochdramatisch – und übertünchte damit so manche Schramme, die ihre Stimme im Laufe ihrer Karriere schon abgekommen hat; Brian Jagde (Turrdio) sang mit forciert-metallischem, kräftigem, aber kaum differenziert eingesetztem Organ; Ambrogio Maestri gab einen immerhin unterschwellig gefährlichen, stimmlich gut disponierten Alfio. Mara Zampieri hätte die Mama Lucia singen sollen und war wegen COVID nicht angereist – was von vielen Fans, die sie hier in Wien immer noch hat – natürlich sehr bedauert wurde. Als Mama Lucia kam deshalb Zoryana Kushpler zu einem sich unspektakulär gestalteten Einsatz, auch etwas zu blass – und außerdem zu wenig kokett – gab sich die Lola der Isabel Signoret. Mit ihrem schlanken Organ hat sie kaum gegen Santuzza und Turridu bestehen können. Dabei ist Lola gewissermaßen das „Zünglein auf der Waage“.

Ambrogio Maestri verklammerte als Tonio die beiden Einakter, wobei er mir als Tonio insgesamt besser gefiel, aber die Rolle gibt auch darstellerisch mehr her. „Pagliacci" gestaltete sich ebenfalls sehr intensiv, Roberto Alagna als Canio war das Zentrum der Aufführung, mit sehr viel Szenenapplaus nach seiner Arie und seinen Schluchzern. Alagna bleibt auch als Canio immer noch Stilist genug, um zu wissen, dass es nicht nur darum geht, laut zu singen. Aleksandra Kurzak gab eine selbstbewusste Nedda, stimmlich schon etwas zu „lebenserfahren“, um als „liedträllerndes“ „Vögelchen“ durchzugehen – aber letztlich lebt diese Oper ja von der Zuspitzung des Spiels im Spiel und wenn das Publikum im Finale um Nedda zittert und an Canios Wahn verzweifelt – so wie an diesem Abend – ist alles gewonnen. Und Roberto Alagana gelang es zudem mit seinem „La commedia è finita“ die Sache auf den Punkt zu bringen, höchste emotionale Erregung und ihr gleichzeitiges Abflauen zum Ausdruck zu bringen, den Kulminationspunkt zu erfassen, in dem das Schauspiel wieder ganz ins Leben überwechselt – und welche bittere Wahrheit war an diesem Opernabend damit verbunden.

Sergey Kaydalov (Silvio) und Andrea Giovanni (Beppo – schon im Vorfeld der Serie eingesprungen für Jörg Schneider) ergänzten passend. Der Erste Bauer (Jens Musger) und der zweite Bauer (Martin Müller) erfüllten ihren Dienst. Marco Armiliato stand am Pult eines im Laufe des Abends immer eindrucksvoller aufspielenden Orchesters, das in dem halbleeren Saal einfach eine Nuance schärfer und greller klingt, wie mir scheint. An Lautstärke hat es auch im Orchestergraben nicht gemangelt.

Die Inszenierung von Jean-Pierre Ponelle ist 35 Jahre alt, laut Programmzettel erlebte „Cavalleria rusticana“ ihre 109., „Pagliacci“ die 111. Aufführung. „Pagliacci“ ist Ponelle, der bei dieser Produktion in „Personalunion“ für Inszenierung, Bühne und Kostüme gesorgt hat, ist nach meinem Eindruck besser gelungen. In der „Cavalleria rusticana“ wird der Hinweis auf das Außenseitertum Santuzzas einfach zu oft bemüht, der ganze Eingangschor scheint nur darauf zu fokussieren und mit plakativer Gestik die Ablehnung Santuzzas zu zelebrieren. Bei „Pagliacci“ schickt Ponelle anstelle eines Eselgespanns einen kleinen alten Lkw auf die Bühne, rückt die Handlung dezent ein bisschen an die Gegenwart heran, beim Spiel im Spiel wird auch ein altes Telephon eingesetzt. Die ganze Szene wirkt hier inspirierter.

Anmerkung: Dieser Text ist eine tlw. gekürzte, tlw. ergänzte, tlw. korrigierte Fassung einer Besprechung, die für den Online-Merker verfasst worden ist. Dort findet sich auch Bildmaterial.
Siehe:
https://onlinemerker.com/wien-staatsoper-cavalleria-rusticana-pagliacci-6/