TRISTAN UND ISOLDE
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Wiener Staatsoper
13. Juni 2013
Premiere

Dirigent: Franz Welser-Möst

Regie: David McVicar
Ausstattung: Robert Jones
Licht: Paule Constable
Choreographie: Andrew George

Tristan - Peter Seiffert
König Marke - Stephen Milling
Isolde - Nina Stemme
Kurwenal - Jochen Schmeckenbecher
Melot - Eijiro Kai
Brangäne - Janina Baechle
Hirt - Carlos Osuna
Stimme des Seemanns - Jinxu Xiahou
Steuermann - Marcus Pelz


Roter Mond über Cornwall
(Dominik Troger)

Im Mai 2003 delektierte sich das Wiener Publikum an der „Tristan“-Interpretation von Christian Thielemann und sprach fast einhellig über die Regie von Günter Krämer und das Bühnenbild von Gisbert Jäkel das Verdammungsurteil. Zehn Jahre später gibt es einen neuen „Tristan“, szenisch recht konventionell, aber gesanglich dank Nina Stemme und Peter Seiffert ein Ereignis.

Nina Stemme hat nach den drei „Ring“-Brünnhilden im Mai nun ihre erste Wiener-Isolde gesungen: eine Isolde von prägnanter Bühnenpräsenz, ohne Zug ins „Hysterische“ oder „Heroinenhafte“, heftig in der Liebe und tief gequält im Leid. Ihr Umgang mit Tristan im ersten Aufzug entspringt einem Gefühl tiefempfundener Schmach und doch spürt man, wie sie ihn umgarnt, wie sie als Frau und Liebende bestehen möchte in diesem Ringen um ihr ganz persönliches Glück. Das verschafft der Figur einen Freiraum, der sich der Wagner’schen Heldinnen-Pose rasch entringt und Isolde – sozusagen – in die Gegenwart transferiert

Das war schon ein Markenzeichen ihrer Senta (2003 hat sie in der Premiere des „Fliegenden Holländer“ in Wien ihr Hausdebüt gegeben.): Ihre Bühnencharaktere werden zu zeitlosen Figuren, Frauengestalten im „Hier und Jetzt“, die ihre Liebeslust und ihren Liebesschmerz geradlinig ausleben, aus einem ungekünstelten weiblichen Selbstbewusstsein entwickeln, geradezu modern wirkend. Ihre aparte Stimme stärkt diesen Eindruck, ist auf außergewöhnliche Weise für die Darstellung eines reichen Seelenlebens geeignet. Stemme muss nicht „künsteln“ oder Schwächen heroisch „überspielen“: das warme Timbre ihres Soprans behält seinen Glanz in den kraftvollen Spitzentönen und gibt der Stimme eine leicht dunkel beschattete Breite, die den Ton auch über ein lautstarkes Orchester trägt. Wie die „Entgrenzung“ der liebende Isolden-Seele im mystischen Nichts des Liebestodes scheint ihre Stimme keine Grenzen zu kennen, und ihr „unbewußt, höchste Lust“ verströmte sich mit so rotfeuriger Glut wie der große Bühnenmond, der als visuelles Hauptelement des Abends fast die ganze Zeit über die symbolische Leuchtmarke dieser Aufführung gesetzt hat.

Mit Peter Seiffert stand ein erfahrener Tristan an Stemmes Seite (Rollendebüt am Haus bereits 2007). Seifferts Tenor hat sich in den langen Bühnenjahren von lyrischen Wurzeln ausgehend zunehmend verbreitert und ist dank seines Stimmtimbres in der Lage, diesen Wagner-Helden auch mit weicheren Seelenregungen zu „unterfüttern“. Als Bühnenerscheinung ist Seiffert schon allein durch seine Größe von besonderer Präsenz – und er war an diesem Premierenabend ein dieser Isolde ganz und gar würdiger Geliebter.

Beide schienen zudem sehr gut zu harmonieren, sangen ihre Rollen nicht nur „nebeneinander“ vorbei, sondern mit emotional aufrüttelnder „Du-Bezogenheit“, in der sich die individuellen Liebesansprüche des Paares von ihrer Umwelt gleichsam abkapseln und transzendieren. Sobald Stemme und Seiffert auf der Bühne standen, verdoppelte sich ihre Wirkungskraft – und im zärtlichen Beisammensein der beiden, im sich wieder Loslassen, im Aufeinanderzustürzen, wurde diese schwermütige und nervenaufreibende Beziehungsgeschichte nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch in eine natürliche, mit der Musik und dem Gefühlsleben der Figuren Hand in Hand gehenden Körperlichkeit übertragen. Wie viel hier die Darsteller selbst eingebracht haben und wie viel der Personenregie des Regieteams um David McVicar entsprungen ist, kann ich nicht beurteilen, aber McVicar hat zumindest diese natürliche Gestik und dieses Einlassen auf einen „ganz normal“ gespielten Liebestaumel nicht verhindert.

