DAS GESICHT IM
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Museumsquartier
Halle E Musikalische Leitung: Walter
Kobéra amadeus
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Patrizia - Roxane
Choux Justine Stadium II (Tänzerin): Eszter Petrány
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„Startup
mit Ehekrise“ Die Neue Oper Wien ist mit einer Oper von Jörg
Widmann in die Saison gestartet. „Das Gesicht im Spiegel“ entführt das
Publikum in die Welt von New Economy-Startups und bringt eine
Biotechnologie-Firma auf die Bühne, der das Klonen von Menschen gelingt. Es mag seltsam
erscheinen, aber auch an Opern, die noch keine 20 Jahre alt sind, kann
man ablesen, wie schnell die Zeit vergeht. „Das Gesicht im Spiegel“
wurde 2003 in München uraufgeführt. Die Erinnerung an das
Platzen der Dotcom-Blase war damals noch ganz frisch. Viele Unternehmen
der vom jungen Internet befeuerten „New Economy“ mussten in ihr „Federn
lassen“. Die Aufbruchsstimmung, die in den 1990er-Jahren die IT-
und Telekombranche beherrscht hat, erlebte ihre erste große Zäsur.
Widmann und sein Librettist Roland Schimmelpfennig haben ein wenig von dieser Zeit in Worte
und Töne eingefangen: die Getriebenheit der Unternehmer und deren
Phraseologie, verkomponierte DNA, Kaskaden von IT-Vokabular und
Firmennamen. Vor allem auch diese verorten das Werk an der Schwelle des
21. Jahrhunderts – denn wer erinnert sich beispielsweise heute noch an das nur wenige
Jahre lang allgegenwärtige Netscape? In Widmanns Oper
bewegen sich die Unternehmer Patricia und Bruno mit ihrer Biotech-Firma
auf dem schwankenden Boden börsenotierter Reputation. Dem Unternehmen
droht schon das Aus, aber im letzten Moment gelingt Chefingenieur
Milton die Sensation: Ein Mensch wird als unerschöpfliches
Organersatzteilager geklont. Patricia und Brunos
Unterfangen hat nur einen Haken: Milton hat den Klon nach seiner Chefin
designt, in die er unglücklich verliebt ist. Aber Justine hat nicht nur
das Aussehen von Patricia, sondern auch deren Gefühle. Justine verliebt
sich in Bruno, der sich das gerne gefallen lässt. Es kommt zur
Beziehungskrise zwischen Patricia und Bruno. Dieser macht sich mit den
wissenschaftlichen Unterlagen davon – und stirbt bei einem
Flugzeugabsturz. Die trauernde Justine wird von Patricia mit ihrer
Klonexistenz konfrontiert. Justines Resümee lautet: „Wenn ich kein Mensch bin, will ich
sterben.“ Laut Inhaltsangabe werden Patricia und Milton
weiterforschen. Das Oper überzeugt, wo sie die atemlose Gier und den
unerbittlichen Zukunftsglauben der New Economy beschreibt, die
Getriebenheit der Unternehmer und deren Worthülsen. Die Verquickung der
Wirtschaftsthematik mit dem Gefühlsleben eines Klons funktioniert
hingegen nicht bruchlos, die Beziehungsgeschichte gewinnt im Laufe des
Abends zu stark an Oberhand, lässt die Oper dann doch eher „alt“
aussehen. Warum? Weil einem dieser Klon nicht wirklich ans Herz wächst. Widmann und sein Librettist verlieren sich in
den Gefühlsausbrüchen der Protagonisten bis zu Patricias
verkomponierter Übelkeit und ihrem Erbrechen. Die ganze
„Startup“-Energie versandet in einem mit klanglich feingetuntem
Sopranweinen unterfütterten Ehestreit, der in „Zeitlupe“ zelebriert
wird. Als Gliederungselement, das symbolisch einen Tagesverlauf andeutet,
dient ein Frauenchor, der am Beginn eine naturnahe Morgenstimmung
beschreibt, die schnell ein flotter Arbeitsrhythmus im Griff hat. Der
Chor „kommentiert“ auch Mittag und Nacht. Die Oper endet mit einem
leisen Ausklingen. Auf den Selbstmord Justines hat Regisseur Carlos
Wagner verzichtet. Er wollte hingegen zeigen, „wie grauenhaft es sein
wird, wenn Menschen irgendwann unendlich reproduzierbar sind“
