DER FREISCHÜTZ
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Staatsoper
11. Juni 2018
Premiere

Dirigent: Tomás Netopil

Regie: Christian Räth
Ausstattgung: Gary McCann
Licht: Thomas Hase
Choreographie: Vesna Orlic

Agathe - Camilla Nylund
Ännchen - Daniela Fally
Caspar - Alan Held
Max - Andreas Schager
C uno - Clemens Unterreiner
Kilian - Gabriel Bermúdez
Eremit - Albert Dohmen
Ottokar - Adrian Eröd
Samiel - Hans Peter Kammerer
Brautjungfer - Anna Lach, Daliborka Miteva, Viktoria Schwindsackl, Younghee Ko


„Weit daneben!“
(Dominik Troger)

Ein Jägerbursche wird zum Komponisten, eine Försterstochter zur Sängerin – dergleichen soll vorkommen. Die Wiener Staatsoper versucht sich am „Freischütz“ und scheitert gewaltig. Der Premierenabend amüsierte phasenweise mit unfreiwilliger Komik und enttäuschte auch musikalisch.

Geht es nach Christian Räth, dem Regisseur der neuen Staatsopernproduktion (Interview im Programmheft zur Aufführung), dann besucht das Publikum den „Freischütz” heutzutage vor allem wegen der Musik und nicht mehr aus Sympathie mit dem biedermeierlichen Jägerburschen – und wahrscheinlich hat Räth mit dieser Diagnose sogar recht. Die Schauerromantik der Handlung mit ihren unglaublichen Zufällen, das biedere Libretto, der restaurative Schluss lassen die Oper nicht gerade „modern“ wirken. Aber sogar Carl Maria von Webers Musik scheint dort, wo sie am „Volkstümlichen“ anknüpft, schon ein wenig „abgespielt“. Den „Freischütz“ mit neuem Leben zu erwecken, ohne dass es altbacken wirkt, und ihn aufgefrischt einem heutigen Publikum zu präsentieren, ist eine große Herausforderung.

Die letzten „Freischütz“-Premieren in Wien gab es 2007 an der Volksoper (eine solide, etwas ironisierende Inszenierung von Marco Arturo Marelli) und 2010 im Theater an der Wien (erste, recht zahme Opernregie von Stefan Ruzowitzky). Die letzte Premiere des Werkes an der Wiener Staatsoper ging im Jahr 1995 über die Bühne und „schenkte“ dem Haus eine nüchterne Inszenierung von Alfred Kirchner, die sich nur wenige Jahre am Spielplan halten konnte.

Die hier besprochene Neuinszenierung grenzt sich von den genannten insofern ab, als der „Freischütz” von Carl Maria von Weber überhaupt nicht mehr zur Diskussion steht. Räth hat eine eigene Handlung erfunden (Max als Komponist), die weder zur Musik noch (trotz Anpassungen) zum Libretto passt. Aus der „Schussangst“ wird eine „Schreibhemmung“ – also eine „Künstlerkrise“. Räth lässt die Handlung in einer kostümierten, zeitlosen Vergangenheit spielen (mit Anklängen an das 19. Jahrhundert). Er hat beim Komponisten Max an den Komponisten des „Freischütz“ selbst, also an Carl Maria von Weber gedacht. Notenblätter, auch gestapelt, sind deshalb in dem requisitenarmen, von Glaswänden eingefassten, sich im Hintergrund verengenden Einheitsbühnenbild allgegenwärtig, und zumindest ein Klavier steht auch immer herum.

Nicht nur diese Idee, sondern auch ihre mangelhafte Ausführung haben der Neuproduktion bereits im ersten Akt den Todesstoß versetzt (Buhrufe gab es schon in der ersten Lichtpause): Die mit „händeringender“ Outrage vorgebrachten Sprechpassagen verliehen der Aufführung viel unfreiwillige Komik – und auch der Anblick von Max, der entweder dirigierend mit den Händen wachelte oder verkrampft auf eine „Inspiration“ wartete, um dann seine Einfälle aufzuschreiben, ermüdete rasch.

Angereichert wurde dieses Konzept um ein paar „Seltsamkeiten“: ein koboldartiges, im Auftreten mehr an die 1920er-Jahre erinnerndes Ännchen mit Silberkurzhaarperücke und leicht lesbischen Anwandlungen; eine Wolfsschlucht mit einem brennenden Klavier und ein paar kostümierten „Rabengeistern“, in der Max komponiert und statt Freikugeln zu gießen Notenblätter vollschreibt, die dann im Klavier verbrannt (!) werden; einem aggressiven Jägerchor, der Max unter das Klavier jagt etc. Caspar wirft sich im Finale in den Schuss, und als Höhepunkt schwebt der Eremit im Glasluster stehend vom Schnürboden herab. Letztlich verweist Muse Agathe Max (wie den Offenbach’schen Hoffmann) auf sein künstlerisches Schaffen. Es wäre immerhin zu erwarten gewesen, dass Räth die Charaktere der Figuren besser herausarbeitet, aber statt „Psychologie“ gab es nur „Pose“ – und die Hände der Ausführenden wurden mit Notenblättern beschäftigt oder mit „Komponierbüchln“. Ein paar Mal wurde seltsamer Weise in diesem überdimensionalen Staatsopernbühnenmusikzimmer sogar geschossen.

Die mangelnde psychologische Durchdringung hat sich auch negativ auf die musikalische Darbietung ausgewirkt: Alan Held war mit mäßigem Deutsch und Ausdruck und zu hellem Organ ein harmloser Caspar; ein anderer Regisseur hätte Andreas Schager im Ausdruck vielleicht zu mehr Raffinesse verholfen, aber seine hausfüllende heldische Prachtstimme war der „Leckerbissen“ des Abends. Camilla Nylund wäre vor zehn Jahren eine ideale Agathe gewesen, inzwischen ist ihr Sopran für die Partie wohl schon zu gereift. Die Sängerin war aber bestrebt, den Charakter Agathens, ihre naiv-erregbare Seele zumindest musikalisch auszumalen, und bei ihren Arien entwickelte sich immerhin ein Abglanz jener „jungfräulichen“ Poesie, die Weber einst vorgeschwebt haben mag und die seine Zeitgenossen so entzückt hat.

Daniela Fally klang als Ännchen leider nicht so frischerblühend wie erhofft (diese Rolle hat durch die Inszenierung stark an Charme eingebüßt). Adrian Eröd war ein trockener, fast verbissener Ottokar; Clemens Unterreiner ein leicht parodistische Züge annehmender Cuno; Gabriel Bermúdez ein zu markanter Kilian; Albert Dohmen ein auch stimmlich wenig Autorität versprühender Eremit. Samiel darf in der Wolfsschlucht mal kopfüber von der Decke baumeln: schwindelfrei, aber mit verstärkter Stimme Hans Peter Kammerer.

Das Orchester unter Tomás Netopil hinterließ einen zwiespältigen Eindruck, fand zwar zu romantischem Wohlklang, der aber phasenweise zu stark die ländliche Leichtigkeit der Weber'schen Musik beschwerte. Der Chor war nicht nur im Bühnenverhalten, sondern auch im Gesang auf „forsch" getrimmt.

Bereits mit dem Fallen des Vorhangs ging ein kleiner Buhorkan los. Die Buhrufe gegen das Regieteam waren massiv, auch Held, Fally, Netopil wurden mit einigen Missfallenskundgebungen bedacht. Unumstrittener Publikumsliebling des Abends war Andreas Schager, der sich über viele Bravorufe freuen durfte.