WAGNER-200-PROJEKT
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Altes Post- und Telegraphenamt, Börseplatz Wien
1. August 2013
Aktionstheater und Ausstellung

(Premiere 16. Juli 2013)

Regie: Paulus Manker
Bühnenbild: Gregor Samsa
Köstüme: Katrin Gross
Sounddesign: Andreas Büchele
Dramaturgie: Oliver Binder
sowie jede Menge an weiteren ProduktionsmitarbeiterInnen

Mirkus Hahn - Richard Wagner
Michael Gempart - Lohengrin
Florian Hackspiel - König Ludwig II.
Elisabeth Lehmann - Minna Planer / Sieglinde
Veronika Glatzner - Cosima Wagner / Brünnhilde
Anú Anjuli Sifkovits - Mathilde Wesendonck / Freia
Lilly Kroth - Judith Gautier / Kundry
David Pakzad - Wotan / Michail Bakunin
Felix Krauss - Alberich / Hans von Bülow
Bernhard Klampfl - Hagen / Heinrich Heine
Stefan Altenhofer - Loge / Franz Liszt
David Birner - Fafner / Fasolt
Anna Grigalashvili - Erda
Yehuda Almagor - Ahasver, der ewige Jude
Katja Sallay - Winifred Wagner

Tanz

Ulduz Ahmadzadeh
Veza Maria Fernandez
Gisela Elisa Heredia
Johanna Jani
Anna Knapp
Indira Nunez
Ning Teng
Jules Mekontchou



Wagnerdämmerung

(Dominik Troger)

Paulus Manker hätte sich für sein „Wagner-200-Projekt“ keine bessere Großwetterlage wünschen können: verspricht er doch Besuchern seines aktionistischen Theaterabenteuers Abkühlung im dritten Tiefgeschoß des Kellers des ehemaligen k.k Post- und Fernmeldegebäudes am Börseplatz. Bei plus 30 Grad Außentemperatur eine große Verlockung.

Nach einem guten Dutzend Aufführungen ist der Keller zwar nicht mehr so kühl wie die per Mail ausgesandte Vorwarnung verspricht („Bitte ziehen Sie sich für die Vorstellung nicht allzu sommerlich an ... “), aber ein paar Grad kühler als auf der „Oberfläche“ ist es allemal. (Der empfohlene Verzicht auf Stöckelschuhe ist zu unterstreichen und sein bestes Gewand sollte man auch nicht anziehen. Ein bisserl grindig ist es schon da unten – und vor Wasserspritzern oder Wachsflecken ist niemand gefeit.)

Manker hat nach „Alma“ (einem interaktiven Theaterstück über Alma Mahler) also sein zweites großes „Spektakel“ ins Szene gesetzt – und bereichert damit im Wagner-Gedenkjahr 2013 die Wiener Sommermonate. Es verblüfft immer wieder, welche kulturelle Ödnis Anfang Juli in dieser Stadt schlagartig ausbricht und konsequent zwei Monate lang durchgehalten wird. Dass seit dem Start von Mankers Wagner-200-Projekt Mitte Juli praktisch alle Aufführungen ausverkauft waren, beweist, dass Nachfrage besteht – auch im höherpreisigen Segment. Schließlich kostete eine Eintrittskarte schon in der Subskriptionsphase 115 Euro (inklusive „gecatertem“ Abendessen). Laut Angabe der Veranstalter wurde das Projekt nicht von öffentlicher Seite subventioniert und es ist vielen Sponsoren zu verdanken, dass es überhaupt umgesetzt werden konnte.

Der szenische Teil ist mit einer großflächigen Ausstellung in den Parterreräumen des Gebäudes gekoppelt, für die man einige Zeit einplanen sollte. Am besten, man findet sich bald nach Öffnung der Kassa (eine Stunde vor Vorstellungsbeginn) am Spielort ein, um die Mischung aus moderner Kunst, Trash und Wagner-Assoziationen in morbid vor sich hinträumenden Räumen genießen zu können. Das Gebäude selbst wurde in den 1870er-Jahren errichtet, und man wundert sich, dass dergleichen mitten in der City im wahrsten Sinne des Wortes „leer steht“. Hier hat gleichsam der Hauch der Geschichte schon alles „fortgeweht“. Und was an Kunst in Sachen Wagner „installiert“ wurde, verstreut sich in den Sälen wie zeitgenössische Erinnerungsstücke an etwas, von dem man eigentlich nicht mehr recht weiß, was es einst gewesen ist.

