PETER GRIMES
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Theater an der Wien
16.10.2021
Neueinstudierung

Musikalische Leitung: Thomas Guggeis

Inszenierung: Christof Loy
Bühne: Johannes Leiacker
Kostüme: Judith Weihrauch
Choreographie: Thomas Wilhelm
Licht: Bernd Purkrabek

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schönberg Chor

Peter Grimes - Eric Cutler
Ellen Orford - Agneta Eichenholz
Balstrode - Andrew Foster-Williams
Auntie - Hanna Schwarz
Nichten - Miriam Kutrowatz, Valentina Petraeva

Bob Boles - Rupert Charlesworth
Swallow - Thomas Faulkner
Mrs. Sedley - Rosalind Plowright
Reverend Adams - Erik Arman
Keene - Edwin Crossley-Mercer
Hobson - Lukas Jakobski
Stumme Rolle:
Gehilfe von Grimes - Gieorgij Puchalski


„Männerträume, zweite Auflage

(Dominik Troger)

Das Bett von Peter Grimes schwebt wieder an der Bühnenkante über dem Orchestergraben – sechs Jahre nach der Premiere hat das Theater an der Wien seine Produktion der Oper wieder aufgenommen. Christof Loy hat seine Inszenierung neu einstudiert: Peter Grimes im Spannungsfeld zwischen Homosexualität und den Moral- und Wertevorstellungen einer Dorfgemeinschaft.

Ein Bett auf der „Bugwoge“ des Orchestergrabens, Tummelplatz für testosterongesteuerte „Ringkämpfe“ zwischen Männern. Christof Loy hat den Fischer Peter Grimes in ein homosexuell ausgeformtes Dreiecksverhältnis gestellt: er, Balstrode und der Gehilfe. Dazu gesellt sich Ellen Orford, die Grimes heiraten würde, wenn er denn wollte. Das genannte Bett ist der wichtigste optische Marker. Es scheint wie ein kleines Boot auf aufgewühltem Meer zu tanzen. Es tanzt auf den Wellen übermächtiger Gefühle und verbotener Leidenschaften: ein kräftiges, ein sehr direktes Symbol, für etwas, das Benjamin Britten in seiner Oper nur versteckt – wenn überhaupt – andeutet. Christof Loy hat Peter Grimes aus seiner „Einsamkeit“ geholt. Er hat seine „Natur“ enträtselt.

Kein Zweifel, es handelt sich um eine stark „interpretative Lesart“, eine Lesart, die von Brittens Biographie ausgehend zwar an bekannten Fakten anknüpft, die aber die Doppelbödigkeit von Brittens Oper doch sehr rigide in eine Richtung lenkt. Britten hat chamäleongleich seine innersten Nöte vor einer puritanistisch eingefärbten britischen Wirklichkeit verborgen. Diese Ambiguität eröffnet nicht nur seinem „Peter Grimes“ eine Deutungstiefe, deren Reiz darin liegt, sich forschendem Zugriff zu entziehen. Das Publikum wird nie erfahren, wie es „wirklich“ gewesen ist, und was sich hinter den „accidental circumstances“ von Grimes Schicksal und dem seiner Gehilfen verbirgt.

Loys interpretativer Zugang greift zudem in die Figurenkonstellation ein: Der Lehrbub mutiert zum jugendlich-erwachsenen „Strichjungen“, dem auch Balstrode einiges abgewinnen kann. Zudem scheint Orford an dem „Gehilfen“ Gefallen zu finden. Loy hat vor allem die stark von Naturstimmungen beherrschten Zwischenspiele genützt, um seine Vorstellungen auf der Bühne überdeutlich hervorzukehren. Aber es ist unbestritten, dass diese Inszenierung spannendes Musiktheater ermöglicht. Das war schon vor sechs Jahren so – und daran hat sich bei der Wiederaufnahme nichts geändert. Das Gefühl, mit einer zu einseitigen Sicht der Dinge konfrontiert zu werden, hat sich allerdings auch wieder eingestellt. Und dieses Gefühl hat sich nicht nur auf die Inszenierung bezogen.

Denn die Seelenanalytik des Regisseurs hatte sich genauso im Orchestergraben breit gemacht. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Thomas Guggeis sorgte für sprödes Wellengewoge, sah vor aufspritzender Gischt des Meeres ruhende Fläche nicht mehr. Guggeis interpretierte im Sinne zeitgenössischer Moderne, Brittens „Romantizismen“ und Ruhepunkte („Now the great Bear“) fanden zu keiner Tiefendimension. Man hätte meinen können, der „Orpheus Britannicus“ habe sich seine Flöte aus zu kantigem Rohr geschnitzt. Selten gönnte man sich ein wenig „Melancholie“ – wie der elegischdunkel aufspielenden Solobratsche in der Passacaglia, mitfühlend das Schicksal von Grimes Lehrbuben betrauernd (was mit der „postpubertären“ Darstellung des Gehilfen in dieser Inszenierung allerdings schwer in Einklang zu bringen war).

Die Besetzung war zum Teil mit der Premiere des Jahres 2015 identisch – und die Jahre, die seither verstrichen sind, waren nicht immer zu überhören. Bereits damals war der gesangliche Eindruck kein überwältigender gewesen. Der Balstrode von Andrew Foster-Williams hat an Bühnenautorität nicht zugelegt, gestützt von einem zu monochrom wirkenden Bariton – aber die Regie zeigt ihn auch nicht als alten Seebären. Dass es sich um einen Kapitän handelt, der für Grimes eine Autoritätsperson darstellt (seine Funktion im Finale erklärt sich dann fast von selbst), hat die Regie nicht interessiert. Die Ellen Orford der Agneta Eichholz gab sich regiebedingt als verklemmte „graue Maus“ im grauen Hosenanzug und ihr nicht gerade sinnlich timbrierter Sopran geriet zu harsch, wenn es die „Hitze des Gefechtes“ erforderte. Ebenso waren Auntie (Hanna Schwarz) und Mrs Sedely (Rosalind Plowright) von der Premiere übernommen worden. Von den beiden Sängerinnen – schon mehr Legenden ihrer selbst – hinterließ die Britin stimmlich den besseren Eindruck.

Und Peter Grimes? Eric Cutler konnte man den Fischer abkaufen, den er mit schlichtem, geradlinigem, kräftigem Tenor und mit emphatischer Rollengestaltung zu einem „Helden des Alltags“ formte. Feinheiten waren weniger seine Sache, der psychische Drahtseilakt dieser Existenz ist von anderen Rolleninterpreten in der Vergangenheit schon stärker herausgestrichen worden. Bei der übrigen, mehr kollektiv begriffenen Dorfgesellschaft mischten sich Neubesetzungen und Übernahmen, dazu gesellte sich der wie immer gesanglich und darstellerisch kompetente Arnold Schönberg Chor. Das begeisterte Publikum spendete knapp zehn Minuten langen starken Schlussapplaus.

Der Link zur Premierenbesprechung mit weiteren Anmerkungen zur Inszenierung vom Dezember 2015.