DER FREISCHÜTZ
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Theater an der Wien im Museumsquartier Halle E
27. März 2023

Musikalische Leitung: Patrick Lange

Inszenierung und Bühne: David Marton
Mitarbeit Bühne: Charlotte Spichalsky
Kostüm: Pola Kardum
Licht: Miriam Damm
Video: Chris Kondek

Wiener Symphoniker
Arnold Schoenberg Chor (Leitung: Erwin Ortner)

Eine Koproduktion mit dem Teatro Real Madrid

Fürst Ottokar - Dean Murphy
Agathe / Samiel - Jacquelyn Wagner
Ännchen - Sofia Fomina
Kaspar - Alex Esposito
Max - Tuomas Katajala
Kuno - Guido Jentjens
Eremit - Levente Páll
Kilian - Viktor Rud
Brautjungfern - Lilya Namisnyk, Petra Kukkamäki, Katharina Linhard, Sladja Raicevic


„Willkommen im Kino“
(Dominik Troger)

„Der Freischütz“ als „Agathes Albtraum“? Zumindest einige Besucher dürften die neuen „Freischütz“-Produktion des Theaters an der Wien im Ausweichspielort des Museumsquartiers als „Albtraum“ empfunden haben: Denn es ist bemerkenswert, dass es nach einer dritten Vorstellung noch Buhrufe gibt. Die Premiere ist bereits letzten Mittwoch über die Bühne gegangen.

Was sich Regisseur David Marton ausgedacht hat, ist grundsätzlich nicht ohne „Hand und Fuß“. Für ihn steht Agathe im Mittelpunkt der Handlung, einer albträumende Agathe. Und eignet sich das Medium Film nicht bestens für die Vergegenwärtigung unterschiedlicher Bewusstseinszustände? Schlafen und Wachen, Sehnsüchte und Wünsche, alle Arten von Angstvorstellungen, getriggert von Horrorvisionen und „Suspense mode“ – der deutsche Wald wird zur düsteren Brutstätte jungfräulicher Hochzeitsfurcht und satanesker Jünglingsverführung. Die video-technische Seite dieser Produktion ist deshalb eng mit dem dramaturgischen Grundkonzept verknüpft: Fordert „Agathes Albtraum“ doch zur Introspektion heraus, zu einem Ein- und Überblenden seelischer Zustände und Abgründe, zu einer multiplen visuellen Gegenwart Agathens, in Ännchen gespiegelt, Wahnbilder voll.

Zwar ist der extensive Videoeinsatz auf dem Theater – und in der Oper sowieso – problematisch, aber die Regie hat in diesem Fall keine halbe Lösung präsentiert, sondern mit unerbittlicher Konsequenz die „Live-Oper“ filmisch aufbereitet. Die halbtransparente Projektionswand deckte die gesamte (!) Bühnenbreite ab, die Sänger plus Chor agierten dahinter und wurden von Kameras gefilmt. Die Bilder wurden projiziert, zum Teil verfremdet, mit Zuspielungen garniert. Die Bühnenaktionen wurden ausgespielt, manchmal fast zu langatmig. Es wurde im Wesentlichen klassisches „Kino“ geboten und dem Publikum keine pseudokünstlerische „Multimedia-Perfomance“ aufs Auge gedrückt. Man ahnte im sorgsamen Minenspiel Agathens das minutiöse Drehbuch: Die Mitwirkenden waren darstellerisch großartig, brauchten die Nahaufnahme nicht zu scheuen. Aber geht man in die Oper, um sich einen Film anzuschauen – und sei er noch so gut gemacht?

Der Abend begann eigentlich ganz vielversprechend und ohne verinszenierter Ouvertüre. Die Handlung war in einer dörfliche Umgebung im 19. Jahrhundert angesiedelt, der Regisseur hat sich nicht gescheut, sogar den Wald auf die Bühne zu bringen. Die Leugnung oder die Ironisierung des starken Naturbezugs von Opernhandlungen ist seit vielen Jahren ein großes Manko zeitgenössischer Inszenierungen – gerade auch beim „Freischütz“. Grünes Blattwerk im „Filmstudio“ ist also eine erfrischende „Innovation“. Dass Agathe den ganzen ersten Akt durch die Bilder geistert, ergab sich aus dem Konzept. Das war zwar entbehrlich, aber ganz gut gelöst. Kaspar als Fotograf mit Kriegstrauma, daran hätte man sich auch nicht gestoßen. Befremdlich war, dass die Mitwirkenden die Dialoge nicht in Deutsch, sondern in ihrer Muttersprache zum Besten gaben: ein Sprachengewirr aus Deutsch, Englisch, Russisch, Italienisch, Finnisch, Ungarisch, Ukrainisch war die Folge.

