TRISTAN UND ISOLDE
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Wiener Staatsoper
14. 1. 2007

Dirigent: Leif Segerstam

 

Isolde - Deborah Polaski
Tristan - Peter Seiffert
Brangäne -
Janina Baechle
Marke - Kurt Rydl
Kurwenal - Peter Weber
Melot - Clemens Unterreiner
Ein Hirt - Peter Jelosits
Stimme des Seemanns -
John Dickie
Steuermann - Wolfgang Bankl


Skandinavische Schwermut
(Dominik Troger)

Ein wenig euphorisch darf Frau/Mann nach diesem „Tristan“ schon sein, der als Kontrastprogramm zu den Mozarttagen die Staatsopern-Besucher mit wagnersüchtiger Endorphinausschüttung beglückte...

Nicht immer trifft ein, was emsige Mund-zu-Mund-Propaganda kundtut, aber diesmal traf sie, die erste „Tristan“-Vorstellung vom Mittwoch rezensierend, weitestgehend ins Schwarze. Peter Seiffert hinterließ auch in der zweiten Vorstellung seines Wiener „Tristan“-Debüts einen ganz vorzüglichen Eindruck. Seine Stimme bietet eine ideale Mischung aus heldenhafter Breite und Stetigkeit gepaart mit lyrischem Ausdrucksvermögen. Er muss weder schreien noch eine ungeschlachte Stimme zügeln. Seine etwas breitere Mittellage bietet ein sehr solides, aber auch sehr flexibles Fundament. Die Stimme vermittelt in der kräftiger gesungenen Höhe eine metallische Qualität, die den Helden hervorkehrt, trotzdem werden grundlegende, weichere und wärmendere Farben, die angenehmes Liebesfeuer entzünden, dadurch nicht ausgelöscht. Seiffert kann deshalb differenziert ans Werk gehen, mal mit einem de- oder crescendo dem Text nachspüren oder schon am Schluss des erstens Aufzugs voll zulegen (wo viele „Tristan“-Sänger noch gewisse Vorbehalte zeigen).

In den letzten Jahrzehnten hatte man es meist mit mehr ungeschlachten Helden zu tun oder „gewachsenen“ lyrischeren Tenören, die – trotz teils bemerkenswerten Leistungen – alle von dem einen zuviel und dem anderen zuwenig hatten. Aber bei Seiffert sitzt das wie ein Maßanzug. Die Gestaltung der Rolle war gut durchdacht, im ersten Aufzug wurde beispielsweise Tristans prekäre emotionale Situation sehr gut herausgearbeitet – bevor Isolde und er den Becher heben. Ab Mitte des dritten Aufzugs mehrten sich die Textunsicherheiten, aber das ist vielleicht schon bei der letzten Vorstellung am kommenden Freitag ausgeräumt. Seiffert hat seinen „Sprung“ zum „Tristan“ bestens vorbereitet und einen Maßstab gesetzt, den in den nächsten Jahren wahrscheinlich nur er selbst wird überbieten können.

Deborah Polaski wirkte stimmlich konsolidierter als bei ihrer Isolde vor einem Jahr. Die Mittellage klang weitestgehend problemlos und bei ihrer wie immer grandiosen Zeichnung des Rollencharakters fiel es leicht, über die manchmal nur sehr kurz angerissenen Höhen hinwegzuhören. Polaskis Isolde ist nachgiebig und heldisch, selbstbewusst und verletzbar, ohne Hang zur exaltierten Wagner’schen Selbstentäußerung (Waltraud Meier) oder einer letztlich doch spürbar adelig-noblen Zurückhaltung (Deborah Voigt).

Janina Baechles Brangäne präsentierte sich als gleichwertige, mitfühlende Vertraute, stimmlich gefestigt und schon gut fürs Wagner Fach gereift, eine passende Abrundung zum Heldenpaar – genauso wie der Kurwenal von Peter Weber. Kurt Rydl sang den Marke mit zu Herzen gehender herrschaftlicher Erschütterung: ein gealterter König vor dem seelischen und körperlichen Zusammenbruch, dem mit der verlorenen Liebe der letzte Frohsinn weicht und der ein bitteres Resümee seines Lebens zieht.

Eine weitere sehr positive Überraschung bot das Dirigat von Leif Segerstam, Anfang der 80er Jahre Chefdirigent des ORF-Symphonieorchesters und selbst leidenschaftlicher Komponist, der nach vielen Jahren wieder an das Pult der Staatsoper zurückgekehrt ist. Im Gegensatz zur mehr luziden, auf analytischen und pragmatischen Erwägungen beruhenden Sichtweise eines Franz Welser-Möst oder der berauschenden, ein wenig an künstlich-kostbares Design erinnernden und von Tempostürmen geprägten Thielemann’schen Ekstase, ging es Segerstam schwermütiger an, behäbiger. Das Geheimnis der Liebe ist ihm keine philosophische Aufgabenstellung, wird bei ihm nicht durch eine „Modernität“ gebrochen, sondern er lebt mehr im Vegetativen und spielt die schwerblütigere Melancholie langer blauverschatteter skandinavischer Winternächte. Er fühlt und nagt an der Macht des Mythos, die manchmal fast gewalttätig im Untergrund brodelt, meist aber doch bei vollem, breitem, immer noch gut durchhörbarem Wagnerklange zugunsten der SängerInnen gezügelt wird. Deshalb wohl auch das Aushalten der Schlusstakte, kein Todesverhauchen, sondern ein langgedehntes, erschöpfendes, zelebriertes Verscheiden, in dem sich – wie bei allen „Tristan“-Dirigenten von Bedeutung – der Abend zur Gesamtschau rundet wie in Isoldes liebstod-verschmachtendem Blicke der verblassende Himmel... Segerstams Freude beim Schlussvorhang war sichtbar und sein Dank an das Orchester, dessen Engagement deutlich über „normalen“ Repertoireabenden lag.

Der Schlussapplaus brachte es auf eine knappe Viertelstunde und war für das Liebespaar, Seiffert voran, ziemlich heftig. Aber auch die übrigen Mitwirkenden wurden reichlich beklatscht. Am kommenden Freitag gibt es noch eine Vorstellung: unbedingt empfehlenswert!