TRISTAN UND ISOLDE

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Pikante Enthuellungen um "Tristan"
(Karlheinz Groechenig)

Richard Wagners Musikdramen als lang zu bezeichnen, beruht auf einer voelligen Unkenntnis der Lage, der Quelle, der Geschichte, mit einem Wort, ist Zeichen voelliger Ignoranz. Aber ignorant zu sein, ist ja heute fast schon ein Ehrentitel.

Gerade am Tristanmythos zeigt sich schoen, auf welch geniale Weise Wagner die Kunst der Kuerzung ausuebte. Gottfried von Strassburgs langatmige mittelalterliche Erzaehlung ist 20000 Verse lang und dennoch unvollendet geblieben, waehrend Wagners dramatische Handlung nur knappe vier Stunden dauert. Wagner hat die Handlung so wirkungsvoll gestrafft, dass am Ende kaum noch eine Handlung uebrigbleibt.

In der wahren Tristangeschichte spielen drei Isolden mit: naemlich die Koenigin von Irland, deren Bruder Morold dann von Tristan erschlagen wird, ferner deren Tochter Isolde, um die Tristan spaeter fuer Marke wirbt und mit der er den Liebestrank trinkt, und schliesslich noch Isolde Weisshand, die am Schluss des unvollendeten Teils als eine Art Trostpflaster fuer Tristans ausweglose Sehnsucht in Aktion tritt.

Die Fahrt nach Cornwall, mit der Wagner sein Stimmungsbild beginnt, ereignet sich bei Gottfried erst nach 12000 Versen, nachdem vorher eingehend des Helden Vorfahren, Jugend, Reisen und Bekuemmernisse erzaehlt werden. Gottfried kommt und kommt nicht zur Sache. Andererseits spart Gottfried pikante Details nicht aus, die Wagner, schamhaft wie er nun einmal war, nur in seiner Musik wuchtig andeutete.

Schon Tristans Zeugung ist mit Problemen behaftet, denn Tristans zukuenftiger Vater Riwalin liegt bereits toedlich verwundet im Sterben. Da verschafft sich Koenig Markes Schwester "Blanchefleur", die Riwalin liebt, Zugang zum Totenlager unter dem Vorwand, ihn pflegen zu wollen. Die Tuer wird abgeriegelt, sie schmiegt sich an ihn, wird ohnmaechtig, erwacht, kuesst ihn 100000 Mal in einer kleinen Stund, und richtet ihn auf (wen?), bis ihrer beider Verlangen erfuellt ist. Sie empfaengt ein zu diesem Zeitpunkt uneheliches Kind, naemlich Tristan, Koenig Markes kuenftigen Neffen. Doch Tristan wird seine Eltern nie kennen, er waechst als sozusagen adoptiertes Kind auf, und erfaehrt erst nach vielen Irrwegen, woher er kommt und wer er ist.

Als dann Wagners Nicht-Handlung endlich beginnt, also am Schiff auf der Fahrt nach Cornwall, geht es bei Gottfried schon heiss her. Waehrend Wagners Tristan und Isolde noch ueber Schuld und Suehne debattieren, treiben es Gottfrieds Tristan und Isolde schon auf dem Schiff vor ihrer Ankunft, so si z'ir state kamen (wann immer sie die Moeglichkeit hatten). Nicht ueberraschend also, dass sie in der Hitze ihrer Sinne die Ankunft in Cornwall so verwirrt wahrnehmen.

Die Beschreibung der Hochzeitsnacht steht an literarischer Kuehnheit Goethes "Wahlverwandtschaften" nicht nach. Tristan und Isoldes einzige Sorge ist Isoldes wipheit, also die Tatsache, dass Isolde nun Frau geworden ist, also ihre verlorene Jungfraeulichkeit, wie es der Uebersetzer ausdrueckt. Dieser Verlust laesst sich vor Koenig Marke nun beim besten Willen nicht verbergen. Da hat die nicht nur schoene, blonde, sondern auch kluge, aber bis dato im Raenkeschmieden unerfahrene Nun-Nicht-Mehr-Jungfrau eine zuendende Idee: Sie schiebt Koenig Marke in der Nacht einfach ihre schoene Nichte Brangaene unter die Decke. Brangaene laesst sich brav alles gefallen, was Marke mit ihr anstellt, und Marke, wohl ein typischer Mann, nehme ich einmal an, merkt den Unterschied gar nicht! Gottfried vergisst jedoch nicht hinzuzufuegen, dass beide Frauen wunderwunderschoen waren. Und das reicht ja allemal, Troja laesst gruessen!