Der zweite Akt war nicht mehr so konsequent gebaut und als Ännchen alias Agathe begann, Puschkin zu rezitieren, wuchs sich die angesprochene Sprachenverwirrung zu einer „Sinnesverwirrung“ aus. Und wenn Max Ännchen küsst und man vergessen hat, dass in dieser Inszenierung Ännchen und Agathe eigentlich dieselbe Person sein sollen, dann steigt die Verwirrung weiter an. Die Idee, dass Agathe in der Wolfsschluchtszene albtraumhaft zum Teufel mutiert, passte zum Konzept, nagte aber stark an ihrer taubenhaft weißen Unschuld. Mir persönlich war das zu „psychologisch“ gedacht. Die Teufelsbeschwörung in der rotlichtigen Dunkelkammer des Fotografen Kaspar war an sich schon seltsam genug, angefüllt mit eingespielten Naturkatastrophen, ergänzt um eine klima(un)freundliche Dosis an „Zeitgeist“.

Aber wer in den „Freischütz“-Wald hineingeht, sollte sich bereits vorher überlegen, wie er aus ihm wieder herausfindet – und David Marton hat aus dem Wald nicht mehr herausgefunden. Am Schluss flüchtete er – den von ihm geknüpften Agathe-Knoten auf höchst unbefriedigende Art durchtrennend – in eine quasi konzertante Aufführung, die von sinnentleert wirkenden Videoquenzen übermalt wird: Chor und Ensemble stehen wie vergessen hinter der Projektionsfläche herum, während bühnenbeherrschend Bilder aus Wien über die „Leinwand“ flimmern: die Umgebung des Karlsplatzes wird abgegangen, Bilder vom Straßenverkehr, Badnerbahn und 62er, die Staatsoper, die Werbung eines (nicht mehr) österreichischen Telekomanbieters, Preisschilder in Auslagen, ein Kinoportal, ein Würstelstand: Agathe ist Wüstelbudenfachfrau und Max ihr Kunde. Ein armes Würstel ist, wer sich um solcher „Botschaft“ willen eine Eintrittskarte kauft. Kein Wunder also, wenn nicht nur am Premierenabend so manchem Besucher die Zornesader schwoll.

Alle Nachteile solch filmischer „Überschreibungen“ wurden im Laufe des Abends deutlich sichtbar: Die Optik lenkt das Publikum von der Musik ab, setzt andere, neue, gemessen an der Partitur, falsche Akzente. Die Musik hat sich nach der Optik zur richten – und begrenzt den musikalischen Interpretationsspielraum der Akteure. Die Wirkung der Sängerinnen und Sänger auf das Publikum ist nicht mehr unmittelbar, sondern medial vermittelt. Das Publikum wird durch die Bildregie und Nahaufnahmen viel stärker manipuliert – oft auch – wie an diesem Abend – massiv gegen den eigentlichen emotionalen Gehalt der Musik. Ein Beispiel sei genannt: Der Brautchor wurde filmisch als albtraumhafte Vision Agathens umgesetzt, der naive, kecke Charme des Chores negiert, die eigentliche Pointe der Vertauschung des Jungfernkranzes mit der Totenkrone ging verloren.

