RIENZI

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"Rienzi" v. Eduard Hanslick (1877)

Die glänzende Carrière eines schöpferischen Künstlers übt meistentheils auch eine rückwirkende Kraft. Hat ein Componist mit mehreren Opern nachhaltige Wirkung erzielt, so wird - namentlich wenn er sparsam und nicht stets mit Neuem zur Hand ist - bald die Neugier rege nach Altem, was er früher geschaffen. Jugendversuche, denen wenig künstlerischer Werth innewohnt, erhalten dann durch die rückfallenden Ruhmesstrahlen einen biographischen; man sucht sie emsig aus einer Vergessenheit hervorzuziehen, welcher sie, ohne das glücklichere Loos ihrer jüngeren Geschwister, niemals entronnen wären. Das ist die Geschichte der verspäteten Rienzi-Vorstellungen aus neuester Zeit, auch der Wiener Aufführung (1871) dieser über dreißig Jahre alten Oper. Richard Wagner vollendete den Rienzi während seines ersten Pariser Aufenthaltes und hoffte auf dessen Aufführung in der Großen Oper daselbst. Herr Léon Pillet lehnte die Partitur ab. Herr Anténor Joly, Director des Renaissance-Theaters, zeigte sich zur Annahme bereit, fallierte aber, ehe man noch an die Proben denken konnte. Da nahm die geniale Schröder-Devrient sich des bekümmerten Componisten und seines heimatlosen Werkes an. Durch ihre Vermittlung erlebte Rienzi im Jahre 1841 sein erste Aufführung in Dresden, deren günstiger Erfolg sofort die Ernennung Wagner's zum Capellmeister am dortigen Hoftheater nach sich zog. Die glänzende Aufnahme des Rienzi vor dreißig Jahren läßt sich allenfalls begreifen. Abgesehen von dem blendenden Schaugepränge, das immer und überall zieht, dann von den außerordentlichen Leistungen Tichatschek's und der Schröder, gehörte ja die Novität einem eben florirenden mächtigen Genre an: der großen historischen Oper. Diese, von Spontini eingeführt, durch Tell und die Stumme epochemachend erweitert, hatte eben in Meyerbeer's Hugenotten ihre glänzendste Höhe erreicht. Auch Halèvy's Jüdin hatte kurz vor Rienzi ihren Triumphzug begonnen. Der französischen "historischen Oper", welche eine nothwendige Kunstrichtung der Zeit überwiegend als Modesache, im Interesse decorativer Pracht und sonstiger Emacipation der Materie ausbeutete, schloß sich Wagner in seinem Rienzi vollständig an. Malerische Costüme und prachtvolle Veduten aus dem mittelalterlichen Rom, Tänze, Märsche, Festzüge, kirchlicher Pomp und Straßenkämpfe, schließlich gar Feuersbrünste und Einstürze drängen einander, daß dem Hörer vor lauter historischem Prunk und Lärm Sehen und Hören vergeht. In der Musik machte sich ein ungestümes Jugendfeuer neben raffinierte Effectkenntnis bemerkbar. Uebrigens machte trotz dieses Dresdner Localerfolges Rienzi damals keinen großen Weg und war bald vergessen. Seither ist Wagner durch Tannhäuser, Holländer, Lohengrin und die Meistersinger ein epochemachender, gefeierter Mann geworden. Je erfolgreicher diese Opern sich verbreitern, je leidenschaftlicher Wagner's Opern und Bücher studiert und besprochen wurden, desto häufiger wurde auch des hlabverschollenen Rienzi gedacht. Den historischen Reiz, welcher Freunde wie Gegner Wagner's an diese Erstlings-Oper heranlockt, begreifen und theilen wir vollkommen. Es ist ungemein belehrend, den Anfängen eines Componisten zu lauschen, welcher durch seine spätere Schöpfungen so bedeutend gewirkt hat; überraschend obendrein, ihm, der zur Stunde vollständig auf dem musikalischen Isolirschemel steht, anfangs in großer Gesellschaft auf der breitesten Fahrstraße zu begegnen. Abgesehen von dem kläglichen Mißwachse auf dem Felde der Großen Oper, war es offenbar dieses biographische Interesse, was jetzt nachträglich zu "Rienzi" greifen ließ. Es ist aber auch so ziemlich das einzige, welches diese Oper uns einflößt. Die Musik ist, gelinde gedagt, so mittelmäßig und banal, daß heutzutage wol kaum