Die Orchesterlautstärke und der stimmdeckende Orchesterklang waren an diesem Abend immer wieder eine kritische Größe – und beides ist zu oft eine kritische Größe an Abenden, bei denen der Generalmusikdirektor persönlich am Pult steht. (Es war trotz seines fulminanten „Tristan“-Einspringens für Christian Thielemann Anfang September 2003 nicht der erste „Tristan“, nach dem Welser-Möst mit einigem Missfallen aus dem Publikum konfrontiert worden ist.) Für die Sänger war das kein Vorteil. Peter Seiffert hielt im dritten Aufzug stimmlich glücklicher Weise der Beanspruchung stand – und das war vielleicht die „bewundernswerteste“ Leistung des Abends, wie Seiffert durch diesen dritten Aufzug steuerte und wie es ihm dabei gelang, nicht nur physikalisch-gesanglich präsent zu bleiben, sondern auch im wortausdeutenden-gestalterischen Sinne Akzente zu setzen. Den akutischen Genuss von Stemmes schwelgerischem Liebestod haben die auftrumpfenden Orchestermassen allerdings stark gestört. Dass Franz Welser-Möst beim Schlussvorhang einige kräftige Buhrufe hinnehmen musste, hatte wahrscheinlich viel mit diesem viel zu unsensibel gestalteten Finale zu tun.

Sowohl Jochen Schmeckenbecher (Kurwenal) als auch Janina Baechle (Brangäne) wurden durch die genannten Umstände möglicherweise ebenfalls zu übermäßigem Forcieren genötigt – wobei sich Baechles für mich schon ein wenig „robust“ klingender Mezzo im zweiten Aufzug mehr markig als mit klangschönem „Impressionismus“ in Szene setzte. Jochen Schmeckenbechers „resch“ klingender Bariton wirkte einige Male schon stark beansprucht. Stephen Milling sang einen wortdeutlich seine Erschütterung artikulierenden Marke, nicht unbedingt aus dunklem „Heldenmark“ gefertigt, aber mit passender Noblesse. Eijro Kai war ein gesanglich solider Melot – im Outfit als asiatischer Krieger gekleidet mit silbern-metallenem Kampfgewand.

Noch einmal zum Orchester: Franz Welser-Möst gelang über die Gesamtstrecke des Abends ein spannendes und differenziertes Dirigat, wobei der „rauschhafte Liebeswahn“ sich mehr als „reales“ Nervenfieber mit einem gewissen Hang zur punktuellen „Überhitzung“ und zu plötzlichem Abflauen gestaltete. Die schwelgerisch-hochromantische Liebesgeschichte, die in jedem Ton zugleich ein liebevereinendes, mystisches Verstummen sucht, wurde eher nicht erzählt. Wenn Christian Thielemann – und der Vergleich muss jetzt sein, weil er die letzte „Tristan“-Premiere am Haus geleitet hat – hier (durchaus egomanisch) allein schon in der Dynamik die Extreme der Partitur aufgefächert hat (auch nicht immer zum Vorteil der SängerInnen), dann spürte man darin zumindest den unbedingten Willen, der Sache auf den Grund gehen zu wollen. Bei Welser-Möst blieb der Zugang, wie mir scheint, mehr pragmatischer, nüchterner Natur, nicht ohne überraschende Momente von Zärtlichkeit etwa in der Liebesnacht oder schon im Vorspiel, aber zu unkontrolliert im Fortissimo. Vielleicht hätte man den Abend deutlicher an diesen zärtlichen Momenten festmachen sollen: an dieser menschlichen Größe, dieses über menschliche Maßstäbe weit hinauszielenden Werks (und mit Stemme und Seiffert wäre dafür die ideale Besetzung bereitgestanden).

