FAUST
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Gounod-Portal

Staatsoper
31. Oktober 2021

Musikalische Leitung: Bertrand de Billy

Faust - Francesco Demuro
Méphistophélès - Adam Palka
Valentin - Étienne Dupuis
Wagner - Ilja Kazakov
Marguerite - Raxhel Willis-Sorensen
Siébel - Margaret Plummer
Marthe -
Monika Bohinec



„Wen interessiert Gounod, wenn es Castorf gibt?

(Dominik Troger)

Wenn die Salzburger Osterfestspiele auf Allerheiligen verlegt werden können, dann kann die Staatsoper locker die Walpurgisnacht auf Halloween „verschieben“: Das Haus am Ring hat den „Faust“ in der von Stuttgart nach Wien geholten Inszenierung von Frank Castorf für vier Aufführungen wieder in den Spielplan aufgenommen.

Faust marschiert also wieder durch ein Drehbühnen-Paris zur Zeit des Algerienkrieges. Der Herr Doktor ist schwer abgesandelt und kann sich nicht einmal mehr ein Paar neuer Schuhe leisten. Mephisto taucht gerade rechtzeitig auf, um Faust mit Amüsement und Wohlstand zu versorgen. Marguerite nuckelt wieder am Opiumpfeifchen, und es dürfen wieder belanglos eingeschobene Verse und revolutionäre Aufrufe zitiert werden. Als Höhepunkt antiimperalistischer Phrasologie präsentieren die Soldaten stolz die Köpfe der besiegten Feinde. Aufgemotzt wird die Szene mit allerhand Videoeinspielungen: Paris bei Nacht, der lauernde Mephisto in Großaufnahme, und das Publikum darf schnuckelige Werbevideos bestaunen.

Die Frage, was das alles noch mit dem „Faust“ von Gounod zu tun hat, ist natürlich naiv. Wen interessiert Gounod, wenn es Castorf gibt? Aber es sollte doch angemerkt werden, dass vor allem die Zeichnung der Marguerite bei Castorf einiger Schlüssigkeit entbehrt. Seine Marguerite wirkt viel zu lebenserfahren, als dass sie eine unerwünschte Schwangerschaft in so eine Malaise bringen könnte. Castorf versucht die Bruchstelle seiner Interpretation wenig überzeugend mit dem sozialen Abstieg Margueritens zu kitten. Im Finale bleibt Marguerite offenbar in Selbstmordabsicht wie versteinert zurück, von der Gonoud’schen „Erlösungsgloriole“ bekommt sie keinen Schimmer ab. Aber es ist viel los auf der Bühne, das Auge wird beschäftigt – mehr über die Inszenierung bei der Besprechung des Staatsopernstreams vom Frühjahr: „Pariser Walpurgisnacht“)

Musikalisch wurde der Abend vom Staatsopernorchester unter Bertrand de Billy getragen, differenziert, mit warmem Klang und Schwung. In der Gartenszene fiel die Spannung etwas ab, worauf das Publikum gleich mit vermehrtem Husten reagierte. Unüberhörbar hat die Jahreszeit der Verkühlungen eingesetzt. (Es muss ja nicht gleich Covid sein.) Einer Erkältung war auch der rosa Zettel auf den Abendplakaten geschuldet: Franceso Demuro war kurzfristig – wie der Direktor des Hauses am Beginn der Vorstellung dem Publikum mitteilte – für Stephen Costello eingesprungen.

Demuro ist zuletzt 2012 im Haus am Ring aufgetreten. Sein Tenor, der nicht sehr groß ist und über ein leicht dunkel grundiertes Timbre verfügt, klang vor der Pause sehr unausgewogen. Die etwas eng geführte Höhe drang zwar gut durchs Haus, war aber sehr gepresst – wie auch in der bekannten Kavatine, in der der Sänger beherzt und nicht ohne Risiko den lange gehaltenen Spitzenton mit einem leichten Diminuendo zu verfeinern suchte. Das Publikum spendete ihm nur kurzen Szenenapplaus. Nach der Pause kam die Stimme etwas besser in Fahrt.

Rachel Willis-Sorensen sorgte für eine Marguerite, die im Leben steht und zupacken kann – und die zu weit entfernt war von dem mädchenhaften „Gretchen“ eines Charles Gonoud, das mit sensiblem Zartgefühl ihre Sehnsüchte offenbart. Willis-Sorensen ist längst im Wagnerfach (Elsa, Eva) angekommen. Nach ihrer sehr gut aufgenommenen Wiener Desdemona würde es nicht überraschen, sollten weitere Verdi-Partien mehr Eindruck machen als ihre Marguerite, die gesanglich zu schwerfällig wirkte, aber gut zur Inszenierung passte.

Den besten Gesamteindruck hinterließen an diesem Abend der Teufel und Valentin. Zwar ist der Mephisto von Adam Palka als Bass eine Spur zu schlank, zu wenig „gesetzt“, aber die Inszenierung erfordert einen beweglichen, intriganten Kerl. Bei Palkas Bass raucht es nicht „höllenschwarz“, das Böse kleidet sich in eine mehr spielerische, fast schon selbstironische Natur: ein Seelenverkäufer, der seine Opfer verschmitzt und sie verachtend auf den Pfad des Bösen führt. Etienne Dupuis sang mit etwas hartem Bariton einen soldatisch beschlagenen Valentin. Stark gelang vor allem die Sterbeszene, von Castorf mit einem unerbittlichem Zug versehen, den Dupuis markig auszukosten wusste. Auch hier gilt: Sänger und Stimme passten sehr gut zum „Setting“ der Inszenierung.

Monika Bohinec war wie schon bei der Premiere als zwielichtige Marthe im Einsatz, Margaret Plummer hat für diese Aufführungsserie mit viel musikalischem und darstellerischem Engagement den Siebel übernommen. Der Staatsopernchor stellte seine Frau und seinen Mann. Der Schlussapplaus brachte es auf knapp sechs Minuten. Beim Heimweg saß Goethe immer noch breit auf seinem Denkmal am Opernring. Er zeigte sich weder von Castorf noch von Halloween beeindruckt.