ALCESTE
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Wiener Staatsoper
Premiere

12.11.2012


Dirigent: Ivor Bolton
Inszenierung: Christof Loy
Bühnenbild: Dirk Becker
Kostüme: Ursula Renzenbrink
Licht: Olaf Winterr
Choreographie: Thomas Wilhelm

Freiburger Barockorchester
Gustav Mahler Chor

Admète, König von Thessalien - Joseph Kaiser
Alceste, Gattin des Admète - Véronique Gens
Évandre / Tenorcoryphée - Benjamin Bruns
Hercule - Adam Plachetka
Oberpriester des Apollon - Clemens Unterreiner
Soprancoryphée - Ileana Tonca
Mezzosoprancoryphée - Juliette Mars
Orakel - Gebhard Heegmann
Apollon / Waffenherold /
Bassbaritoncoryphée - Alessio Arduini



„(K)ein Glu(ü)ck im Kindergarten?

(Dominik Troger)

„Gluck-Renaissance“ in Wien? Wenn bei einer Staatsopern-Premiere Dutzende Sitzplätze frei bleiben und der Stehplatz schlecht besucht ist, dann ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

Gluck im Theater an der Wien – Gluck an der Wiener Staatsoper: „Iphigénie en Aulide“ und „Alceste“ innerhalb von fünf Tagen. Das hat fast etwas Sportliches an sich. Ob das Match 2:0 oder 2:1 für die Staatsoper ausgegangen ist, darüber kann man diskutieren. Musikalisch wurde man mit der Staatsopernproduktion von „Alceste“ deutlich besser bedient. Die Regie bekam hüben wie drüben Buhrufe zu hören. Ob man den intellektuell-plakativen Zugang von Torsten Fischer bei der „Iphigénie en Aulide“ mehr goutiert oder die teilweise recht albern wirkende „Trivialisierung“ der „Alceste“-Handlung durch Christof Loy macht wohl nur einen graduellen Unterschied. Wirklich überzeugen konnte keine der angebotenen Lösungen.

Aber wenn man bedenkt, dass sich die Staatsoper wieder eine Koproduktion mit Aix-en-Provence an das Haus geholt hat, dann ist das für die Zukunft wenig ermutigend. Mit Gluck wird man außerdem immer nur einen kleinen Teil der operninteressierten Öffentlichkeit erreichen. Man könnte also sagen, die Staatsoper leistet sich Gluck, so wie man sich die neuen Uniformen der Billeteure geleistet hat (und das Publikum muss dafür im Marmorsaal beim Buffett Schlange stehen, weil von den zwei eindrucksvollen Kaffeemaschinen aus Personalersparnisgründen nur mehr eine Betrieb ist).

Aber zurück zur „Alceste“. Die Königin Alceste rettet ihren Gatten Admète vor dem Tod. Ein Orakelspruch hat die Gesundung des Königs von einer tödlichen Krankheit geweissagt, wenn sich jemand mit seinem Leben für ihn opfert. Alceste willigt in treuer Gattenliebe ein, ihr Leben für das ihres Gemahles hinzugeben. Admète wird gesund und ist erschüttert, als er von ihrem Opfer erfährt. Alceste hält daran fest, wird aber von Hercule aus den Fängen der Unterwelt gerettet. Apollo, durch die Gattenliebe des Königspaares günstig gestimmt, verzichtet auf das Opfer.

Die den Abend prägende Idee von Christof Loy, den Chor wie Kindergartenkinder auszustaffieren und mit einem kindlichen Körpergefühl über die Bühne „tollen“ zu lassen, war etwas „eigen“. Das Gerangel, das Herumgetue mit Stofftieren und Puppen störte vor allem im ersten Akt und hat die weihevolle Orakelszene entwertet. Dazu hat Loy die Figur des Oberpriesters „verkatholisiert“ und offenbar mit einem bösen Nimbus versehen. Er wurde jedenfalls von den Bühnenkids sichtlich gemieden und schien selbst andeutungsweise nicht ungern „handgreiflich“ zu werden.