Es sind viele Namen, die im „Programmheft“ angeführt werden, das man beim Einlass erhält (wo der „Impresario“ sich selbst um die Karten kümmert). Aber viele dieser aufgezählten Namen sind in Anbetracht der geforderten Aufgabenstellung eher zu leichtgewichtig unterwegs. Als „schwergewichtiger“ erweisen sich die acht Bronzeplastiken von Alfred Hrdlicka, zu leicht karikaturhaften Formen gedrängte und verdichtete Gestalten nach Wagners „Ring“, ein vom Bildhauer gepresster Mythos, wie unter den Hammerschlägen eines von Alberich gequälten Nibelungen verformt. Oder der Hermann Nitsch gewidmete Raum, dessen künstlerische Beziehung zu Wagner seit vielen Jahren bekannt ist: Dass sein für die Wiener Staatsoper projektierter „Parsifal“ nicht zustande kam, nährt zugleich den Mythos, damit wirklich etwas versäumt zu haben. Wer andererseits dem Video dabei zusieht, wie der Meister an etwas Totfleischigem herumschneidet, weiß dann wieder nicht so recht, wo die „Metzgerei“ aufhört und die „Priesterschaft“ beginnt. Aber ganz so scharf waren diese Berufe im Laufe der Menschheitsgeschichte ohnehin nicht zu trennen.

Wer unter einem gewissen Zeitdruck diese Ausstellung durcheilt, muss natürlich rasch überzeugt werden. Reinhard Trinkler gelingt das mit einigen gemalten Wagner-Cartoons – unter denen ich gleich meinen Favoriten fand: Wagners Penis schmiedet zu einem Hammer geformt am Nibelungen-Amboss, während ihm eine darauf stehende, kleine, weißgekleidete Dame ans Kinn seines übergroßen Kopfes fasst. Natürlich, dieses Bild ist immens respektlos, aber es vermittelt die Energien einer unglaublich starken Potenz – in körperlicher wie in künstlerischer Hinsicht. Die triebhafte Eigendynamik Wagner‘scher Persönlichkeit, deren künstlerischer Output und deren sich existentiell und emotional bloßstellende Lebensführung Nachgeborenen immer noch ein ungläubiges Staunen abringt, wird hier exemplarisch auf den Punkt gebracht. Eine süffige „parsifaleske“ Klanginstallation von Karl Heinz Essl beweist zumindest, wie gut Wagners Musik immer noch ist, und es gibt einen „Schlingensief-Wagnerdämmerungs-Winkel“, an dem man allerdings leicht vorbeiläuft. Die Handkarte, die mit dem Programm ausgeteilt wird, ist ein nützliches Requisit.

Dermaßen eingestimmt versammelte sich die anwesende Besuchergemeinde im kleinen Innenhof des Telegrafenamtes, trank Sekt, und begutachtete die Spuren des Verfalls, die das Gebäude langsam umranken wie die Rosenhecke Dornröschens Schloss. Ziemlich pünktlich um 19.30 begann eine Tanzperformance zu Ausschnitten aus dem „Rheingold“. Man tanzte auf einer Art Terrasse zwei Meter über den Köpfen des Publikums, das seinerseits besorgt zum malträtierten Geländer blickte, auf dem ein Tänzer balancierend, mimisch als Donner das Gewitter zur Entladung beschwor. Es folgte ein ironisch gefärbter Vortrag der Gralserzählung, ehe auch im Publikum verstreute Schauspieler teils wie ein antiker Chor Textschnispsel vorbrachten, wieder vor allem aus dem „Rheingold“. Das schaukelte sich schon ein wenig hysterisch zu Wiegelaweiaweiaweiaweia-Schreien und ähnlichem auf.

Immerhin ist es Manker bei diesem Prolog – so nenne ich dieses Vorgeplänkel mal – gelungen, einen Standpunkt zu unterlaufen, den große Teile der Wagner-Wissenschaft und des Wagner-Publikums seit vielen Jahren verbissen verteidigen: nämlich dass Wagners Antisemitismus in seinem Werk so gut wie keine Ausprägung gefunden habe. Manker versucht die Beweisführung in der theatralischen Aktion – lässt von einem Schauspieler einen pamphletartigen antisemitischen Text Wagners rezitieren und lenkt dann textlich zur boshaften Charakterisierung der Nibelungen in Wagners „Ring“ über. Das Resultat erweckte keinen gekünstelten Eindruck, sondern schien schlüssig und naheliegend.

