TRISTAN UND ISOLDE
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Wiener Staatsoper
14. 12. 2009
Musikalische Neueinstudierung

Dirigent: Simon Rattle

 

Tristan - Robert Dean Smith
König Marke - Franz-Josef Selig
Isolde - Violeta Urmana
Kurwenal - Bo Skovhus
Melot - Clemens Unterreiner
Brangäne - Yvonne Naef
Hirt - Peter Jelosits
Stimme des Seemanns - Gergely Németi
Steuermann - Wolfgang Bankl


Tristan im Wohlklang
(Dominik Troger)

Eine Woche nach der „Macbeth“-Revolution wird der Staatsoperndirektor mit dem Publikum wieder zufrieden sein: freundlich applaudieren und Bravorufen darf es ja. Insofern kam Simon Rattles „Tristan“-Debüt in Wien gerade recht und die Verdi'schen Verwirrungen lösten sich in Wagner'schem Wohlgefallen auf.

Die Szene dieser 2003 aus der Taufe gehobenen Produktion kündete freilich vom langjährigen künstlerischen Unwillen der Direktion, eine der Theatern- und Operntradition Wien angemessene szenische Linie zu propagieren. Aber das ist inzwischen auch „gegessen“ – und der neue Direktor hat für seinen Start im Herbst 2010 gleich einen Vorschussbonus, weil er mit den Altlasten aufräumen kann. Doch die Regie hat an diesem Abend ohnehin niemanden interessiert. Alles wartete gespannt auf die musikalische Neueinstudierung des „Tristan“ unter der Stabführung von Simon Rattle und auf die erste „szenische“ Isolde von Violeta Urmana in europäischen Gefielden.

Simon Rattle hat in einem Interview für die ZEIT im Jahre 2002 den „Tristan“ bei Schubert verortet und von einem aus den Nähten platzenden Liedcharakter gesprochen. Auffallend war jedenfalls der über weite Strecken eher helle Orchesterklang, der weniger die Nacht beschwor als das liebesleuchtende Isolden-Licht – oder, um es mit Tristans Worten auszudrücken: „Wie, hör' ich das Licht?“

Rattles Deutung kann sicher nicht schwermütig genannt werden, manches explodierte förmlich, überrauschte in Wogen auch die Sänger, aber vieles wurde sehr klar und innig gestaltet, bewahrte sich einen mitfühlenden Blick auf Isoldes Anlitz, das gleichsam auf einer ruhigen Wasserfläche gespiegelt von emotionalen Steinwürfen immer wieder überschwemmt wurde. Rattle machte aber gewiss nicht Ekstase und Fieberwahn zum Ausgangspunkt seiner Interpretation: Es schien ihm stark um das Mitgefühl zu gehen, um eine Liebe, die sich nach Harmonie und Sicherheit sehnt, die letztlich, im zelebrierten Finale, in einem fast schon abstrakt zu nennenden Weltvergessen, ihre Leidenschaft verklärt. Konsequenterweise verzichtete Rattle auf extreme dynamische wie tempomäßige „Relationen“ und vermied ein betont dunkles, schweres Klangbild.

Der erste Aufzug begann mit keinem Auftrittsapplaus, weil sich Rattle schon vorher ins Orchester geschummelt hatte und plötzlich zu dirigieren begann. Man wurde als Publikum dadurch ins kalte Wasser gestoßen, und das Einfühlen in die ersten Takte misslang. Rattle suchte in Folge durchaus „romantische“ Steigerungsbögen, die den Sängern eigentlich schon zu viel an Kraft abverlangten, sein Staatsopern-„Parsifal“ vor einigen Jahren war hörbar von einem impressionistischeren Zugang geprägt gewesen.