eine Direction die Partitur annähme, würde sie von einem unbekannten Componisten eingeschickt. Der Name Wagner bildet den Schwimmgürtel, auf dem sich Rieinzi derzeit noch über dem Wasser flott erhält. Der Name Wagner, wolverstanden - denn von dem Manne selbst, dem leibhaftigen Richard Wagner, ist blutwenig zu entdecken. Kaum zu erkennen ist hier der Componist des Lohengrin, und wo ihn dennoch irgendeine Eigenthümlichkeit verräth, ist es keine von seinen guten. Die Partitur zu Rienzi bildet im Großen und Ganzen das gerade Gegentheil von Wagner's späterer Musik, welche wesentlich aus den declamatorischen Accenten der Rede gezogen ist, die Melodie dem Rezitativ nähert, dem Orchester eine ununterbrochen schildernde, poetisch interpretirende Rolle zuweist, das einzeln Wort hervorhebt, die feste musikalische Form auflöst. Im Rienzi herrscht die Melodie, und am liebsten die bedenklich populäre, das Orchester liefert nur eine "Begleitung" im gewöhnlichen Sinne, wenn auch in lärmendster Weise, der Bau gliedert sich symmetrisch, übersichtlich, die Modulation, noch unberührt von harmonischen Mysterien, erlaubt sich keine Wagstücke, die herkömmlichen Formen (Ouvertüre, Arie, Duett, Terzett, Finale etc.) sind im wesentlichen beibehalten. "Ist denn das Wagner?" hörte man während der Vorstellung häufig flüstern. Nein, es ist ein Gemisch von Spontini, Donizetti und Meyerbeer, mit einigem geringen Zusatz aus Weber und Marschner. Vieles von den Formen jener Operncomponisten ist veraltet, und Wagner selbst hat am meisten dazu beigetragen, daß wir sie jetzt als veraltet empfinden. An den alten Formen liegt es aber nicht, daß Rienzi eine schlechte Oper ist. Haben doch Tell und die Stumme, Robert und die Hugenotten bis heute ihre ungeschwächte Kraft bewahrt. Allein in diesen Opern quillt als ein Frisches, Eigenes, Ursprüngliches, was im Rienzi als schwache, mühselige Nachahmung sickert. Nicht die alte Opernform, sondern Wagner's Unzulänglichkeit, die mit dem Strome ursprünglicher musikalischer Ideen zu beleben, ist das Unglück des Rienzi. In den Formen von Auber, Meyerbeer, Rossini, Verdi kann nur wirken, wer melodienreich und originell, wer ein Prinz von musikalischem Geblüt ist. Wie wenig gerade Wagner sich dessen berühmen kann, erkennt man deutlich am Rienzi,
Es wäre Unrecht und Thorheit zugleich, wollte man Wagner zum Vorwurfe machen, daß er an einen anderen, überkommenen Styl sich anlehnte, bevor er seinen eigenen fand. Gluck und Händel, Mozart und Meyerbeer haben dasselbe gethan und in der traditionellen wälschen Opernweise begonnen, ehe sie jene reifen, eigenthümlichen Werke schufen, welchen ihre volle Individualität aufgeprägt ist. Die Gegenwart hält sich freilich an diese letzteren Schöpfungen und überläßt die italienischen Jugendsünden den Bibliotheken - nichts Anderes verdient auch Wagner. Aber ein anderer Unterschied ist auffallender und wichtiger. Man blättere in den Jugendopern genannter Meister, man sehe sich (um von den Classikern ganz abzusehen) den Crociato von Meyerbeer an, der sechs Jahre vor dessen erster französischer Oper, dem epochemachenden Robert le Diable geschrieben ist. Welch üppiges musikalisches Leben, welcher Reichthum an originellen, reizenden Melodien weht da in veralteten Formen und Formeln! Der Crociato offenbart eine melodiöse Erfindung und dramatische Triebkraft, die blos energischer Fortbildung und Läuterung bedurften, um unter günstigen Anregungen (Paris!) den Robert hervorzubringen. Anders in Wagner's Rienzi. Der achtundzwanzigjährige Componist verräth in dieser Oper eine solcher Armuth musikalischer Erfindung, einen solchen Mangel individueller Physiognomie, eine solche Sammelwuth aller erdenklichen "bewährten" Effecte, daß man wirklich Anstand nehmen muß, zu sagen, das sei die Arbeit eines ursprünglichen musikalischen Talents. In dieser