DER FREISCHÜTZ
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Theater an der Wien
19.4.2010
Premiere

Dirigent:Bertrand de Billy

Inszenierung: Stefan Ruzowitzky
Bühne: Renate Martin & Andreas Donhauser
Kostüme: Nicole Fischnaller
Dramaturgie: Anton Maria Aigner
Licht: Peter van Praet
Video: Fritz Fitzke

Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor

Agathe - Elza van den Heever
Ännchen - Mojca Erdmann
Kaspar - Falk Struckmann
Max - Simon O'Neill
Kuno - Martin Snell
Kilian - Dominik Köninger
Eremit - Artur Korn
Ottokar - Henk Neven
Samiel - Karl Markovics
Brautjungfer - Petra Barathova, Judith Halász,
Jaroslava Pepper, Alice Rath


„Fehlgeschossen?“
(Dominik Troger)

Gemessen am Medienrummel im Vorfeld hätte diese Premiere einer der „ultimativen“ Opernabende der Saison werden müssen. Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky inszeniert seine erste Oper! Vielleicht hätte er sie besser verfilmt?

„Der Freischütz“ hat es schwer. Das Libretto wirkt auf heutigen Ohren ein wenig albern und altbacken, und die unglaublichen Kette an vorbedeutenden Zufällen, die Agathe verunsichert, muss man als Zuschauer erst einmal „verkraften“. Die Schauerromantik erinnert stark an den unfreiwillig als Gespenst gedeuteten „Kettenhund“, den Ännchen in ihrer Arie besingt, die Auflösung der Handlung an restauratives Fürsten- und Gottvertrauen.

Natürlich gibt es einen aufklärerischen Aspekt, der das Hinterfragen von althergebrachten Traditionen betrifft. Es gibt ein psychologisches Element, das dem „Freischütz“ Stichworte wie „Initiationsdrama“ oder „Versagensängste“ zuweist, aber wie soll man das visualisieren, ohne dem biederen Charakter der handelnden Figuren Gewalt anzutun? Deshalb besteht der „Freischütz“ heutzutage vor allem in der Musik, die teilweise „archetypischen“ Status erlangt hat – und die, wie man an diesem Abend besonders gut hören konnte, sehr viel von Beethoven genommen und an Wagner „durchgereicht“ hat.

Wenn sich also ein Filmregisseur als Opernerstling gerade am „Freischütz“ versucht, dann ist das sehr mutig. Doch der Intendant des Theaters an der Wien, Roland Geyer, hat Stefan Ruzowitzky diese Chance eingeräumt – und es wurde ein unspektakulärer, in einigen Szenen doch eher unbedarft wirkender Opernabend.

Am Beginn besann sich Ruzowitzky auf seine Stärken, um sie dann gleich wieder „ad acta“ zu legen. Wenn er den Abend mit einer Stummfilm-Sequenz auf den „Freischütz“ beginnt, die im „echten“ Bühnenbild abgedreht worden ist, dann hätte sich dergleichen als Konzept für eine durchgängige Stilgebung angeboten. Aber dieser filmkünstlerische Schwarz-Weiß-Diskurs über Herzschmerzrührung im Groschenromanformat blieb solitär. Der zweigeteilte Film erzählte zu Klavierbegleitung, und dann zu den Orchesterklängen der Ouvertüre, die Vorgeschichte des später Max und Agathe beistehenden Eremiten. Samiel selbst durfte sich ans Klavier bemühen, sehr teuflisch hat er dabei nicht gewirkt. Die letzte Filmszene leitete über zu einer kurzen Bühnensequenz – Agathe nimmt Abschied vom Eremiten – ehe dann die Opernhandlung einsetzte.

Der Bühnebau platzierte ein aus grauschwarzen Quaderelementen gebildetes „Gebirge“ auf die Drehbühne, das von dunklen Baumstämmen mit kahlen Astsprossen „verziert“ wurde. Es gab Wände, Stiegen, Vorsprünge und Abgründe. Die Szenen in Agathes „Eulennest“ wurden nach Bedarf eingepasst: zuerst der Lehnstuhl mit den Spitzendeckchen, das Bild mit dem schlechten Nagel, im zweiten Akt im „ersten Stock“, Agathes hell gehaltene Kammer im dritten Akt mit Bett und Puppen als Parterrezimmer. Besonders ansehnlich war das alles nicht, aber der Bühnenraum wurde zumindest in der dritten Dimension gut genützt. Die Wolfsschlucht wurde klassisch realisiert, mit düsterem Ambiente, Bühnennebel, Geistererscheinungen. Zum Gießen der Freikugeln wurde ein satanistische Orgie mit nacktem Fleisch geboten, in die sich Samiel mit verspieltem, hellfliederfarbenen Seidenanzug, eben solchem Zylinder und hohen Plateauschuhen drängte. Das wilde Heer glühte mit grünleuchtenden Punktaugen vom „Felsabsturz“ in die düstere Schlucht.

Die Kostüme hüllten die Frauen in Schwarzweiß, waren flott geschneidert, ein wenig südländisch anmutend; die Jäger gingen mit rotnahtigem, sonst schwarzem Gewande zum Probeschießen. Max marschierte etwas ärmlicher gekleidet über die Bühne: Ob beabsichtigt war, dass seine schwarzen Stutzen dauernd ins Rutschen kamen? Ännchen war modern und modisch angezogen, Agathe ziemlich großmütterlich – ein wenig passender Kontrast.