Im ersten Aufzug wollte sich die Spannung nur phasenweise einstellen. Die Liebesnacht im zweiten Aufzug hat er für meinen Geschmack zu verhalten dirigiert. Die Verletzlichkeit von König Marke wurde dann aber wunderbar herausgehoben und verfeinert, ganz so wie Marke singt: „(...) dem Schmerz, dort, wo am weichsten, zart und offen, würd' ich getroffen (...)“. Rattle und Franz Joself Selig folgten Wagner hier bis in die innersten Fasern seines Gemüts. Erst im dritten Aufzug spannte sich das Auf und Ab der Steigerungen zu einem homogen Gesamteindruck und steigerte sich zu einem orchesterumrauschten Liebestod, der dann nachhaltig verebbte. Allerdings schien nicht immer alles mit der gebotenen Präzision abzulaufen, die beiden Folgevorstellungen werden erfahrungsgemäß einen insgesamt homogeneren Eindruck hinterlassen.

Die beiden Sänger der Titelpartien hatten es – wie angedeutet – nicht immer ganz einfach, sich gegenüber dem Orchester durchzusetzen. Außerdem ist ihr Stimmcharakter doch eine Spur zu lyrisch und „leichtgewichtig“. Sowohl Violeta Urmana als auch Robert Dean Smith wurde der Raum der Staatsoper eine Spur zu groß.

Robert Dean Smiths Stimme tönte im ersten Aufzug angestrengt und nicht in Topform. Sein „Tristan“ tendierte schon Richtung Grenzüberschreitung. Er steigerte sich bis zum dritten Aufzug deutlich, den er konzentriert und kompetent bewältigte. Auffallend waren sein Bemühen um ein sinnvolles Ausdeuten des Textes und um Wortdeutlichkeit. Das belebte die Fieberphantasien trotz des prinzipiellen Vorbehalts, dass seine Stimme für einen Tristan wahrscheinlich zu hell und lyrisch gefärbt ist. Vom Spiel wirkte er etwas unbedarft, und das verstärkte nur den halbkonzertanten Eindruck, den der ganze Abend hinterließ.

Violeta Urmana ähnelte dem „Tristan“ im klugen Haushalten mit ihren stimmlichen Ressourcen. Mit ihrer sehr gut geführten Mittellage und recht wortdeutlichem Gesang gelang ihr eine über weite Strecken perfekt durchgestaltete Isolde. Leider fehlten die Höhepunkte auf dem Isolden „i“: Die Spitzentöne, die bei ihr einfach nicht aufgehen wollen, wurden meist nur kurz gesetzt. Isoldes leidenschaftliche Ausbrüche klangen deshalb den ganzen Abend über immer etwas stumpf und zu kontrolliert-verhalten. Ihre Bühnenerscheinung war im langen Schleppenkleid sehr eindringlich: eine sinnlich-erotische Isolde mit schwarzen Locken, liebesehnend und verzehrend. Die statische Inszenierung mit ihrem absurden zweiten Aufzug, in dem Isolde und Tristan zwei Meter von einander entfernt an der Rampe stehen und minutenlang bewegungslos singend ins Publikum starren, war insofern kein Nachteil.

Franz Joself Selig steuerte einen feinnervigen Marke bei, vielleicht die sängerisch profundeste Leistung des Abends. Dankenswerter Weise hat sich das Regiekonzept schon so weit aufgelöst, dass er den König nicht mehr als peinlich schwitzenden, herzkranken und betuchten Großbürger mimen muss. Die Brangäne der Yvonne Naef sang mit einer in der Mittellage klangschönen Stimme, in der Höhe ging das eine oder andere Mal die Fasson ein wenig verloren. Bo Skovhus als Kurwenal wurde bei seinem Rollendebüt vom Publikum sehr goutiert. Clemens Unterreiner gefiel als intriganter Melot. Peter Jelosits war ein solider Hirte, Gergely Németi steuerte eine nicht ganz so solide Seemannsstimme bei. Der Schlussapplaus dauerte elf Minuten und Rattle lag auf der Begeisterungsskala deutlich voran.

P.S.: Der Zwischenvorhang, der früher Isoldens Auftritt im dritten Aufzug verdeckte, wurde offenbar abgeschafft. Sie tritt jetzt bei dunkler Bühne auf. Ob diese Änderung neu ist oder schon vor einigen Aufführungsserien eingeführt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.