EURYANTHE
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Theater a.d. Wien
12. Dezember 2018
Premiere

Dirigent: Constantin Trinks

Regie: Christof Loy
Bühne: Johannes Leiacker
Kostüme: Judith Weihrauch
Licht: Reinhard Traub

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schönberg Chor

König Ludwig VI. - Stefan Cerny
Adolar - Norman Reinhardt
Euryanthe - Jacquelyn Wagner
Lysiart - Andrew Foster-Williams
Eglantine - Theersa Kronthaler
Herzogin von Burgund - Eva-Maria Neubauer


„Bürgerliches Kammerspiel“
(Dominik Troger)

Carl Maria von Webers „Euryanthe“ steht im Theater an der Wien auf dem Dezemberspielplan. Die Oper bringt eine Rittergeschichte auf die Bühne, die typisch für die deutsche Romantik, heutzutage aber eigentlich unaufführbar ist. Webers Musik darf hingegen als Meilenstein auf dem Weg zum Wagner’schen Musikdrama gelten.

„Euryanthe“ wurde 1823 am Kärtnertortheater uraufgeführt. Jetzt hat das Theater an der Wien diese musikalisch interessante Rarität ausgegraben. Das Anliegen, Webers im Laufe der Musikgeschichte oft sehr stiefmütterlich oder geradezu respektlos behandelte Oper zu „rehabilitieren“, hat die Premiere bestimmt und sogar die schwach motivierte Handlung des Stücks erträglich gemacht.

Die Handlung spielt im 12. Jahrhundert: Adolar liebt Euryanthe, aber dummer Weise lässt er sich vom intriganten Lysiart zu einer Wette überreden. Es geht – ähnlich wie in der „Cosi“ – um die Treue der Geliebten. Lysiart soll einen Beweis für die Untreue liefern. Adolar und Euryanthe teilen außerdem ein Geheimnis: Emma, die Schwester Adolars, hat sich, als ihr Verlobter Udo im Krieg gefallen ist, entleibt. Emma irrt nun als Geist durch ihre Gruft und kann nur erlöst werden, wenn sich ihr Ring mit den Tränen einer unschuldig Verfolgten benetzt. Lysiart kommt über Eglantine, die falsche „Busenfreundin“ Euryantes, in den Besitz dieses Ringes und präsentiert ihn dem König als Zeichen der Untreue Euryanthes. Die Geschichte geht trotzdem gut aus: Adolar ermordet Euryanthe nicht im Zorn über ihre vermeintliche Untreue. Dafür ersticht Lysiart die in Wahnsinn verfallene Eglantine. Am Schluss finden Adolar und Euryanthe wieder zueinander.

„Mit „Euryanthe“ befindet sich Weber auf dem Weg zur durchkomponierten Oper und Richard Wagner hat sich viel von ihr abgeschaut. Nicht nur die Figurenkonstellation der beiden Paare plus König erinnert an den „Lohengrin“, auch musikalisch wird man leicht fündig: Adolars Minnesänger-Romanze am Beginn passt zum Tannhäuser, Lysiarts Rachedurst („So weih ich mich den Rachegewalten“) erinnert an den Holländer-Monolog, die Behandlung der Chöre und der Partie des Königs spiegelt sich im „Lohengrin“ wider, die Ausbrüche Eglantines sind mit Ortrud vergleichbar, die unschuldige Euryanthes mit Elsa oder Elisabeth. Und Webers Umgang mit Klangfarben (etwa die Bläser, sowie Nah- und Fernwirkungen) hat Richard Wagner hörbar inspiriert. Weber selbst hat sich viel von Beethoven abgeschaut, nämlich vom „Fidelio“. Das Schwanken der Singstimmen zwischen lyrischem Tonfall und starker Emotionalität breitet den Impetus von Leonorens großer Arie über die ganze Oper aus.

Die Zeitgenossen Webers haben auf einen zweiten „Freischütz“ spekuliert, das ist die „Euryanthe“ nicht. Von der Geistererscheinung wird nur berichtet, fast triebhaft gesteuerte Emotionen stehen im Vordergrund, Hass und Eifersucht und die tränenreiche Einfühlung in das Schicksal Euryanthes bestimmen das Geschehen. Insofern folgt die Musik durchaus dem Text, und wo letzterem die Ausdrucksmöglichkeiten versagen und die Handlung in ihrer Schlüssigkeit zu wünschen übrig lässt (was sehr oft der Fall ist) baut sie die Brücke zu den Herzen der Zuhörer.