(Programmheft der Neuen Oper Wien, S. 15). Musikalisch hat es den Anschein, als habe sich Widmann letztlich in einem Klangeskapismus verloren, der zwar immer wieder spannende Effekte hervorbringt, aber eigentlich den Handlungsfortgang ausbremst. Dass die Protagonisten emotional auf der Stelle treten, ihr Wortgestammel, muss man das alles so weidlich auskosten? Aber wenn sich archaisches Handyzirpen zu einem Richard-Wagner-Klingeton zusammenpuzzelt oder der Chor das „Tickern“ der E-Mails in Kabelkanälen zu sprachakrobatischem Leben erweckt, dann ist man darob schon fasziniert – und das Erwachen des Klons, seine Dauervokalisen, die ein wenig an Walgesänge erinnerten, beweisen, dass diese Oper mit viel Liebe zum Detail gefertigt, ein Dorado für Klangfetischisten ist. Die Sänger werden dabei ziemlich gefordert. Patricias Sopran klettert mit den Börsekursen in ungeahnte Höhen, Brunos Bariton zweifelt auf hoher Tessitura an Justine, bis ihn ihre Liebe trifft, die Orchestermusiker wenden allerhand moderne Spieltechniken an bis zur artifiziellen Erzeugung von Geräuschen. Und ein Alarmanlagensignal darf einige Sekunden lang lautstark „rotieren“. Wahrscheinlich hat die Inszenierung von Carlos Wagner dem
Stück nicht weitergeholfen. Er hat die Figur der Justine geteilt: Die
Sängerin der Partie wird auf der Bühne von einer Tänzerin gedoubelt,
die mit viel Körpereinsatz die seelischen Befindlichkeiten des Klons
ausmalt. Die artifizielle Klangsprache wurde mit dieser artifiziellen
körperlichen Umsetzung „multipliziert“ – und die menschliche
Gefühlsebene von einer performanceähnlichen Akrobatik überdeckt.
Insofern staunte das Publikum mehr über die körperliche Beweglichkeit
der Darstellerin und weniger über die seelischen Schmerzen des Klons. Auch Wagner ist das „Business-Feeling“ besser gelungen, mit
rasch wechselnden Projektionen von Zahlen, Firmenlogos etc. Die Bühne
(Christof Cremer) war dafür konzipiert, hell und schlicht, formierte um
die Spielfläche weiße Bauelemente und -flächen, die alle für
Projektionen genutzt werden konnten. Die Spielfläche selbst wurde im
Hintergrund durch zwei hintereinander gebaute, weiße,
unterschiedlich hohe Wände begrenzt (die niedere Wand etwa hüfthoch),
die auch als Tisch, Pressekonferenzpodium, Schlafplatz etc. dienten.
Ein – alles in allem – eher kühles szenisches Ambiente, mehr geeignet
für Businessrituale und weniger für sich aufschaukelnde Emotionen. Die Aufführung bewegte sich insgesamt auf dem gewohnt hohen
Niveau der Neuen Oper Wien. Roxane
Choux als Patrizia, ihr Ebenbild, gesungen von Ana Catarina Caseiro, Wolfgang Resch als Bruno sowie Georg Klimbacher als Milton und die
Damen des Wiener Kammerchors sorgten zusammen mit dem amadeus
ensemble-wien unter Walter Kobéra
für eine beeindruckende Umsetzung. Die
Tänzerin Eszter Petrány zeigte als zweite Justine eine
faszinierende Körperbeherrschung. Die etwa bei der Hälfte abgeteilte
Halle E im Museumsquartier war zu rund zwei Drittel gefüllt. Das
Publikum spendete dankbaren Schlussapplaus. PS: Dass – wie in Zeitungen zu lesen war – Walter Kobéra mit dieser Saison aufhören möchte, ist einerseits verständlich (er macht den Job seit rund 30 Jahren) hat aber durch die seltsame Entscheidung der von der Stadt Wien eingesetzten Wiener Theaterjury vom Februar 2021, der Neuen Oper Wien wichtige Fördergelder zu streichen, einen bitteren Beigeschmack. Niemand hat sich in dieser Stadt über Jahrzehnte so konsequent um die zeitgenössische Oper gekümmert wie die Neue Oper Wien. Durch das Nachspielen von Werken vieler namhafter Komponisten hat sie die Herausbildung eines zeitgenössischen Opernrepertoires angeregt und durch Gastspiele war es nicht nur dem Wiener Publikum möglich, einen repräsentativen Querschnitt aktuellen Opernschaffens kennenzulernen. Ein Punkt, den die großen Häuser sträflich vernachlässigen. Hoffentlich findet sich eine Möglichkeit, diese wichtige Arbeit fortzuführen. Das Ende der Neuen Oper Wien würde eine große Lücke hinterlassen. |