TRISTAN UND ISOLDE
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Wiener Staatsoper
5. September 2003

Dirigent: Franz Welser-Möst

 

Isolde - Deborah Voigt
Tristan - Thomas Moser
Brangäne -
Mihoko Fujimura
Marke - Robert Holl
Kurwenal - Peter Weber
Melot - Markus Nieminen
Ein Hirt - Michael Roider
Stimme des Steuermanns - John Dickie

Steuermann - In-Sung Sim


Kalkuliertes Risiko
(Dominik Troger)

Die Dirigentenrochade beim Wiener „Tristan“ sorgte gleich zu Beginn der neuen Saison für anregende Spannung. Thielemann ging, Welser-Möst kam. Gesiegt haben beide. Für den Schreiber dieser Zeilen stellt sich freilich die Frage: Wieviel Thielemann war an diesem Freitagabend schon draußen, und wieviel Welser-Möst drinnen?

Was sich ein wenig wie Waschmittelwerbung anhört, spielt freilich auch auf der hohen Klaviatur des Marketing. Es gab ja einiges zu lesen und zu hören in letzter Zeit, von Erschöpfungszuständen und unprofessionellen Absagen über den einen, von einer fast heroischen Einsatzfreude über den anderen. Aber für das Publikum ist das eigentlich bedeutungslos: Es lehnt sich zurück und genießt den Wettstreit in der musikalischen Arena der Wiener Staatsoper. Und Direktor Holender konnte sich keinen besseren Einstand wünschen. Die Oper sperrt auf, es gibt Gerüchte, und innerhalb von wenigen Tagen geben sich zwei Weltklasse-Dirigenten in Wien ein Stelldichein – und noch dazu beim „Tristan“. Was will man mehr? Jedenfalls schmiss sich Welser-Möst, wie man nicht genug betonen kann, an das von Thielemann nach der Saisoneröffnung verlassene Steuerrad und manövrierte das Isolden-Schiff aus dem Stand und ungeprobt in König Markes Land beziehungsweise nach Kareol (und die Klippen konnten ihm wahrlich nichts anhaben).

Und man soll nicht meinen, man habe keinen Unterschied gehört, zwischen Thielemann und Welser-Möst. Natürlich, die besonderen Umstände gilt es zu berücksichtigen. Thielemann hatte Zeit, sich seinen „Tristan“ zurechzustylen, und diese Zeit auch ausgiebig dafür genutzt. Das schloss gewisse klangliche Subtilitäten ebenso ein, wie nervenzerfetzende Temposteigerungen und Abstürze in Abgründe eines nahezu musikalischen „Nichts“. Ein „Tristan“ der Extreme gewissermaßen, schwankend zwischen rasendem Tempo und Flächen außerordentlich ruhigen Wassers. Thielemann steuerte seinen Kurs, ein wenig kreuz und quer, ein wenig egomanisch, wenn man das so sagen darf. Welser-Möst schwelgte (gestützt auf ein hochkonzentriertes Orchester) mehr in der bühnen-dramatischen Entwicklung des Werkes, dirigierte vom Tempo gleichmäßiger, und in Summe schneller, und filterte bald die Hauptwoge des Wagner’schen Tonmeers heraus, von der er sich teils tragen ließ, der er teils ein wenig vor eilte, in emotionsgischtenden Anläufen (die aber nie so synthetisch überhitzt wirkten, wie jene Thielemanns). Man könnte auch sagen, Welser-Möst holte die nervöse Künstlichkeit Thielemanns wieder auf einen gesünderen Boden praktischer Bühnenwirkung zurück, bei durchaus vollem, schönem, transparenten Orchesterklang. Ein „Tristan“ mit einer gewissen Süffigkeit, die dem Abend sehr gut anstand, und auch den Sängern sehr gut zu bekommen schien. Denn bei aller Faszination, die Thielemanns „Tristan“ auf mich ausgeübt hatte, das Orchester schien ihm letztlich doch ein wenig näher gelegen zu haben als die Sänger.

Denn unter Welser-Möst gelang zum Beispiel Thomas Moser so etwas wie ein „Tristan’scher Befreiungsschlag“, ganz ohne „Sparmaßnahmen“. Vom Dirigenten energetisch aufgeladen sang Moser einen fulminanten dritten Aufzug, dem schon ein guter erster und ein sehr guter zweiter vorausgegangen waren. Nicht, dass aus Moser plötzlich ein „richtiger“ Heldentenor geworden wäre, Wunder gibt es keine, aber er wirkte weitaus präsenter als in der Premiere, mit klarer Diktion und Stimme, bei aller Anstrengung nicht überfordert. Dabei musste man Mosers Musikalität bewundern, in der sein lyrisches Erbe wirklich aufging, das die schmerzreichen Wahnsinnsbögen im dritten Aufzug zu kunstvollen, sehnsuchtsheißen Gebilden flocht. Es war überraschend eindringlich, was Moser da auf die Bühne stellte. Sein Tristan war wirklich „lebendig“ geworden und emotional aufgewacht – denn Moser, bei aller Singkultur, zählt nicht unbedingt zu denjenigen, die die Gefahr einer herausfordernden Expressivität suchen – zumindest hatte ich in der Vergangenheit nicht diesen Eindruck gewonnen.