"Derweilen die beiden lagen und ihres Bettspiels pflegten", ueberkommt Isolde, die ja schon Erfahrung mit Tristan gesammelt hat, ploetzlich die Sorge, dass Brangaene am Bettspiel zu sehr Gefallen finden koennte und es ausgiebig bis zum Morgen betreiben koennte, wo dann der Betrug an Tageslicht kaeme. Dem ist nicht so, nachdem sich Marke an Brangaene bedient hat, tauschen die beiden Frauen Platz, Isolde legt sich zum Koenig, dieser nimmt sein Vergnuegen wieder auf, merkt wieder keinen Unterschied, und Isolde behaelt ihreEhre.

Wagner leitet von der Ankunft in Cornwall geradlinig zur grossen verpatzten Liebesszene im zweiten Akt ueber, waehrend Gottfried die naechsten paar hundert Seiten damit vertut zu beschreiben, wie das Paar versucht, sein Verhaeltnis aufrechtzuerhalten, aber es doch um seiner Ehre willen zu verbergen. List und Gegenlist nehmen viel Raum ein und koennten auch heute noch als Lehrbuch zur Taeuschung der Ehemaenner dienen. Immer wieder glaubt Marke, die beiden des Ehebruchs ueberfuehrt zu haben, um dann doch wieder an die Ehre und Reinheit seiner Isolde glauben zu muessen. In diesem Spiel kommt Isolde gar nicht gut weg. Schon ganz zu Beginn ihrer Affaere dingt sie zwei Maenner, die Brangaene als einzige Mitwisserin ihres unehrenhaften Geheimnissen umbringen sollen, dann luegt sie wie gedruckt zu Marke und taeuscht ihn nach Strich und Faden, von Liebe ist zu diesem Zeitpunkt eigentlich nie mehr die Rede, vielleicht noch von den Freuden. Unmerklich ist aus der Geschichte der grossen Liebe eine Detektivgeschichte mit Intrige, Taeuschung, Verstellung usw. geworden, aber man kann natuerlich argumentieren, dass der "wahren" Liebe jedes Mittel recht sein darf.

Immer wieder werden Tristan und Isolde denunziert, listig und klug wissen sie sich immer wieder herauszuwinden. Waehrend der ganzen Zeit leben Tristan und Isolde und Koenig Marke in einem Menage a trois, denn auch Koenig Marke ist in Isolde verliebt und sogar mit ihr verheiratet. Dass er auf sein eheliches Recht sicher nicht verzichtet hat, liegt auf der Hand, muss aber fuer Isolde sehr anstrengend gewesen sein, aber die wahre Liebe scheint ihr sogar einen solchen Gebrauch ihres schoenen Koerpers ertraeglich gemacht zu haben.

Nachdem das Paar vom Hofe Markes verbannt worden ist, koennte es gluecklich in der Liebesgrotte seinen Freuden nachgehen, einem seligen Happyend steht nichts mehr im Wege, doch ein heute nicht mehr nachvollziehbarer Ehrbegriff laesst die beiden dann wieder zum Hof zurueckkehren, wo sie endlich doch in flagranti ertappt werden. Tristan muss fliehen, um nicht geraedert zu werden und Isolde den Tod am Scheiterhaufen zu ersparen.

In der Verbannung lernt dann Tristan eine andere Isolde kennen, die Weisshand, die er schliesslich aus Liebeskummer heiratet, aber ein ganzes Jahr in ihrem jungfraeulichen Zustand darben laesst, bevor er die Ehe mit ihr vollzieht. Gottfried war offenbar ein modernerer Mann, als viele seiner mittelalterlichen Vorstellungen vermuten lassen. Zur wahren Liebe gehoert auch eine Affaere, denn wenn die wahre Liebe unerfuellt bleibt und die Liebenden fuereinander wenigstens am Leben bleiben moechten, statt vor Sehnsucht zu sterben, dann ist es nur legitim, unter Gewissensbissen auch eine Affaere zur Lebenserhaltung zu haben bzw. eine andere zu heiraten. Waehrend bei Wagner schon im dritten Akt (!!) Tristan und Isolde ihrer unerfuellten Sehnsucht zu Opfer fallen, kommt Gottfried ueberhaupt nicht zu seiner moderner anmutenden und realistischeren Fortsetzung. Tristans Verhaeltnis mit der Weisshand bahnt sich am Ende der 20000 vollendeten Verse erst an, das Ende der Tristangeschichte zu erzaehlen, blieb anderen Dichtern vorbehalten. Im Gegensatz zum kurzen und buendigen Wagner hat Gottfried zu lange erzaehlt, um uns seine Version des Endes zu ueberliefern.