ENDLICH SCHLUSS

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Semper Depot
19.9.2003

Neue Oper Wien

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Monika Steiner
Ausstattung: Günter Brus
Licht: Norbert Chmel

Amadeus Ensemble Wien

Libretto von Silke Hassler nach dem gleiuchnamigen Theaterstück von Peter Turrini
(Auftragswerk der Neuen Oper Wien - Uraufführung 13.9.03)

Der Mann - Andreas Jankowitsch

Chor (mit solistischen Aufgaben):
Veronika Groiß
Lisa Henningsohn
Verena Kuntscher
Marika Ottitsch
Alice Rath
Heinz Fitzka
Robert Novacko
Markus Puchberger
Günther Strahlegger
Marcos Valenzuela Abril

Ein Rabe - Gerhard Hafner


„Selbstmord-Revue“
(Dominik Troger)

Wenn einer „Bis-Tausend-Zählt“ und sich dann umbringt, dann hat er zumindest etwas zu „er-zählen“. Ob das aber auch für alle spannend ist, die ihm dabei zuschauen?

Wahrscheinlich gibt es Geschichten, deren bühnenmäßige Realisierung mehr verspricht, als dann wirklich zu halten ist. Wenn zum Beispiel jemand groß ankündigt: „Ich zähle bis tausend und bringe mich um!“ – und das vor einer Partygesellschaft, die ausgelassen und sensationslüstern diese Parole aufgreift. Da könnte sich doch einiges daraus entwickeln, denkt man sich. Da könnte denjenigen, der so eine unvorsichtige Äußerung macht, bald die Reue packen. Denn selbst wenn er wollte, die ausgeflippten Festgäste entlassen ihn jetzt nicht mehr aus seiner Verantwortung und treiben ihn vor sich her wie ein Stück Wild. Das wäre eine grausige Sache, ein blutig-absurdes „Selbstmord-Spiel“.

„Endlich Schluss“, eine neue (Kammer-)Oper von Wolfram Wagner, basiert auf der Grundidee des gleichnamigen Theaterstückes von Peter Turrini. Librettistin Silke Hassler hat die Vorlage verschärft, weil sie auch einen Chor auf die Bühne bringt, der als „Partygesellschaft“, die Umsetzung dieser so vollmundigen Ankündigung „Ich zähle bis tausend und bringe mich um“ überwacht. Der Chor wird aus Personen gebildet, die im Leben des angehenden Selbstmörders eine Rolle gespielt haben, wie Ehefrau, Berufskollege, Psychiater. In einzelnen Szenen treten diese Individuen aus der anonymen Chormasse, wenn die Hauptfigur, „Der Mann“, sich mit seiner Vergangenheit beschäftigt. Aber sie entziehen sich trotzdem jeder Einflussnahme. Chorszenen, die das „Zählwerk“ vorantreiben, und Rückblicke, während denen „Der Mann“ seinen Erinnerungen nachhängt, wechseln einander ab. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Weil die Individualisierung dieser Hauptfigur, die ja auch nur „Der Mann“ genannt wird, nicht sehr weit reicht, hat der Chor ein starkes Gewicht. „Der Chor erweist sich mehr und mehr als etwas Archaisches, als Instanz, als Gericht, das sein Urteil über die Hauptfigur von Anfang an gesprochen hat, es gibt kein Entrinnen“ notiert Silke Hassler im Programmheft. Insoferne ist vom Libretto aus gesehen die Gewichtung vorgegeben. Neben dem Chor und seiner „Agitation“, ist aber auch Platz für die Erinnerungen des Selbstmordkandidaten, für seine Zweifel, für seine Versuche, dieser Lawine, die er losgetreten hat, zu entkommen. Diese Teile sind dann wie „Inseln“ in der vorwärtsstürzenden Zeitflut, die versuchen, der zunehmenden archaischen Wucht des Chors Widerstand entgegenzusetzen. Es sind Fluchtpunkte des „Manns“, der dann auch immer mit dem Zählen Pause macht. Das Schwungrad der Zeit wird angehalten, die Dynamik der Handlung wird gebremst, sobald sie sich „verinnerlicht“.