Sehr nett machten sich die Naturgeräusche, die durchs Hause huschten, Grillengezirpe von der Bühne, ein Scherzbold im Zuschauerraum könnte sich, gewiss ohne entdeckt zu werden, als Käuzchen oder Uhu versuchen. Schüsse wurden warnungshalber per Anschlag im Foyer angekündigt, auch Aromen, die das Haus mit Gerüchen erfüllen sollten. Die Schüsse waren nicht sehr laut und gerochen habe ich nichts.

In diesem „Outift“ entwickelte sich die Handlung sehr konventionell und nacherzählend, von Drogenexzessen oder dergleichen war nichts zu merken – offenbar waren im Vorfeld einige Interviewaussagen Ruzowitzkys missinterpretiert worden. Im Gegenteil, der Oscar-Preisträger zeigte viel Respekt vor dem Werk, die einzigen Drogen, die auf der Bühne kreisten, waren Wein und Schnaps.

Während die Choreographie der Volksszenen zumindest nicht misslang, etwa eine schwungvolle Rauferei am Beginn, wirkten andere „Einfälle“ befremdlich (wenn sich Ottokar vom Chor deutlich genervt zeigt, mit "Pst, Pst" zur Ruhe drängend, oder der Auftritt der Brautjungfern mit rotem Minimieder für Agathe und dem Schnapsfläschen im Strumpfbandgürtel). Überhaupt nicht zur Geltung kam Samiel: dekadent, ein wenig popstargemäß, aber weder zynisch noch gefährlich, durfte er sich öfters auf der Bühne zeigen, ein wenig kokett mit den Armen wacheln, am Schlusse sich noch dem Liebespaare nähernd, ihm einen Geldbeutel zuzuwerfen – Karl Markovics war für solch unspektakuläres „Auftreten“ eine unterforderte Luxusbesetzung ersten Ranges.

Sowohl Max als auch Agathe präsentierten sich von der Regie ungeführt und allein gelassen. Vor allem mit Agathe hat Stefan Ruzowitzky überhaupt nichts anzufangen gewusst. Die aufstrebende südafrikanische Sopranistin Elza van den Heever wirkte im Spiel überaus statisch, sang mit hübscher Stimme und klarer Höhe, aber viel zu ausdruckslos. Den beiden langen Arien mangelte es an durchgestalteter leidenschaftlicher, emotionaler Formgebung. Rasch machte sich bei ihr eine verträumte Pummeligkeit breit, die noch mit betulichen Ordnungsgesten – (Motto: „Wenn Max kommt, muss ich den Lehnstuhl putzen.“) – die Biedermeierlichkeit des Librettos unangenehm verstärkte.

Max (Simon O’Neill) war für diese Agathe der passende Mann: im etwas drallen, kostümbedingten Erscheinungsbild wie in der fehlenden stimmlichen Nuancierungsgabe. Sein Tenor ließ eine etwas grelle, unter Druck gut reüssierende Höhe hören, die vor allem die heldischen Seiten dieser Partie betonte. Das lyrische Element entwickelte sich kaum. Sein schauspielerisches Repertoire beschränkte sich aufs „Durch die Haare streichen“ und „Socken hinaufziehen“. Diese gewisse unreife Natürlichkeit im Gehabe war zwar nicht unpassend, ihr mangelte es aber an Überzeugungskraft.

Falk Struckmann brachte einen groben und zynischen Kaspar in die Produktion ein und zeigte Samiel gegenüber viel Selbstbewusstsein. Dass er Max zu bösen Untaten verführen kann, glaubte man ihm jede Sekunde. Mit geiferndem Trotz sang sich dieser Kaspar in den Tod. An Struckmann konnte man ermessen, was einigen anderen Mitwirkenden an professioneller Bühnenpräsenz abging.

Das Ännchen der Mojca Erdmann war von sympathischer Liebenswürdigkeit. Sie kam in der Publikumsgunst gleich nach Struckmann. Ihr Sopran erklangt ein bisschen schlank und fragil, erinnerte an ihren modelhaften Körper. Als Ännchen passte sie an diesem Abend bestens und belebte wohltuend die Szenen mit Agathe.

Dem Eremiten (Artur Korn) hätte eine profunderer Bass nicht geschadet, Henk Neven sang einen mehr Zynismus denn Autorität verströmenden Fürsten, von der Regie zu dümmlich gezeichnet. Martin Snell (Kuno) und Dominik Köninger (Kilian) waren rollendeckend.

Bertrand de Billy setzte mit dem sehr gut disponierten RSO Wien nicht gerade auf „romantische“ Klänge, schon die Ouvertüre erklang dramatisch zupackend und etwas hart akzentuiert. Auch in den Volksszenen wurde ein wenig die Derbheit greifbar, mit der das Landvolk seine Feste feiert. In den großen, langen Arien des Max und der Agathe ließ die Spannung spürbar nach, hier fehlte dann die musikalische Gestaltungskraft – sowohl im Graben, als auch bei den Sängern.

Das Publikum applaudierte Struckmann und Erdmann heftig, für Max und Agathe zeigte es sich schon weniger beifallsbereit, den Applaus für das Regieteam diktierte mehr die Höflichkeit. Missfallen wurde keines geäußert.

Fazit: Ein Erfolg war das wohl nicht, die Besetzung blieb einiges schuldig, die Regie sowieso. Im „Saisonranking“ des Theaters an der Wien landet für mich diese Produktion auf dem vorletzten Platz (der letzte gebührt dem polnischen Supermarkt der „Besessenen“).