OBERON
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Theater a.d. Wien
13. Mai 2019
Premiere

Dirigent: Thomas Guggeis

Regie: Nikolaus Habjan
Bühne: Jakob Brossmann
Kostüme: Denise Heschl
Licht: Michael Bauer

Wiener Kammerorchester
Arnold Schönberg Chor

Oberon - Mauro Peter
Titania - Juliette Mars
Rezia - Annette Dasch
Fatime - Natalia Kawalek
Hüon - Vicent Wolfsteiner
Scherasmin - Daniel Schmutzhard
Meermädchen - Jenna Siladie

Sprechrollen
Erster Puck - Manuela Linshalm
Zweiter Puck - Daniel-Frantisek Kamen
Dritter Puck - Sebastian Mock


„Enttäuschender Rettungsversuch“
(Dominik Troger)

Die letzte Premiere der laufenden Spielzeit im Theater an der Wien galt Carl Maria von Webers „Oberon“: eine romantische Feenoper in drei Akten, uraufgeführt 1826 in London. Es handelt sich um eine Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper München.

Die Inszenierung wurde erstmals bei den Münchner Opernfestspielen 2017 gezeigt und stammt vom „Puppenspieler“ Nikolaus Habjan. Sie erntete in der deutschen Kritik Schlagzeilen wie: „Rettungsversuch: Weber in der Psychoklinik“ (Neue Musik Zeitung), „Psycho-Klamauk“ (Bachtrack.com), „Die Hormone regeln das“ (BR Klassik), „Lusttötende Liebe im Labor“ (Die Welt) – und dem ist eigentlich wenig hinzuzufügen. Recht viel mehr als ein bemühter „Rettungsversuch“ ist dieser, für Wien musikalisch in (fast) neuer Besetzung erarbeiteten Produktion kaum zuzugestehen.

Was ist der „Oberon“ überhaupt: Singspiel? Semiopera? Revue? Jedenfalls eine Mixtur aus Schauspiel und Nummernoper, mit Chor- und Tanzszenen und einer mittelalterlichen Feen- und Ritterhandlung, die ein Puppenspieler schon reizvoll finden kann. Der Feenkönig Oberon sucht ein Menschenpaar, dass sich treu bleibt, und dabei allen widrigen Lebensumständen und Verführungsversuchen trotzt. Der Ritter Hüon und die Kalifentochter Rezia sind dieses beispielgebende Paar, an dem sich auch die erkaltete Liebe zwischen Oberon und Titania wieder erwärmen soll. Die heterogene Anlage des Stücks hat im Laufe seiner Wirkungsgeschichte zu vielen Bearbeitungen geführt (unter anderem von Gustav Mahler), aber richtig durchsetzen konnte es sich nie. Im Theater an der Wien wird es in der deutschen Bearbeitung von Theodor Hell gespielt, einem Zeitgenossen Webers. Die gesprochenen Texte wurden modernisiert und dem Regiekonzept angepasst.

Nun könnte man einwenden, Habjan habe hat das eigentlich ganz gut hinbekommen. Für die Szenen am Kalifenhof und in Tunis hat er seine Puppen samt Spieler aufmarschieren lassen, und diese Handlungsebenen dadurch mit einigem Witz deutlich herausgearbeitet – und die Menschenversuche im Labor des Professor Oberon haben dem kritischen, aktualisierten Aspekt heutigen Musiktheaters gehuldigt und Webers Feenmärchen durch Wissenschaftskritik und (vor allem) -satire zu einem modernen „Revival“ verholfen. Dass sich der Abend nach der Pause trotzdem in die Länge zog (Gesamtspieldauer knapp drei Stunden), könnte dem Stück angelastet werden (oder dem Dramaturgen, der dem bekannten Schlachtruf: „Tinte, Feder, einen Rotstift“ mehr hätte huldigen müssen).

Das Bühnenbild mit dem „Labor“, das ein wenig an das Innere eines Kraftwerks aus den späten Nachkriegsjahren gemahnte, mit großen Schaltpulten und einer Schaltrampe ausgestattet, wurde u. a. durch Projektionen und einschiebbare Kulissen aufgebrochen („kartoneske“ Meereswogen etwa, die man aus den Schaltschränken zieht, sind eine nette Verfremdungsidee). Das Chaos in diesem „Experimentierkasten“ nahm allerdings phasenweise psychiatrische Züge an – und wenn sich mehrmals hinter den an die Rampe bewegten Sängerinnen und Sängern ein Vorhang senkt, dann werden auch Lücken im szenischen Konzept spürbar.

Habjans Problem, wenn man das so schreiben kann, lag vielleicht darin, dass er den Puppen zu wenig vertraut hat: Oberon als „Puppentheater“ im klassischen Sinn hätte vielleicht besser funktioniert, als diese Mischform, bei der die beiden Liebespaare Rezia & Hüon, Fatime & Scherasmin als Versuchspersonen in von Oberon pharmakologisch indizierten „Liebes-Räuschen“ ihre Abenteuer phantasieren. Schließlich spritzt sich sogar Oberon „nieder“ und überlässt das Experiment einer hemmungslosen Titania, die dazu bereit ist, das Leben der vier Versuchspersonen aufs Spiel zu setzen.

Dass die Regie dem Werk nicht (!) vertraut hat, lässt sich zumindest daran ablesen, dass man aus drei Akten zwei Teile gemacht hat und an der Platzierung und Verinszenierung der Ouvertüre. Die Pause nach dem Sturm, der zum Schiffbruch führt, war zudem ungünstig gewählt: Sinnvoller wäre es gewesen, die Pause schon nach der Einschiffung anzuberaumen, um den von den Naturgeistern beschworenen Schiffbruch und das Erwachen sowie das Schicksal der Gestrandeten in einem sinnvollen Ganzen abzuhandeln.

