PETER GRIMES
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Theater an der Wien
12.12.2015
Premiere

Musikalische Leitung: Cornelius Meister

Inszenierung: Christof Loy
Bühne: Johannes Leiacker
Kostüme: Judith Weihrauch
Choreographie: Thomas Wilhelm
Licht: Bernd Purkrabek

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schönberg Chor

Peter Grimes - Joseph Kaiser
Ellen Orford - Agneta Eichenholz
Balstrode - Andrew Foster-Williams
Auntie - Hanna Schwarz
Nichten - KIandra Howarth, Frederikke Kampmann

Bob Boles - Andreas Conrad
Swallow - Stefan Cerny
Mrs. Sedley - Rosalind Plowright
Reverend Adams - Erik Arman
Keene - Tobias Greenhalgh
Hobson - Lukas Jakobski
Stumme Rolle:
Gehilfe von Grimes - Gieorgij Puchalski


„Männerträume

(Dominik Troger)

Im Theater an der Wien schaukelt kein Boot auf vom Lebenssturm aufgeregten Wassern, sondern ein Bett drängt sich über die Bühnenkante, schwebt bedrohlich über dem Orchester. Ein Mann räkelt sich darin, während das Publikum erwartungsvoll in den Saal strömt, um der Aufführung beizuwohnen: Es handelt sich um den Fischer Peter Grimes.

Wovon träumt ein Fischer im Bett? Träumt er von gewaltigen Lebensentwürfen und dem Fischereigroßhandel? Auch. Aber vor allem scheinen ihn an diesem Premierenabend jene verbotenen Gelüste männerorientierter Leidenschaften zu quälen, deren Auslebung sogar den Komponisten Benjamin Britten, dessen Lebensgefährte bekanntlich der Tenor Peter Pears gewesen ist, noch ins Gefängnis hätte bringen können. Die rechtliche Entkriminalisierung der Homosexualität begann im Vereinigten Königreich erst 1967. Insofern könnte man im 1945 uraufgeführten „Peter Grimes“ auch ein künstlerisches „Coming-out“ sehen – das unter den genannten Umständen freilich tunlichst darauf verzichtet hat, sich als solches zu deklarieren. Auch Regisseur Christof Loy betont in einem Interview (das im Programmheft nachgelesen werden kann), dass es vom Text her nicht klar sei, „ob Peter schwul ist oder nicht, ob er den Jungen ermordet hat oder ob er unschuldig ist“.

Es ist Loy zu danken, dass er diese Tatsache ehrlich ausspricht und dass er sie nicht mit irgendwelchen Taschenspielertricks zu verschleiern sucht. Es kommt dadurch deutlich zum Ausdruck, was er als Regisseur an Interpretation hinzugefügt hat: Dass sich bei ihm diese Außenseitergeschichte vor allem um das „schwul“ sein dreht. Schwul ist in dieser Produktion im Theater an der Wien nicht nur Peter Grimes, schwul ist genauso der junge Gehilfe von Grimes, (hier mit einer strichbubenartigen Verruchtheit hinterlegt, die sich mit Brittens unschuldig-antikem Jünglingsideal schwer verträgt), und schwul ist auch Balstrode, der mit Grimes nicht nur sprichwörtlich „unter einer Decke steckt“. In Summe ist das freilich mehr, als diese Oper vertragen kann, und Loy verzeichnet die Charaktere der Figuren, die sich bei Britten doch alle in einer Grauzone zwischen „Schuld“ und „Unschuld“ bewegen, und deren Sexualität sich vor allem in der undefinierten „Erotik“ der Naturerscheinungen widerspiegelt – Meer, Sturm, Sternenhimmel.

Immer ein wenig heikel ist die Interpretation des Balstrode, der ein Mann mit viel Autorität sein müsste. Hat sein Schlusswort für Grimes nicht Urteilscharakter? Laut Loy hat auch Balstrode etwas mit Peters Gehilfen – und verweigert Balstrode dadurch die Legitimität für seinen „Urteilsspruch“. Balstrode fällt dieses Urteil nicht auf Basis einer juristischen Grundlage, sondern auf einer durch persönliche Erfahrung gewonnenen Moral. Dieses Urteil könnte natürlich auch falsch sein, aber Grimes akzeptiert es, weil Balstrode ein Seemann ist wie er – und noch dazu Kapitän. Genauso heikel ist es, wenn Loy Ellen mehr als mütterliche Gefühle für den Burschen unterstellt und sie auf Balstrode eifersüchtig „macht“. Die subtile Figurenkonstellation wird dadurch verschoben und verliert an emotionalen Zwischentönen. Loy hat vor allem die Zwischenspiele eifrig genützt, um seine Geschichte zu erzählen. Ob der Tod des Lehrbuben (den hier ein schlanker, junger, aber bereits mannbarer Tänzer darstellt) ein Unfall ist, oder ob Grimes ihn umgebracht hat, lässt Loy offen.

