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Wiener Staatsoper
16. Juni 2016

Dirigent: Christophe Rousset

Les Talens Lyriques
Gustav Mahler Chor

Admète, König von Thessalien - Joseph Kaiser
Alceste, Gattin des Admète - Véronique Gens
Évandre / Tenorcoryphée - Jason Bridges
Hercule - Adam Plachetka
Oberpriester des Apollon - Clemens Unterreiner
Soprancoryphée - Maria Nazarova
Mezzosoprancoryphée - Juliette Mars
Orakel - Gebhard Heegmann
Apollon / Waffenherold /
Bassbaritoncoryphée - Manuel Walser



„Es ist noch ein weiter Weg bis zur Gluck-Renaissance an der Staatsoper

(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat sich nach fast vier Jahren wieder an ihre Produktion von Christoph Willibald Glucks „Alceste“ erinnert. Dank Abonnement war das Haus ganz gut gefüllt, sogar einige Stehplatzbesucher hatten sich eingefunden, um der erst siebten Aufführung dieser Inszenierung beizuwohnen.

Gluck und die Wiener Staatsoper – das ist eine schwierige Beziehung. Einerseits sollte das Haus mit der geschwellten Brust ihres Traditionsbewusstseins auf die Opern Glucks nicht verzichten, andererseits lässt sich Gluck schwer vermarkten. Schon bei der Premiere war das Publikumsinteresse „enden wollend“. Interessanter Weise ist für die nächste Saison eine weitere Gluck-Premiere angekündigt: „Armide“. Die „Alceste“ wird nicht gespielt.

In den Hauptpartien wurde die Premierenbesetzung aufgeboten – bei im Wesentlichen ähnlichen Eindrücken. Es ist ein Verdienst dieser Produktion, dass dadurch Véronique Gens die Möglichkeit geboten wurde, sich auch dem Staatsopernpublikum als ideale Gluck-Interpretin zu präsentieren. Glucks starke Frauencharaktere sind die große Stärke dieser Sängerin, die sie mit einem erhaben-edlen Gestus erfüllt, der das Schicksal der Figuren mit wohldosiertem Pathos zeichnet.

Das deckt sich mit der von Gluck herbei reformierten „Einfachheit“ des Ausdrucks, die den Sängern virtuose Eskapaden versagt und auf eine Tragödie im klassischen Sinne abzielt, die alles andere im Sinn hat, als ihre Bühnengeschöpfe durch übertriebene Expressivität zu korrumpieren. In der Schlichtheit, mit der sich das Leben nicht vom Tod überrumpeln lässt, liegen zugleich das Erhabene und das Beispielhafte verborgen, beweist sich eine menschliche Größe, die in der Annahme des persönlichen Schicksals über sich selbst hinauswachsend sogar die Götter zu rühren vermag. Dergleichen ist heutzutage schwer vermittelbar – wofür die Inszenierung von Christof Loy ein beredtes Beispiel abliefert. (Mehr zur Inszenierung, die das ganze Chor-Volk als die Kinder des Königspaares ausgibt, kann in der Premierenbesprechung nachgelesen werden: Alceste-Premiere.)

Véronique Gens leicht angedunkelter, zu tragischem Tonfall fähiger und in den deklamatorischen Passagen nuanciert geführter Sopran hat Glucks Musik mit stilvollem Leben erfüllt. Die Sängerin war auch an diesem Abend der Ruhe ausstrahlende Mittelpunkt, in dem die von der Regie geborenen „Kinderschar“ und ein aus dem emotionalen Gleichgewicht torkelnder Gemahl ihren Halt fanden. Allerdings hat die lange Karriere der Sängerin auch ihre Spuren hinterlassen, klang nicht mehr alles so ebenmäßig bis in die Spitzentöne durchgeformt – und in der Tiefe fehlte der Nachdruck.

Joseph Kaiser war mit nüchtern timbriertem Tenor wieder ein intensiver, wenn auch im Gesamtausdruck etwas einfach „gestrickter“ Admète. Clemens Unterreiner gab wie schon bei der Premiere ein bühnenpräsenten Oberpriester, der mit seinem fülligen Bariton nicht nur schön zu predigen verstand, sondern der mit Inbrunst die ein wenig fanatisch anmutenden, regiebedingten Allüren dieses Mannes in raumgreifender Art genüsslich ausgespielte. Die Rolle des Hercule hängt dramaturgisch ziemlich in der Luft, das hat die Regie auch nicht in den Griff bekommen. Adam Plachetka sättigte die grobstoffliche stimmliche Textur seines Hercule mit einem jovialen Augenzwinkern. Schließlich ist der Held in dieser Inszenenierung der Onkel oder so etwas ähnliches. Von den kleineren Partien ist Maria Nazarova hervorzuheben, die als kindliche Koryphäe den schelmischen Charme einer Rokoko-Amorette versprühte und diese Nebenrolle zu einer kleinen Hauptrolle machte.

Erstmals an der Wiener Staatsoper zu Gast sind bei dieser „Alceste“-Aufführungsserie Christophe Rousset und Les Talens Lyriques – nicht nur in Sachen französischer Barockoper von vielen Abenden im Theater an der Wien bereits bekannt und sehr geschätzt. Feingliedrig und engagiert erklang Gluck aus dem „Graben“, aber auf der Galerie doch ein bisschen von „weiter unten“. Dass sich das Theater an der Wien viel besser für Werke des 18. Jahrhunderts und eine historisch orientierte Aufführungspraxis eignet, sei an dieser Stelle nur angemerkt.

Les Talens Lyriques sticht derzeit aus den „Originalklangensembles“ mit besonderer Eleganz heraus, durch einen überraschend weichen Klang und mit transparent-feinsinnigem Spiel. Rousset besitzt außerdem viel Gespür für die innere Dramaturgie und Stilhöhe der jeweils zur Aufführung gebrachten Musik. (Laut Programmzettel wurde an diesem Abend mit einer Stimmung von 400Hz gespielt.) Und der Gustav Mahler Chor wuselte wieder mit kindlicher Freude und Gesangeslust über die Bühne.

In den Schlussapplaus mischten sich Bravorufe, aber er dauerte gerade mal vier Minuten lang.