Partitur Wagner's herrscht die helle Mittelmäßigkeit, welche nur durch eine erstaunlich kühn, fast unverschämte Anhäufung materieller Effecte momentan blenden kann. Wer sich darüber der kürzesten Täuschung hingab, war der Componist selbst. Ein so scharfer und feiner Kopf wie Wagner mußte trotz des Rienzi-Erfolges in Dresden bald einsehen, daß ihm auf diesem Felde keine weiteren Lorbeern sprießen. Im Schaugepränge und Orchesterlärm noch weiter zu gehen, war unmöglich, in den alten Formen durch Reichthum und Schönheit musikalischer Ideen zu entzücken, erlaubten seine Mittel nicht - was blieb übrig, als einen neuen Weg zu suchen? Wie er diesen gefunden und mit Erfolg behauptet hat, ist bekannt. Wagner's eigenartiges, mehr poetisch-theatralisches als musikalisches Talent bedurfte der Zuführung ganz neuer oder neu combinierter Elemente in die Oper. Wagner schuf sich einen neuen Styl und neue Formen und hat daran wohlgetan. Nicht als ob er durch sein declamatorisches "Musikdrama" die bisherige "Oper" beseitigt hätte, diese wird allezeit daneben fortbestehen, solange es reichbegabte, musikalische Erfinder gibt. Aber gerade Wagner hätte in dieser Richtung nur Mittelmäßiges geleistet, während doch seine Gesammtbegabung viel zu bedeutend war, um in der Mittelmäßigkeit beharren zu können. So hat er denn mit recht vorgezogen, der Erste zu werden auf einem noch unbetretenen, angezweifelten Gebiete, als bestenfalls der Sechste oder Siebente zu bleiben in dem von Meyerbeer und Genossen beherrschten Lande. Für das Verständnis von Wagner's späterer auffallender Stylwendung ist dieser Rienzi unschätzbar. Wagner's maßlos schmähende Verurtheilung der "Oper", das heißt jener vorzugsweise musikalischen Operngattung, der auch sein Rienzi angehört, ist ihne Zweifel ehrlich gemeint, und diese theoretische Opposition war sicherlich ein Hebel für seine revolutionäre Gegenschöpfung des "Musikdrama's"; als zweiter maskirter Hebel arbeitet jedoch daneben die aus Rienzi gewonnene Ueberzeugung von der einen melodischen Sterilität. Wagner selbst verleugnet bekanntlich jetzt seinen Rienzi als einen Irrthum; er wird nichts dagegen haben, wenn wir dasselbe thun. Nur verwirft er diese Oper, weil sie einer angeblich überwundenen Kunstgattung angehört; wir, weil sie ein schlechtes Individuum dieser Gattung, weil sie schlechte Musik ist.
Das Textbuch zu Rienzi hat Wagner nach dem bekannten Bulwer'schen Roman selbst erarbeitet. Er hatte, wie er selbst ausspricht, bei der Abfassung des Gedichtes eben nur einen "Operntext" im Sinne. Derselbe steht noch in der fünfactigen Form, welche der Componist später weislich verlassen hat, da die fünffache Steigerung von ebenso viel großen Actschlüssen das Maß der Kraft sowol des Tondichters als der Hörer gemeiniglich überschreitet. Das Libretto zu Rienzi verdient das Lob geschickter Mache, insofern es den Stoff zweckmäßig gliedert und eine Reihe effectvoller Situationen herbeiführt. Die vorwiegende Absicht auf diese Masse-Effecte ließ eben jede feinere Motivirung schwinden; nicht nur die psychologische der handelnden Personen, sondern auch die logisch-pragmatische der Handlung. Wer Bulwer's Roman nicht im Gedächtnis hat, wird über manche Hauptwendung vollständig im Unklaren bleiben. Wie kommt es, daß Rienzi, nachdem er in der ersten Scene als einfacher Notar aufgetreten und den Cavalieren einige unangenehme Wahrheiten gesagt hat, gleich in der folgenden, glänzend gerüstet, als anerkannter römischer Tribun erscheint? Von Cola Rienzi, für dessen plötzlichen Aufschwung und Niedergang in der Oper die erklärenden politischen Motive fehlen, bleibt nicht viel mehr als sein rhetorisches Pathos. Weder seine Schwester Irene, die bis gegen den Ausgang des Stückes passiv dasteht, noch Adriano, der fortwährend unschlüssig hin und her läuft, gewinnen uns tieferes Interesse ab.