Das Bühnenbild war bis auf das markante, scheinbar ins Orchester kippende Bett, sehr einfach gehalten: eine mit verwaschenem Graublaue hinterlegte Uferzone, dahinter eine leicht ansteigende Fläche, die bis zum Bühnenhintergrund reichte. Taschenlampen und viele Sessel waren einmal mehr dem Fundus des zeitgenössischen Theaters entlehnt, dafür zogen Kofferfans an diesem Abend eine Niete. Loy hat die Dorfgemeinschaft sehr gut in das Geschehen integriert, samt der vielen Nebenfiguren, die nahtlos aus ihr heraustreten, um ebenso nahtlos wieder in ihr zu verschwinden. Eine vortreffliche Personenregie machte aus Peter Grimes einen Mann, dem die Spannung zwischen sensibler Verträumtheit und rauer Wirklichkeit viel Aggressionspotenzial entlockte – und im Ausleben homoerotischer Gefühle, brutal und zärtlich, tastete sich Loy an eine Grenze heran, bei deren Überschreitung Brittens Opus womöglich ins Pornographische abgeglitten wäre. Am Schluss legte sich Balstrode in das Bett von Grimes, der nach dem Bühnenhintergrunde abgehend, von einem Lichtstrahl empfangen wird. Beginnt die Geschichte jetzt – unter leicht veränderten Vorzeichen – wieder von vorne?

Auf der musikalischen Seite ist zuerst das Wiener Radio Symphonie Orchester zu nennen, das unter der Leitung von Chefdirigenten Cornelius Meister zu großer Form auflief. Meister ließ mehr aus dem Sinn der zeitgenössischen Moderne musizieren, betonte weniger die Meer und Natur zugehörige romantische Streicherseele Brittens, sondern fokussierte auf eine etwas trockene, klangklare und geradlinige sowie auch rhythmisch determinierte Erzählweise, bei der die solistischen Einsprengsel entsprechend hervorgehoben, aber nicht über Gebühr herausgestrichen wurden. Für die „Klangraumentfaltung“ dieser Musik wäre ein größeres Haus allerdings besser geeignet, aber Meister ist ein überzeugender Kompromiss zwischen angemessener Kompaktheit und klanglicher Ausdifferenzierung gelungen.

Interessanter Weise gab es schon in der Pause recht unterschiedliche Meinungen zu den gesanglichen Vorzügen der Besetzung. Joseph Kaiser – internationales Rollendebüt laut seiner Website – hat die Partie schon vor längerer Zeit von Kurt Streit „geerbt“, der in der Besetzungsliste der Jahresvorschau des Theaters an der Wien genannt wird. Kaiser spielte mit sehr viel körperlichem Einsatz, sein trocken timbrierter Tenor entwickelte aber wenig sinnliche Qualitäten. Die Höhe klang limitiert und gepresst. Kaisers Organ wirkte auf mich geradezu naturalistisch, so wie die von Sonne und Salz gegerbte Haut eines einfachen Fischers, dem für die stimmliche Ausschmückung letztlich auch die heroische Überhöhung oder die metaphysische Tiefe („Now the great Bear ...“) nur bedingt behagte. Allerdings lag darin auch ein Vorzug, weil es das Publikum zu keiner musikalischen „Schönfärberei“ einlud und diesen Fischer im Charakter derart zeichnete, dass sich Spiel und Gesang zu einem mit ehrlicher Redlichkeit expressiv gezeichneten Rollenporträt vereinten.

Wenig autoritäre Markigkeit verströmte der Balstrode von Andrew Foster-Williams. Die Rolle wurde eben anders von der Regie verstanden, und es wurde ein Sängertyp danach gewählt, der keinen mit allen Wassern gewaschenen „Seebären“ darstellte, sondern – ja was eigentlich? Ellen Orford in einen grauen Hosenanzug zu stecken, war das eine gute Idee? Passt ein Hosenanzug zum mütterlich-determinierten Helfersyndrom dieser Frau? Und Agneta Eichholzs Sopran entwickelte sich in Summe auch ein wenig eindimensional im Anreißen dieser lyrisch-melancholischen Ebene, die sich bei Orford mit einer gewissen fanatischen Strenge zu paaren hätte. Zwei nicht mehr ganz „taufrische“ Stimmen, aber zwei nach wie vor starke Bühnenpersönlichkeiten präsentierten sich als Wirtin und Mrs. Sedley: Hanna Schwarz, eigentlich schon eine Opernlegende – und, etwas jünger an Jahren, Rosalind Plowright, die als köstlich gerüchtesüchtige Dorfbewohnerin auf der Bühne stand.

Passend besetzt waren die vielen Nebenrollen wie der qualitätsverlässliche Stefan Cerny (Rechtsanwalt) oder Tobias Greenhalgh vom Jugend Ensemble des Theaters an der Wien als engagierter Apotheker oder Andreas Conrad als Methodist, Lukas Jokobski als sehr bodenständiger Fuhrmann oder die beiden „Nichten“ Kiandra Howarth und Frederikke Kampmann. Der Arnold Schönberg Chor rundete den Abend mit gewohnter Einsatzfreude.

Es gab seitens des Publikums keine Missfallensbekundungen beim Auftritt des Regieteams und ansonsten sehr viel zustimmenden Jubel.

Fazit: An der Summe aller Teile gemessen ein spannender Opernabend – trotz der vorgebrachten Einwände.