Die Szenen ohne Chor hinterließen einen deutlich stärkeren Eindruck, die Gefühle zwischen Alceste und Admète wurden ernst genommen und mit gehaltvoller Emphase durchgespielt. Die Unterweltsszene im dritten Akt, der Chor im Schlafzimmer des Königspaares mit allerhand Puppen, wurde hingegen der getragenen und auf starke Wirkung berechneten Musik nicht gerecht. Dazu kam noch Hercule als „guter Onkel“, der viel auf Reisen ist und der Stofftiere verschenk. Das positive Finale wurde umgedeutet, das Schlafzimmer zum schwarz ausgekleideten Raum, in dem das ganze Bühnenpersonal nach und nach zögernd verschwand. Lauerte dort gar der Tod?

Die Bühne war im Vordergrund leer, ein Stück dahinter war eine weiße Wand eingezogen, die sich mittig durch eine große Schiebetüre zum Schlafzimmer des Königspaares hin öffnete; großbürgerliches Interieur und Kostüme um 1900 oder etwas später – jedenfalls nicht in heutigem Sinne modern. Die Personenregie war beim Chor recht ausgefeilt, schuf aus jedem einzelnen Choristen einen eigenen kindlichen Charakter.

Die musikalische Seite des Abends überzeugte mehr als die Inszenierung. Ivor Bolton sorgte mit dem Freiburger Barockorchester für einen nicht übertrieben hart gespielten, in den Klangfarben durchaus reichen „Originalklang“ und vermittelte recht gut die Zwischenstellung Glucks als „Erbe“ der französischen Barockoper und als Wegbereiter der Klassik. Allerdings wäre etwas mehr Pathos für meinen Geschmack kein Fehler gewesen. Das spürte man schon deutlich am Beginn der dem Werk vorangestellten Orchestereinleitung, in der die schicksalhaft-schwermütigen Anfangstakte bedeutungsvoller hätten zur Geltung kommen könnten. Bis auf den etwas schwächeren ersten Akt wurde lebhaft musiziert und die Emotionen wurden recht gut transportiert – und die dankenswerter Weise nicht gestrichenen Balletteinlagen klangen schwungvoll fröhlich aus dem Orchestergraben. Getanzt wurde dazu nicht, sondern der Chor spielte „Kindergartenszenen“.

Veronique Gens sang die Alceste mit passender Emotionalität und traf die getragene Grundstimmung der Musik recht gut. Ihr Timbre hat eine dunkle Nuance, die zum Gefühlsgehalt der Rolle passt. Bis auf einige, schon etwas vibrierende und leicht aus der Fasson geratene Spitzentöne bot die Sängerin eine beeindruckende Leistung – sowohl sängerisch als auch darstellerisch. Allerdings fehlte es der Stimme an Nachdrücklichkeit und ausgerechnet die bekannteste Nummer der Oper, das „Divinites du Styx“, blieb in der Wirkung etwas flach. Vielleicht war das auch dem größeren Raum der Staatsoper geschuldet.

Joseph Kaiser – wie Gens mit Hausdebüt – sang einen überzeugenden Admète. Kaiser sieht gut aus, was sicher kein Fehler ist. Sein lyrischer Tenor ist hell, in der Mittellage aber schon gefestigt und auf eine solide Basis gestellt. Die Höhen gelangen ihm nicht so locker wie man es von Sängern in diesem Fach erwarten würde und klangen etwas gepresst. Kaiser war ein emotional glaubwürdiger Darsteller.

Clemens Unterreiner ließ als Oberpriester und Unterweltsgott hören, was für eine schöne, wirkungsvolle Stimme er besitzt. Im Spiel nahm er sich etwas zurück – aber die Rolle, die ihm die Regie zugedacht hat, war auch so auffällig genug. Adam Plachetka kam als stimmkräftiger Hercule erst im dritten Akt zu seinem Auftritt – und das restliche Ensemble hatte bei durchwegs guten Leistungen nur punktuell Möglichkeiten, zu glänzen. Der Gustav Mahler Chor hat sich gekonnt in Kinder verwandelt und ein wuseliges, schauspielerisch-gesangliches „Gesamtkunstwerk“ geboten.

Der Applaus dauerte rund acht Minuten lang. Die Buhrufe für die Regie waren deutlich zu hören, die übrigen Mitwirkenden wurden teils stark bejubelt. Auf der Galerie waren schätzungsweise an die 100 Sitzplätze leer geblieben. Der Stehplatz war schlecht besucht.