Was die Musik betrifft, so ist ihr Total-Eindruck athemerdrückende Massenhaftigkeit. Da sowohl die überzeugende Kraft wahrer Empfindung als die künstlerische Meisterschaft fehlt, läßt sie das Gemüth verschmachten und den Geist darben. Wir bleiben kalt und werden schließlich ärgerlich. Alltäglichen, zum Theil ganz trivialen Ideen wird hier durch die derbsten sinnlichen Mittel der Schein des Großartigen angetäuscht. Damit erzielt Wagner im besten Falle denjenigen Effect, den er selbst witzig als "Wirkung ohne Ursache" definirt. Wo Rienzi Effect macht (und dies thut er häufig in den drei ersten Acten), da wirkt er thatsächlich, ohne ausreichend geistige Ursache, durch Häufung äußerlich blendender Mittel. Solch unausgesetztes Brüllen von Posaunen und Tuba, solch unermüdliches Trommeln und Beckenschlagen, solch unbarmherzige Anstrengung der Lungen von Chor- und Solosängern gibt es in keiner zweiten Oper. Der Hörer wird förmlich niedergeworfen und der Triumph des Componisten zur totalen Niederlage des Zuschauers. Da ist gleich die Ouvertüre die rechte Signatur des Ganzen: ein Potpourri mit der Prätension eines einheitlichen Charakterbildes, riesig in den Dimensionen, zwerghaft in seinem musikalischen Ideengehalt, betäubend in seinem Bataillenlärm. Bessere Hoffnungen erregt die Introduction (Entführung der Irene mit dem Dazwischentreten Adriano's und dem Streite zwischen Orsini und Colonna), meines Erachtens die beste Nummer der ganzen Oper. Sie ist mehr in dem pikanten Style der Opèra comique gehalten, etwa in dem Colorit der einleitenden Ritterscenen von Robert und den Hugenotten. Was nun folgt, kann man (mit Ausnahme einiger weniger flüchtig vorübergleitender Stellen) füglich in zwei Kategorien zusammenfassen: lärmende Trivialität und sentimentale Trivialität. Zur ersten Classe gehören sämmtliche "Glanznummern" der Oper; das Finale des ersten Actes (eine merkwürdige Vorahnung des damals noch unbekannten Verdi), der große Einzugsmarsch, die geschmacklose Balletmusik, endlich der Wachtparadejubel des Schlußchores im zweiten Act. Man glaubt nicht, daß der Lärm dieses zweiten Finales noch gesteigert werden könne; er wird aber noch weit übertroffen durch den Marsch- und Schlachtgesang im dritten Acte. Da arbeitet neben dem vollen tobenden Chor und Orchester noch eine schauerliche Militärmusik auf der Bühne, große und kleine Glocken läuten hinter der Scene, und die wackeren Römer schlagen dazu tactweise mit den Schwertern auf die Schilde! Als Seitenstück zu diesem Profanlärm bringt der vierte Act ein geistliches Spectakel: den Bannfluch mit obligatem Miserere der Mönche. Noch schlimmer als die Musikstücke von der Lärm- und Glanz-Trivialität sind die von der sentimentalen. Sie sehen einander erschreckend ähnlich, mit ihrer flachen, süßlichen Melodie und steifen, dürftigen Harmonisierung. Zwischen Spontini und Lortzing, zwischen Donizetti und Reissiger schwankt der sentimentale Bänkelsang, welcher uns in dem B-dur-Terzett des ersten Actes und dem sich anschließenden Liebesduett credenzt wird. Wie kleinlich, kraftlos und abgetragen klingt das Alles! Und der Held Rienzi, wie langweilig empfindsam wird er in allen seinen Andante's, zu Anfang des dritten Finales, beim Gebet im fünften Acte u.s.w. Die Melodienbildung dieses Gebetes mit dem Aufsteigen in die Sext mittelst eines gefühlvollen Mordents ist fast typisch für die langsamen Cantilenen in Rienzi und spukt noch in den empfindsamen Andantesätzen Tannhäuser's, Lohengrin's und Erik's (im Holländer) nach. Diesen geschmacklosen Zierrath des Mordents, dessen häufige Verwendung an alte Clarinettisten erinnert, liebt Wagner so zärtlich, daß die Partitur des Rienzi völlig davon wimmelt.
Eines der sichersten Kennzeichen für die künstlerische Bildung und Vornehmheit eines Componisten sind seine Melodieenschlüsse - die Banalität der Wagner'schen im Rienzi ist nur ein Beweis mehr dafür, wie man ein geistreicher, poetischer und dabei doch ein geschmackloser Musiker sein kann.
Die Aufnahme der Novität war in Wien im Ganzen keine sehr günstige - leider. Einer der spitzigsten Aussprüche Richard Wagner's über Meyerbeer paßt wunderbar auf seinen eigenen Rienzi. "In der Meyerbeer'schen Musik," so schreibt der Mann mit dem Balken über jenen mit dem Splitter, "gibt sich eine so erschreckende Hohlheit, Seichtigkeit und künstlerische Nichtigkeit kund, daß wir seine specifisch musikalische Befähigung vollkommen auf Null zu setzen versucht sind. (!) Daß er dennoch zu so großen Erfolgen vor dem Opern-Publikum Europa's gelangt ist, erklärt sich durch einen Hinblick auf dieses Publikum sehr leicht." (Oper und Dramas", 2. Auflage, Seite 91.)