Bemerkenswert war auch die Verzeichnung des Ännchen, hier als Seelenanteil Agathens interpretiert. Ännchen spielt im „Freischütz“ eigentlich die Rolle einer unbekümmerten, mit robuster Vernunft ausgestatteten Frau, die Agathens romantische Überspanntheit – wie etwa beim Lied vom „Kettenhund“ (in dieser Produktion seltsamer Weise als Vortrag in einem Salonkonzert inszeniert) – immer wieder in die Schranken weist. Ännchen bereitet mit ihrem „Pragmatismus“ das Publikum auf die Entscheidung des Eremiten vor, der im Finale den ganzen „Probeschuss“-Zauber abschafft. Das Finale der Oper ist – trotz seines gesellschaftspolitisch restaurativen Anstrichs – ein Akt der Vernunft. Plötzlich leuchtet in der von schwerem Aberglauben durchwölkten Düsternis des deutschen Waldes ein ganz starkes Licht der Aufklärung! An diesem Abend leuchtete im „Freischütz“-Finale die armselige Werbeschrift eines Würstelstandes. Wenn solche Diskrepanz keinen Unmut auslöst, was dann?

Musikalisch war es nicht vom Allerfeinsten. Die Wiener Symphoniker hat man schon spielfreudiger und klangsinnlicher gehört (die Hörner nicht so perfekt wie erhofft.) Patrick Lange am Pult drückte schon in der Ouvertüre etwas schwerfällig aufs Gemüt und schien insgesamt durch die Verfilmung in der Spontanität eingeschränkt. Das Finale zog sich stark in die Länge, abgestimmt mit der Videoeinspielung, deren Inhalt mit dem „Freischütz“ nichts mehr zu tun hatte. (Aber solche „Inseln größerer Langeweile“ waren schon den ganzen Abend über am Auditorium vorübergezogen.) Dass das Finale einiges zu bieten hat, die Aufregung des Volkes, Kaspars Untergang, den um Vergebung heischenden Max und natürlich den Eremiten, der mit Kraft und Würde der Oper das „Licht“ aufzusetzen hat, konnte man aus der musikalischen Wiedergabe nur mehr vage herauslesen. Dazu hätte es nicht nur eines stimmlich gewichtigeren Eremiten bedurft, als ihn Levente Páll einzubringen vermochte.

Jacquelyn Wagner ließ einen ansprechenden „Agathesopran“ hören, allerdings klang er etwas unstet, fand nicht ganz zu der erhofftem, silbern ummantelten Klarheit mit der der naiven Braut die Sternlein aus nächtlichem Himmel in die Waldeskühle herabfunkeln. Ihr Ersehnter (Tuomas Katajala) warb mit zu schmelzlosem Tenor um sie, eine Stimme, die in kalten Jagdnächten offenbar ein wenig spröde geworden ist. Alex Esposito gab einen überzeugenden Bösewicht, dem die Begegnung mit den übernatürlichen Kräften etwas mehr Pathos hätte abringen können. Sofia Fomina war als Ännchen von der Regie dazu gezwungen, gerade nicht ihre erfrischende Lebensart zu präsentieren. Ihre Stimme war mir eine Spur zu dunkel, kein heller, gewitzter „Spielsopran“. Guido Jentjens verlieh dem Kuno Autorität – Dean Murphy steuerte den Ottokar bei, dazu gesellte sich noch Viktur Rud als Kilian. Kurzen Szenenapplaus für Agathe und Ännchen gab es erst nach der Pause.

Den drei Kameraleuten, die während der Vorstellung die Einspielung der Live-Videos besorgen mussten, schlug beim Schlussbeifall unüberhörbarer Missmut entgegen. Sie wurden in Stellvertretung für das Regieteam abgestraft, das bei einer Reprise für das Auditorium natürlich nicht mehr „greifbar“ ist. Ein Teil des Publikums verließ relativ rasch die nicht ganz vollbesetzte Halle, ein Teil spendete den Mitwirkenden dann noch überraschend langen Applaus.

In der Publikumseinführung vor Beginn der Vorstellung wurde die Inszenierung betreffend von einem szenischen „Experiment“ gesprochen – eine Bezeichnung, die vielleicht den vielen schlechten Premierenkritiken geschuldet war? Den Hinweis, dass diese „Videostrecke“ bei Neuproduktionen nicht andauern soll, hat man als inszenierungsgeplagter Opernbesucher mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Gefreut hätte man sich nach der Vorstellung über eine Gratiswurst (von mir aus auch vegan), die der Intendant höchstpersönlich aus dem Kessel fischt: Stefan Herheim wird sich für die kommende Saison etwas einfallen lassen müssen, um die Abonnenten bei der Stange zu halten.