Zumindest hat es der Komponist so gelöst. Der Chor ist über weite Strecken mit verfremdeter jazziger Tanzmusik unterlegt – das mit der „Selbstmord-Revue“ wäre also durchaus passend, zu Beginn leichtfüßig, fast operettenhaft. Später gewinnt der Chor an „archaischen“ Wucht, und die Erinnerungen des „Mannes“ sperren sich dagegen als ariose Inseln. Der Gegensatz wird deutlich auskomponiert, was ein wenig auf Kosten eines zügigen Vorwärtsschreitens geht. Es verschmilzt nicht so ganz, dieses Vorwärtsdrängen des Chores und dieses Innehalten und „Zeitschinden“ des Selbstmörders.

Wolfram Wagner baut auf ein kleines Orchester, erzeugt Chorsätze von einiger Wucht und Dramatik, erzeugt Spannung dort, wo die Zeit dem Selbstmordkandidaten gleichsam davonzurasen scheint. Aber trotzdem bleibt das alles ein wenig schal. Und die erhoffte Sogwirkung, dieses Zulaufen auf die Zahl 1000, hat sich zumindest bei mir nicht eingestellt. Immer wieder irrlichtern Philip Glass’sche Streicherfiguren durch diese Partitur, manchmal hat man das Gefühl, einer Art von in Zeitlupentempo versetzter Minimal Music zu folgen. (Punktuell habe ich immer wieder den Glass’schen „Echnaton“ assoziert, aber vielleicht war das nur Zufall.) Einen weiter zurückliegenden musikgeschichtlichen Anknüpfungspunkt liefert Bizet, der ins Spiel kommt, wenn es um erinnerte Liebesabenteuer geht: „Carmen“, der Beginn der Habanera, taktkurz und öfter wiederholt in einer Art ironischen Verzerrung. Assoziationen stellten sich auch zu Siegfrieds Trauermarsch ein, aber auch hier nur sozusagen ein Takt, ein brutaler, in das Kammerorchester versenkter Doppelschlag, der öfters auftaucht, je näher es ans Sterben geht. Diese musikalischen Rückbesinnungen erscheinen fast wie Archetypen, die mit den Erinnerungen des Opfers korrelieren. Sie sind greifbar und entziehen sich doch sofort dem Zugriff. Wurde nicht auch an Debussy erinnert? Ein interessantes Konzept jedenfalls, dessen Stichhaltigkeit man aber noch einmal am Werk überprüfen müsste.

Die Inszenierung hat die brutale Schärfe des Plots nicht aufgegriffen, schwankte zwischen dem Ansatz der „Selbstmord-Party“ und dem Versuch, Sympathien für das Opfer zu generieren. Das nahm dem Ganzen den Wind aus den Segeln (aber schon der Komponist hatte da ein wenig „gegen sich selbst gearbeitet“). Dem „Menschen“ blieb immer noch zu viel Spielraum, die Verengung seiner Lebensperspektiven wurde erst am Schluss visualisiert, wenn er zwischen zwei überdimensionalen Revolverläufen steht wie zwischen Prellböcken. Es ist ja auch schwer, diese Verzweiflung und Spannung, die man hier erwartet, zu verbildlichen. Die Inszenierung hat den „Lebensaft“ weder aus dem Stück noch aus den Mitwirkenden herausgepresst. Aber da bin ich wieder bei dem Punkt: Wahrscheinlich gibt es Geschichten, deren bühnenmäßige Realisierung mehr verspricht, als dann wirklich zu halten ist.

Diesmal hatte man die Bühne direkt gegenüber vom Eingang postiert, links das Orchester im Eck und das Publikum auf Bänken davor, den Eingang im Rücken. Eine ganz akzeptable Lösung. Gespielt wurde zu Beginn auch im Mittelgang zwischen den beiden Publikumsreihen, ein wenig wurde die erste Galerie mit einbezogen, aber wirklich nur ein wenig.

Das Publikum im Semper Depot dankte den engagierten Mitwirkenden mit viel Applaus.