Das Bühnenbild zeigte im ersten Aufzug den flachen Rumpf einer Art von Wikingerschiff, mit einer Reling, die so desolat aussah, als habe man das Schiff unlängst als archeologische Sensation aus einem Torfmoor gegraben. Die Planen am Schiffsboden waren zum Glück für die Sänger besser verlegt. Etwas seltsam schien, dass dieses Schiff die meiste Zeit an einem parallel zum Orchestergraben im Vordergrund befindlichen Landungssteg angedockt war. So wird es schwerlich die Überfahrt zu König Marke geschafft haben. Im Hintergrund – allerdings nur von den unteren Rängen zu sehen – stand ein großer oranger Mond. Im dritten Aufzug sank dieser Mond dann tiefer, rot und drohend hitzte er Tristans Fieberträume auf.

Was im ersten Aufzug störte, waren die seltsam ballettartig agierenden Matrosen und die etwas täppische Zeichnung des Kurwenal, der sich später zwar rührend um den kranken Tristan kümmert, aber doch eher als „tumber“ Kerl charakterisiert wurde. König Marke war wie ein die asiatische Steppe bewohnender Fürst gekleidet – mit bodenlangem, kleidartigem Gewand und einer Art Pelzkragen – und könnte in diesem Kostüm gleich im Juli in Verdis „Attila“ im Theater an der Wien antreten. Seine Soldaten waren offenbar aus einem fernöstlichen Kostümfilm entlehnt, und ihre Krummsäbel schnitten effektvoll nicht nur die Luft, sondern auch das Fleisch ihrer Feinde. Wenn man weiß, dass die Produktion – wie zu hören war – schon in Tokio gezeigt wurde, dann versteht man warum.

Der zweite Aufzug zeigte einen Felsstrand mit einer langen, schräg in den Meereshintergrund auslaufenden Mole, einer Säule (eine Art von stilisiertem Leuchtturm?), der mit einem reifenartigen, leuchtenden Geflecht bekränzt war, im weiten Hintergrund die Sterne. Der dritte Aufzug zeigte einen nackten Felsenstrand (Tristan auf Sessel – angeschwemmtes Strandgut?); im Hintergrund alle Aufzüge hindurch ein meist oranger oder blau schillernder, leistenartiger, schmaler Wellenhorizont. Das Bühnenbild war dank der Beleuchtung (großer Mond) durchaus in der Lage eine passende Stimmung zu erzeugen, blieb in Summe aber eher unspektakulär. Die Trankszene im ersten Aufzug oder die Liebesnacht hätte man optisch symbolkräftiger gestalten können. Der Gesamteindruck blieb insgesamt eher karg.

In diesem speziellen Fall musste man als leidgeprüfter Opernbesucher aber dankbar dafür sein, dass bei dieser Produktion keine „intellektuellen Kunststückchen“ produziert wurden. Das was David MicVicar und sein Ausstatter Robert Jones auf die Staatsopernbühne gestellt haben ist „konservativ“ und unspektakulär, aber die Chancen, szenisch die Innenwelten der Tristan’schen Musik ohne grobe Stilbrüche nach außen zu kehren, sind ohnehin gering. Mit dieser Inszenierung kann man leben. Dass es ein (nicht sehr großer) Teil des Publikums anders sehen würde, war zu erwarten gewesen (also gab es auch hier Buhrufe, aber nicht so massiv wie in der letzten Zeit am Haus bei Regisseuren schon gehört).

Diskutieren kann man natürlich über die asiatische Invasion von Cornwall (Nachfahren einer versprengten hunnischen Reiterabteilung?) – und über den Schluss, wenn Isolde, in ein einfach gestaltetes und doch prächtiges rotes Schleppkleid gehüllt, nach dem Liebestod langsam in den Meereshintergrund abgeht. Ist sie jetzt gestorben? Sucht sie den Freitod? Warum wendet sie sich von Tristan ab? Wähnt sie dort, Richtung Hotel Sacher, Tristans schon entschwebte Seele, um sich mit ihr zu vereinigen? Als optischer Reiz war dieser Abgang zwar gut gewählt, aber schlüssig scheint er mir nicht.

Der finale Beifall dauerte 21 Minuten lang. Nina Stemme und Peter Seiffert wurden frenetisch bejubelt. Dirigent und Regieteam weckten einigen Widerspruch.

PS: Eine Frage soll noch gestellt werde: Warum setzt die Staatsoper eine Wagner-Premiere an einem Wochentag um 17:00 Uhr an? Bei einer Endzeit von ungefähr 21:50 hätte man getrost um 17:30 beginnen können, wenn nicht gar erst um 18.00 Uhr. Der Stehplatz war übrigens nicht ausverkauft, Ganz Seite Galerie, aber auch Ganz Seite Balkon nur sehr locker, bzw. gar nicht gefüllt.