Die Inszenierung von Christof Loy hat den Vorzug, die schauspielerischen Stärken der Sängerinnen und Sänger zumindest nicht behindert und dem bösen Paar die bedrohliche Energie einer borderlinerartigen Psyche verliehen zu haben. Dass Loy keine Ritterromantik auf die Bühne stellen wird, war zu erwarten gewesen. Seine requisitenarmen Inszenierungen gleichen sich ohnehin alle. Meist verweisen sie optisch auf das 19. Jahrhundert. Schöne Kostüme, die ein bisschen näher an der Gegenwart liegen, verstärken den Eindruck bürgerlicher Solidität, hinter deren ästhetisch aufgeputzten Fassaden dann die Leidenschaften ihr Zerstörungswerk beginnen.

Bezogen auf die „Euryanthe“ war das aber keine schlechte Idee, um Webers überspannter Musik und dem gefühlstriefenden Libretto einen festen szenischen Rahmen zu geben. Dieses saalartige Zimmer mit weißen Wänden und weiß lackierten Türen und dem dunklen Schifferboden, das quer zur Bühnenbreite gebaut, sich perspektivisch leicht verschmälernd, in die Tiefe reichte (dort mit Türe, und dann einem Gangteil und Fenster versehen), richtete den ganzen Euryanthe-Kosmos auf eine für das Publikum nicht mehr einsehbare, im Libretto symbolisch gefassten Ferne des Unterbewussten aus: auf eine Welt hinter der Fassade konventionell bürgerlicher Lebensführung, auf einen Wald, in dem noch mörderische Schlangen hausen. Rechts im Vordergrund stand ein einfaches Bett, links ein Klavier.

Jede Besprechung dieser „Euryanthe“-Produktion wird natürlich nicht umhinkommen, auf die minutenlange Nacktheit Lysiarts zu verweisen, der seine schon genannten Rachegedanken vor der in ihrem Bette schlafenden Euryanthe schonungslos und quasi bis auf sein Innerstes entblößt zu äußern hatte. Nacktheit auf dem Theater ist immer dort „gefährlich“, wo ihr ein deutlicher erotischer Bezug abgeht. Ihre Darstellung bedarf dann großer „Natürlichkeit“, die sie davor bewahrt, ins Lächerliche gezogen zu werden. Andrew Forster-Williams, der den Lysiart mit Telramund-ähnlichem Wagemut und Stimme auf die Bühne stellte, meisterte diese Szene darstellerisch und gesanglich überzeugend.

Ihm zur Seite stand eine ausdrucksstarke Eglantine (Theresa Kronthaler), die mit ortrudhafter Energie ihrem Wahnsinn verfiel und die Rolle mitreißend realisierte. Der streiftenorale Adolar von Norman Reinhardt konnte hier nicht mithalten, sein schablonehaftes Bühnendasein ist aber auch einer der großen Schwachpunkte des Librettos. Stefan Cernys Bass hat sich prächtig entwickelt, sein König Ludwig war schon fast ein König Heinrich.

Jacquelyn Wagner sang und spielte die Euryanthe. Die US-Amerikanerin hat in den letzten Jahren mit ihrer „deutschen Sopranstimme, deren leicht fahler Silberglanz auch bei Richard Strauss seine Erfüllung findet, eine steile Karriere hingelegt. Wagner sang die Euryanthe mit edler Haltung, aber die Stimme tönte mir manchmal schon leicht spröd und mehr „austrainiert als „gewachsen“.

Das ORF Radio-Symphonieorchester fand nach einer klanglich etwas inhomogenen Ouvertüre rasch „in den Abend“ – auch die Sängerinnen und Sänger benötigten etwas Anlaufzeit. Der „Motor“ der Aufführung stand jedoch am Pult: Constantin Trinks, der sein gutes „Händchen“ für das deutsche frühromantische Opernrepertoire schon in der Vergangenheit bewiesen hat, sorgte für orchestrale Energieschübe ebenso wie für musikalisch-besinnliche Ruhemomente und hatte die an Stimmungswechseln reiche Partitur fest im Griff. Im Einklang mit dem Ensemble und dem Arnold Schönberg Chor ergab das einen sehr homogenen, überzeugenden Premierenabend.

Am Schluss gab es ein paar Buhrufe, die das Regieteam aufs Korn nahmen, ansonsten herrschte einhellige Zustimmung. Versäumen sollte man diese „Euryanthe“ – auch wenn man mit der Regie vielleicht hadert – auf keinen Fall. Webers Musik ist es wert, gehört zu werden. Die Darsteller spielen und singen intensiv. Und so schnell wird man dem Werk nicht mehr auf einer Wiener Opernbühne begegnen.