Nach dem „Prolog“ ging es von überleitenden Klängen des „Rheingold“-Vorspiels begleitet ab in den Keller, drei Stockwerke tief. Das Publikum wurde zuerst mit sich und den schaurigen Gewölben allein gelassen. Die nächste Viertelstunde passierte überhaupt nichts. Jede und jeder begab sich auf persönliche Entdeckungsreise durch die Räume und Gänge, in denen da und dort wie versteinert wirkende Schauspieler in den seltsamsten Stellungen kauerten, hockten, lagen, standen, hingen – bevorzugt an exponierten Stellen, oben an Wänden, auf Heizungsrohren drapiert, irgendwo hervorlugend, sich mit einer kleinen Taschenlampe ins Gesicht leuchtend. Dazu beschallte das „Lohengrin“-Vorspiel recht pathetisch das schummrige Kellergewölbe. Spätestens jetzt ahnte man, dass es sich gelohnt hätte, einen weiteren Zettel zu studieren, der einem beim Empfang in die Hand gedrückt worden war: Denn die Kellerräume haben als Spielorte durchaus eine eigene Bedeutung.

Vielleicht hätte es die Zuordnung des bald losbrechenden Geschehens erleichtert, wäre einem bekannt gewesen, dass es sich bei diesem muffigen Zimmer um einen „Garten“ oder beim Heizraum um „Metropolis“ handeln soll. Die Kirche, wie eine unterirdische, langgestreckte Gruftkapelle, war durch ein schlichtes Kreuz, das an der Stirnseite angebracht war, hingegen leicht als sakraler Raum erkennbar, aus weißleuchtenden Neonröhren zusammengesetzt. Dass beispielsweise auch ein „Schiff“ als Spielort diente, erschloss sich mir erst im Nachhinein durch das Studium des besagten Zettels. In einem kleinen Eckraum stand zentimeterhoch das Wasser, wo anders träumte in einer schlauchartigen Zelle eine alte, weißemaillierte Badewanne vor sich hin. Es gab einige ausgehobene Gruben, die sich noch weiter in den Wiener Untergrund wühlten. Sitzgelegenheiten fand man kaum, aber noch wurde man von der fremdartigen Umgebung ohnehin zum ausschreitenden Erforschen dieses verwinkelten „Bühnenraums“ animiert.

Plötzlich begann das „Spiel“, gleichzeitig an mehreren Orten. Und von diesem Augenblick an waren die Besucher endgültig einer traumhaften, fragmentarischen Wahrnehmung überlassen. Es schrie an dieser Ecke und an jener, es „wagnerte“ aus den Lautsprechern (vornehmlich Musik aus dem „Ring“ und „Parsifal“), und wenn in kleineren Gewölben etwas los war, und man zu spät kam, dann stand man vor dem Eingang oder zu weit hinten, um wirklich mitzubekommen, was gespielt und gesprochen wurde. Obwohl – eigentlich bekam man meistens ohnehin nicht so recht mit, worum es wirklich ging. Dass Wagner „persönlich“ durch die Räume eilte war nachvollziehbar und logisch, aber die Doppelbesetzung vieler Rollen machte es nicht einfacher. Wie sollte man die so schnell durchschauen: die Kostüme waren schwarz und kaum unterscheidbar, und die gemurmelten oder geschrienen Zitate waren oft schwer zu verstehen. Jedenfalls war auch eine Kundry mit dabei, die den Part von Parsifal übernommen hatte („Amfortas, die Wunde“ – und so weiter). Und Fafner spazierte durch die Gänge und raunte den Besuchern etwas Bedrohliches zu.

Aber es wurde schnell deutlich, dass sich die Aktionen stark ähnelten – und dass führte innerhalb der nächsten Stunde zu einem gewissen Ermüdungseffekt. Immerhin ließ sich nachvollziehen, dass der Abend von zwei Triebkräften gespeist wurde, die ihn konsequent auf das Finale hinsteuerten: von den zunehmend entflammten Feuern, wie Kerzen an den Wänden und in Schauspielerhänden, Flammen, die aus Schalen loderten, und für eine russgeschwängerte Atmosphäre sorgten, die rasch erklärte, warum einige Schauspieler in den kurzen „Wegpausen“, bei denen sie durch die Gänge zum nächsten Spielort eilten, kräftig „abhusteten“ – und von der zunehmenden Nacktheit der weiblichen Darsteller, bis zu masochistisch angehauchten Szenen, in denen die helle Haut wohlproportionierter Körper für einen zusätzlichen, erotisch aufgeladenen Farbton sorgte. (Nackte Männer sah ich keine. Vielleicht war ich aber immer nur am falschen Ort zur falschen Zeit.) Auf diese Weise weidete Manker die dunkle, triebhafte Seite der Wagner’schen Existenz genüsslich aus – und die von den vielen Flammen verschmutzte Luft im Telegraphenamtskeller hätte man schlussendlich in feine schwarze Scheiben schneiden können.