Die Ouvertüre nicht als „Entree“ zu wählen, sondern sie nach der ersten Szene zu spielen, war ein noch viel größerer Missgriff. Diese Ouvertüre ist eines von Webers Meisterstücken – sowohl in der thematischen Ausarbeitung der aus der Oper genommenen „Motive“, als auch in ihrer stimmungsvollen, szenisch gedachten Hinwendung des Publikums auf die kommende Handlung. Bereits die ersten vier Takte öffnen das Tor ins Feenreich, das Solohorn ist der magische „Schlüssel“ und in den Streichern antwortet sinnlich das Märchen, so wie ein Frühlingssehnsucht erregender Sonnenstrahl durch eine sich öffnende Türe fällt. Die Begründung für sein Vorgehen gibt Habjan im Programmheft – und sie spricht für sich: man habe szenisch „den Vorbereitungsprozess im Labor zeigen“ wollen.

Leider hat die musikalische Umsetzung diesen szenischen Verwirrungen und Verirrungen zu wenig „Substanz“ entgegengesetzt. Für die größte Enttäuschung des Abends sorgte nach meinem Eindruck das Wiener Kammerorchester unter dem Dirigenten Thomas Guggeis. So wie das Orchester in die erste Szene „hineinstolperte“ verlief zum Glück nicht der ganze Abend, aber dieses zu undifferenzierte, zu grobe Spiel, diese Missachtung, der in der Musik von Weber zart und mit tänzerischem Esprit abgebildeten Elfenwelt machte schon die Ouvertüre zu einem in ihrem formalen Anspruch kaum ausgeleuchteten, lieblos und zu laut präsentierten Stück.

Das Wiener Kammerorchester ist in kleiner Besetzung der Kammeroper zwar eine Stütze, vor allem für das Repertoire des Barocks und der Klassik, aber diesmal, im viel größeren Haus, fehlte es offenbar an der gestaltenden Kraft, die hörbar vorhandene solistische Kompetenz zu einer feinfühligen musikalischen Wiedergabe anzuregen. Zudem mangelte es an Klangfarben und am musikalischen Witz. (Man denke nur an die Holzbläser-Staccati in der Ouvertüre, an diese trippelnden Elfenschritte, die plötzlich in den sehnsuchtsvollen Märchenbeginn hineinmarschieren. Handelt es sich nicht um eine manchmal fast schon impressionistisch kolorierte Geschichte, die von Weber erzählt wird, und die das Orchester hätte erzählen müssen?) Das Ergebnis lieferte sich in seiner interpretatorischen „Gleichförmigkeit“ viel zu stark der Szene aus, die den „romantischen Gehalt“ dieses Werkes negierte. Gut, vielleicht war das auch Absicht. Die Musik ist an den Opernhäusern, so hat man manchmal den Eindruck, ohnehin nur mehr der geduldete Erfüllungsgehilfe inszenatorischer „Hochstapeleien“.

Aber auch mit den Solisten war es nicht zum allerbesten bestellt: Annette Daschs Sopran (eine der wenigen „Übernahmen“ von der Münchner Produktion) zeigt in der Höhe inzwischen zu deutliche Erosionserscheinungen, und der sinnliche anrührende Charme der Rezia war weniger die Stärke dieses Organs, das andererseits über genug stimmliche Präsenz verfügte, um – pointiert formuliert – im „ungeheuren Ozean“ nicht unterzugehen. Die Ausgewogenheit zwischen lyrischem Fluss und heroischem Anteil war nur bedingt die Sache von Vincent Wolfsteiners Hüon. Sein Tenor dürfte von Natur aus etwas trocken, etwas hell klingen und sich schnell auch einmal ein bisschen greller Färben. Das „Von Jugend auf im Kampfgefild“ gelang achtbar und das zählt bei dieser heiklen Arie schon viel – auch wenn ihm ihre belcanteske Wendigkeit sowie der lyrische Mittelteil weniger zu behagen schienen. Insgesamt sang er für meinen Geschmack mit zu viel „Druck“, sich stimmlich zu stark bei Richard Wagner verortend.

Natalia Kawalek hat den seelenvollen naiven Liebreiz der Fatime auch nicht wirklich realisiert. Die Sängerin stammt aus dem jungen Ensemble des Theaters an der Wien – und an der Kammeroper hat ihr Mezzo nach meiner Erinnerung „runder“ geklungen, als an diesem Abend. Daniel Schmutzhard machte aus dem Scherasmin ansatzweise einen polternden Papageno, aber die Partie ist jetzt kein „Burner“. Mauro Peter konnte als Oberon seinen lyrischen Tenor nicht wirklich „in die Auslage“ stellen, war als überdrehter Wissenschaftler aber darstellerisch genug gefordert, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Juliette Mars sang als eigensinnig überdrehte Titania die Arie des Puck, auch eine regiebedingte Umstellung. Der Puck war übrigens auf drei Sprechrollen – die manchmal etwas nervenden Assistenten von Oberon – aufgeteilt worden. Der Arnold Schönberg Chor bewährte sich wieder stimmlich und schauspielerisch. Missfallensrufe gab es keine, sondern viel Premierenjubel.

Fazit: Eine semi-konzertante Aufführung, etwa in der Art wie unlängst Webers „Peter Schmoll“ mit Nikolaus Habjan als Erzähler (ebenfalls im Theater an der Wien), wäre ausreichend gewesen. Aber wenn man die Chance einer Koproduktion hat, warum soll sie nicht genützt werden?

PS: Die Mitwirkenden trugen Mikroports, wie offenbar auch schon in München – vielleicht wegen der Puppenspieler? Die Stimmen klangen jedenfalls auffallend laut.