Auch Deborah Voigt wurde von Welser-Möst schon im ersten Aufzug viel stärker aus der Reserve gelockt. Nach einem verhaltenen Beginn, einem Vorspiel, das schön war, aber an die Dimensionen Thielemanns nicht heranreichte, begann dann plötzlich die Spannung sukzessive zu steigen. Es war genau während dieser sich langsam aufschaukelnden Erzählung Isoldens, als der Abend begann, mehr zu werden, als eine routiniert abgespulte Repertoire-Aufführung. Freilich, die Einschränkungen, die für Thomas Moser gelten, gelten in gewisser Weise auch für Deborah Voigt. Sie gelten insoferne noch mehr, weil ihrer Stimme die Tiefen des Todestrankes eigentlich fremd sind. Ihre Stimme ist, man verzeihe mir, zu schön. Die heroische Wirkung mag noch hinkommen, aber es fehlen ihr die dunkleren Farben, um daraus die mythische Liebes-Verstrickung, die aus königlichem Blut gespeiste stolz-verletzte Hinterhältigkeit zu gebären. Ihre Isolde ist mir zu ungefährlich. Die klangvoll gesetzten Höhen des Liebesduettes können mich da nicht versöhnen. Gerade im ersten Aufzug vergibt sie sich viel bei der Charakterzeichnung dieser Rolle.

Diese „Leichtgewichtigkeit“ der Stimmen ist überhaupt die Crux dieser „Tristan“-Serie. Sie beweist zwar, dass man auch derart ausgezeichnete Aufführungen zu Wege bringen kann, aber letztlich wird versucht, aus zuwenig, zuviel zu machen. Auch der Marke von Robert Holl ist da ein exzellentes Beispiel: Er geht in der Wehleidigkeit des Marke unter, die von dieser stupiden Inszenierung noch unterstrichen wird, und die aus ihm alles macht, nur keinen „König“. Doch Marke muss bei aller Trauer seinen königlichen Stolz bewahren. Holls Stimme ist nun eben auch nicht eine, die diese königliche „Markigkeit“ in sich trüge. Die Langeweile bürgerlicher Beziehungskisten ist aber nicht das Thema von Richard Wagner. Bei aller „Wesendonckerei“, der „Tristan“ zielt doch weit darüber hinaus. Da braucht es Stimmen und Charaktere, die dieses Ziel ins Auge fassen und zu Gehör bringen können. Sonst wird nichts Anderes als eine bessere „Seifenoper“ daraus. Holls Stimme hat dafür zu wenig Gewicht, und er konnte sich auch nicht – als eine Art Münchhausen – an den eigenen Stimmbändern aus diesem Inszenierungssumpf heraushangeln (wie es Thomas Moser zumindest an diesem Abend gelungen war). Die Voigt ist da von vorne heraus in der etwas besseren Position, weil ihre Stimme an sich über Charisma verfügt – jenseits von allen Facetten der Rollendeckung oder -Nichtdeckung.

Als Brangäne war Minoko Fujimura präsenter als Petra Lang in der Premiere. Das restliche Ensemble, ident mit der Premierenbesetzung, machte sein Sache, im Rahmen der gesteckten Möglichkeiten, gut.

Über die Inszenierung und das Bühnenbild möchte ich keine Worte mehr verlieren. Sie gehören dorthin, wo das neckische Hütchen von Brangäne schon vor der zweiten Aufführung gelandet ist: ins Depot beziehungsweise auf die Müllhalde. Das heißt, vielleicht fände sich sogar ein Abnehmer dafür. Wie man weiß, sind schwarze Klamotten und militärisch angehauchte Schnürstiefel auf deutschen Opernbühnen sehr modern. Allerdings kommt im Wiener Tristan kein Koffer vor, ich habe zumindest keinen erspäht. Möglicherweise mindert das den Wiederverkaufswert.

Welser-Möst wurde am Beginn jedes Aufzugs mit viel Bravo empfangen. Thielemann hatte bei der Premiere stärkeren Applaus – aber das kann sich ja noch ändern?! Viel Bravo-Rufe auch für das Sängerteam. Das Publikum war sehr zufrieden. Wenn man sich jetzt noch etwas wünschen dürfte: eine Premiere oder eine Wiederaufnahme für Welser-Möst, damit es sozusagen Chancengleichheit gibt, zwischen ihm und Thielemann. Ja, das könnten dann spannende, aufregende Opernzeiten werden.