„Pariser Walpurgisnacht“
(Dominik
Troger)
Frank
Castorf an der Wiener Staatsoper?! Der neue Direktor wird sich diesen
Termin rot im Kalender angestrichen haben: Endlich ist dieser
„Bilderstürmer“ auch im Haus am Ring angekommen und darf, was sich hier
noch „bürgerlich“ zu nennen traut, mit seiner Interpretation des Gounod'schen „Faust“ verstören.
Bogdan Roščić, seit dieser Saison im Amt, scheint den Einsatz von Video-Installationen auf Opernbühnen zu schätzen. Nach „La traviata“ und „Parsifal“ setzt jetzt auch der Gonoud'sche „Faust“
in der Castorf'schen Deutung auf Video, Video und noch mal Video. Dass
die Sache mit den Videos längst ein alter Hut ist, durch dessen
dekorative Löcher metaphorisch der Regen rinnt, so wie in des alten Dr.
Faustens Schuhe (siehe erste Szene dieser Produktion) sei nur am Rande
vermerkt.
Oper und Video, Oper und Fernsehen, Oper und Film, das ist ein
schwieriges Verhältnis, und in Zeiten, in denen sich die Liebhaber der
Opernkunst von Streams mangelernähren, können solche mit Videos
angereicherte Produktionen schwerste „Depressionen“
auslösen. Man muss erst gar nicht auf Theodor W. Adorno zurückgreifen,
der schon der „Fernsehoper“ sehr skeptisch gegenüberstand: „Das Fernsehen als ein optisches Medium steht der Musik, die wesentlich akustisch ist, einigermaßen fremd gegenüber.“ (Interview mit dem SPIEGEL, Ausgabe 9/1968).
Sondern es liegt auf der Hand, dass die Überfrachtung der Oper und des
Theaters mit Video-Installationen einen zusätzlichen Faktor der
Ablenkung schafft: Es wird dem Publikum schwer gemacht, sich zu
konzentrieren, der Inhalt wird collageartig aufgedröselt. Anstatt Orte
der Ruhe zu schaffen und der Fokussierung, bauen videogenerierte
Bilderfluten und socialmedia-gesteuerte Dauererregung auf der Bühne
Räume der Verwirrung und Verstörung, was eine sinnstiftende Erfahrung
von Kunst im Allgemeinen unterminiert. Zurück bleiben dann zerstörte
Bühnenfiguren – wie die Margarethe dieser Produktion – ein dem Kommerz
ausgeliefertes Zombie-Wesen, dem seitens der Regie jede Chance auf eine
Himmelfahrt verweigert wird.
Aber
hat der Staatsoperndirektor nicht ohnehin einen „zahmen“ Castorf aus
Stuttgart (Premiere 2016) nach Wien
geholt? Der „Faust“, dessen Handlung in die französische Hauptstadt
verlegt worden war, geriet ihm zu einer Pariser Walpurgisnacht, einem
mit Live-Videos angereicherten multimedialen Spektakel, das im Haus
ganz anders wirken wird, als im
Stream, der durch die in voller Größe hineingeschnittenen Videos von
allerhand Nebenschauplätzen cineastisch erweitert wurde.
Das Bühnenbild war ganz im Sinne der Verwirrung und Verstörung gebaut:
eine drehbühnengerechte, verwinkelte Pariser Straßenszene mit
aufgesetztem Kirchenportal. Zwei Videomacher folgten auf ihm eifrig
treppauf-treppab den Singenden. Sie bezeugten derart Mephistos nicht
artgerechte Schlangenhaltung und seine Vodoo-Püppchen im zwielichtigen
Kaufmannsladen. Eine Telefonzelle diente Margarethe als
Kommunikationstool und dem armem Valentin als blutverschmiertes
Sterbebett. In der Mansarde darüber rauchten Margarethe und Marthe ihr
Opiumpfeifchen.
Margarethes Charakter ist verzeichnet, sie hat eine „halbseidene“
Vergangenheit, ihre Unschuld ist fragwürdig – die ganze Beziehungskiste
mit Faust und deren fatale Auswirkungen steht auf dramaturgisch
wackeligen Beinen. Castorf schiebt das Schicksal der beiden auf
Mephisto – und der Teufel dürfte schlussendlich auch Recht behalten.
Mit einem Teufel lässt sich szenisch immer etwas anfangen, beißt er
doch gleich am Beginn den alten Faust so fest in den Arm, dass man in
ihm Nosferatus Vetter erkennen könnte. Der greisenhafte Faust wird vor
allem durch spastisches Zittern markiert, der verjüngte Faust fungiert
als Beiwagerl des Teufels. Ansonsten passieren ein paar seltsame Dinge
– und Siebel, ja Siebel ist eine lesbische Frau, zitiert Liebeslyrik und ist ganz schwer in
Margarethe verknallt.
Kritik am Algerienkrieg und Kolonialismus zierte den berühmten
Soldatenchor, ausstaffiert mit den Trophäenköpfen erschlagener Feinde.
Dass die Faust-Gretchen-Story in anderen soziokulturellen Milieus immer
noch erhebliche Sprengkraft haben könnte, wurde aber nicht
ausformuliert. Die Einblendung von alten Werbefilmen (Waschmittel &
Co) symbolisierte und ironisierte Margarethes bigotte Sehnsucht nach
Familienglück. Zugegeben, die Vorgängerinszenierung des
Staatsopern-„Faust“ war ein Torso, die Vorvorgänger-Inszenierung von
Ken Russel ein Skandal. An Exzentrikern war auf dem Theater schon
damals kein Mangel.
Die Bewertung des musikalischen Teils fällt mir schwer, die optische Ablenkung war enorm. Bertrand de Billy hat
am Pult das klanglich schön aufspielende Staatsopernorchester recht
flott durch den Abend geführt, vor der Pause fast zu flott, aber wie
immer mit packender Zuspitzung. Dass die Lyrismen nicht immer so gut
zur Geltung kamen, hat auch mit Nicole Car,
der Margarethe des Abends, zu tun, deren Sopran ein wenig „kristallin“
angekantet nicht das naive Mädchenherz nach außen kehrte und mehr in den dramatischen Passagen überzeugte. Adam Palka sang
einen jugendlichen, undämonischen und stimmlich kräftigen, aber zu
einförmigen Mephisto, der gut in das Ambiente dieser Inszenierung
passte.
Juan Diego Florez ist
nach meinem Dafürhalten im französischen Fach stimmlich besser
aufgehoben als bei Verdi. Es war beeindruckend, wie er in
lyrischen Nuancen schwelgte. Beim Wandel vom alten Greis (der wenig
glaubwürdig wirkte) zum jungen Mann blühte sein Tenor
sonneerstrahlend auf und das langgehaltene „hohe C“ im „Salut, demeure chaste et pure“ kostete er so richtig aus.
Es ist allerdings zu erwarten, dass die Stimme
im Haus weniger präsent klingt – und dann würde man sich wahrscheinlich
wieder einen Schuss mehr an stimmlicher Virilität wünschen und einen
Hang zum Forcieren in dramatischen Passagen negativer anmerken. Étienne Dupuis als etwas raubeiniger Valetin, Kate Lindse als etwas nüchtern timbierter Siebel und Monika Bohinec
als Marthe sowie Martin Häßler als Wagner, ergänzten den Figurekatalog. Der Staatsopernchor bewies nicht nur
seine stimmliche, sondern auch seine schauspielerische Kompetenz.
Nach der Vorstellung gab es sogar Applaus, der Vorhang blieb nicht geschlossen.