Der Weg zum rauschenden Finale, das mit dem Walkürenritt im „Maschinenraum“ eingeleitet wurde, war also etwas zwiespältig und chaotisch. Zu einem ersten Höhepunkt geriet das Herumturnen der Protagonisten im Heizraum Metropolis zu martialischer technoartiger Musik. Die Wasserorgie einer hysterischen Kundry wird einem im Gedächtnis bleiben, so man gerade zu diesem Zeitpunkt an dem Eckraum mit der zu einem expressiven Bad verweilenden splitterfasernackten Wasserplantscherin vorbeigekommen ist. Ebenso werde ich mich an die Grablegung Siegfrieds in Form eines schweren Ledermantels erinnern, von dem Tänzer, der im Prolog den Donner mimte, mit Pathos und Schwert zelebriert, oder an den königsmantelgeschmückten Ludwig II, immerhin mit nacktem Oberkörper. Es gab auch eine „Kleinzack“-Einlage, oben an einer Kellerwand, und die Badewanne wurde von einer der Frauen bestiegen (aber nicht nackt). Wer war das noch mal, Minna, Mathilde oder Judith oder Cosima? Feuerspiele und Tänze mit wogendem Busen sorgten für üppige, Männerblicke auf sich ziehende Bilder. Aber Achtung auf die langstieligen, wachstropfenden Kerzen am Kellergemäuer: in der Mitte durchgehen und keine hochgesteckten Frisuren bitte!

Das Finale begann mit dem Walkürenritt: Schlachtjungfrauen gleich Mänaden, die sich emotional entäußern und dahinrasen, um einen Orpheus zu zerfetzen. Es wurde über Richard Wagners Sarg pathetisch Totenklage gehalten. Ab hier zeigte der Abend seine stärksten Momente – und die Besucher wurden durch einen Gang und über eine Wendeltreppe in den Park gegenüber vom Haupteingang des Gebäudes geleitet, jetzt gleichsam zu einer begleitend-leidenden Gralsgemeinschaft geformt, um die Abfahrt der Kutsche zu bestaunen, mit der fackelerhellt und von Parsifalklängen gehuldigt Wagners Sarg in der schwülen städtischen Sommernacht entschwand. So wurde das Publikum dann doch noch zu Mitspielern gemacht. Die Darsteller nahmen auf der Rampe Aufstellung: Applaus! Das Finale war stark. Ein Schlussbild, dass es wert war, viele Bilder davor zu setzen, die an das Charisma dieser finalen Apotheose aber nicht herankamen.

Nach Abebben des Applauses und etwas nach 22 Uhr schritt das Publikum durch das Spalier der fackeltragenden Schauspieler wieder in das Gebäude, um an der Stätte des exzentrischen Wirkens das versprochene Abendmahl einzunehmen: leider im verrauchten Keller und aufgeteilt auf mehrere Räume. Das „Dinner“ war dem Dinner anlässlich der Eröffnung der Bayreuther Festspieleröffnung nachempfunden. Fasanenbrüstchen im Speckmantel u.a. mehr. (Den „pfeffigen“ Grünen Veltliner heimischer Provenienz wird man damals allerdings nicht serviert haben.) Es empfiehlt sich, die Gläser kurz gegen einen der mit brennenden Kerzen bestückten Leuchter zu halten, bevor man einschenkt. Man kann dann gustieren, ob einem die Fingerabdrücke gefallen,die man darauf vorfindet. Die Fasanenbrüstchen und Jungschwein-Medaillons waren aber g’schmackig. Dass das Kellerambiente den Appetit grundsätzlich nicht so fördert, soll vermerkt werden: Waren im ersten Stock keine Räume mehr frei, um das Dinner entsprechend zu zelebrieren oder war es eine Budgetfrage? Denn – wie schon angemerkt – ein bisserl „grindig“ war es da unten schon.

Im Programmheft wird Wagners Leben und Schaffen lapidar in dem Satz zusammenfasst: „Das war Wahnsinn mit Methode“. Und Paulus Manker hat mit Besessenheit versucht, diesen Wahnsinn umzusetzen, wobei er dem Publikum eine „Reise in Wagners Gehirn" verpricht. Das Gesamtergebnis wühlt zwar zu einseitig in den dunklen Seiten Wagner’scher Existenz, versöhnt aber mit dem stimmungsvollen und durchaus heroischen Finale. Vielleicht sollte sich Manker einmal an den ganzen „Ring“ heranmachen?!

Fazit: Wien hat momentan kein besseres Spektakel für Theater- und Musikfreunde zu bieten. Mit Richard Wagners Leben und Werk sollte man aber schon vertraut sein, sonst wird frau/man im Keller nicht nur sprichwörtlich „im Dunkeln tappen“. Wer noch zuschlagen möchte: Gespielt wird bis 17. August, Montag ist immer Ruhetag.