TRISTAN UND ISOLDE
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Wagner Portal

Wiener Staatsoper
1. Mai 2022
Dirigent: Philippe Jordan

Tristan - Andreas Schager
König Marke - René Pape
Isolde - Martina Serafin
Kurwenal - Iain Paterson
Melot - Attila Mokus
Brangäne - Ekaterina Gubanova
Hirt - Daniel Jenz
Stimme des Seemanns - Josh Lovell
Steuermann - Martin Häßler


Stumme Rollen
Kinder - Aresu Eskandari, Katarina Klimaschka


Wenig Neues bei Tristan und Isolde?
(Dominik Troger)

Das Problem mit Premieren ist, dass man selbst zu oft ein Opfer eigener Erwartungshaltungen wird. Wenn man einmal weiß, was man zu sehen bekommt, ist es leichter möglich, eine Neubestimmung vorzunehmen. Ob sich dieses Unterfangen beim „Tristan“ gelohnt hat? Immerhin war es die letzte Vorstellung der Premierenserie.

Die Sänger waten also wieder durchs Wasser und Tristan schmettert die Leidenstöne mit seinem Trompetentenor, der das Auditorium mit hellem metallischem Glanz zu fluten vermag. Die Inszenierung von Calixto Bieto scheint es so zu drehen, dass Tristan in seiner Stimme das Ventil findet, durch das er seinen Liebesfrust ablassen kann. Denn dieser Tristan ist kein Held, bereits der erste Aufzug kündet von Selbstzweifeln und unterdrückten Liebesverwirrungen. Tristan badet in seinen Depressionen und Ängsten, gekleidet in einen unscheinbaren Parka und eine Schnürlsamthose – ein dahinvegetierender, armer Pfützenwasserschlucker, ein vom Weltenwahn zerfressener Nacht-Geweihter, dem vielleicht die Lektüre von Schopenhauer nicht bekommen hat.

Die Inszenierung zeigt Tristan als Anti-Helden mit stark autoaggressiven Tendenzen, die sich nicht nur in selbstverletzenden Handlungen ausleben, sondern genauso in tenoral gewaltigen, manchmal leicht grell gefärbten Leidensausbrüchen. Andreas Schagers gesanglicher Exhibitionismus wird von der Regie angetrieben, schließlich halten seine Stimmbänder auch den Fieberphantasien des dritten Aufzugs schonungslos stand. Sogar die Kulissenzerstörungsaktion des zweiten Aufzugs scheint bei Tristan zusätzliche Energien freizumachen. Beißt er nicht sogar ein Stück von dieser Tapete ab, die zerfetzt auf die Bühne flattert? Die lyrische Nähe der Liebesnacht hat Bieto nicht inszeniert – und Schagers Tenor ist dort auch nicht mehr so gewandt unterwegs. Dafür fehlt es der Stimme an „Unterfutter“ und Geschmeidigkeit. Es bleibt alles sehr geradlinig, ausrechenbar, auf Stentortöne gebaut.

Die Isolde von Martina Serafin steht sehr selbstbewusst diesem Tristan gegenüber. Stimmlich ausdauernd dank klugem Kalkül, die Anforderungen der Partie nicht schmeichlerisch verbergend, weil ihr stark herausgeforderter Sopran es offenbar auch gar nicht mehr anders zulässt. Auf diese Weise zeichnet sie ein etwas kantiges, mehr expressives als stimmschönes Porträt Isoldens. „Tristan ist nicht so stark wie Isolde“ wird Regisseur Calixto Bieto im Programmheft zur Aufführung zitiert – und er sagt auch: „Die Energie unserer Premieren-Isolde Martina Serafin hat mich sehr inspiriert“.

Ich kann das jetzt nachvollziehen – Martina Serafin hat viel Energie. Sie trägt den seitens der Regie ins Unbedarfte abdriftenden ersten Aufzug allein durch ihre Bühnenpräsenz, sie steht im zweiten Aufzug Tristan beim Einreißen der sozialen Mauern um nichts nach und bildet einen Gegenpol, an dem sich dieser abarbeiten kann. Doch für den Liebestod reicht es dann fast nicht mehr. Sie drapiert Tristan noch zu einem Ensemble mit weißem Speisetisch, aber eine Verklärung findet nicht mehr statt. Die Stimme versinkt phasenweise in (zu) laut spielenden Orchesterfluten, die die gesangliche Herbheit dieses Abschieds auf breiten Wogen davon schwemmen.

Martina Serafin hat zusammen mit Andreas Schager, René Pape und Ekaterina Gubanova bereits vor vier Jahren unter Philippe Jordan in Paris eine Serie an „Tristan und Isolde“-Vorstellungen gegeben. (Die Direktion wusste also sehr genau, welche künstlerischen Qualitäten sie sich nach Wien holt). Von den beiden Letztgenannten hatte Pape nicht den besten Start in diese Aufführungsserie, und Gubanova hat sich als Brangäne zu viel von der gesanglichen Herbheit ihrer Herrin angeeignet. Iain Paterson fehlte es ein wenig an baritonalem Heldentum und Clemens Unterreiner hat in der Premiere als Melot einen besseren Eindruck hinterlassen als Attila Mokus an diesem Abend.

Das Orchester spielte großartig, blieb aber interpretativ hinter den Möglichkeiten. Philippe Jordan saß als umsichtiger „musikalischer Hirte“ (zu) sicher auf dem Felsen und schwang sich nicht als Steuermann in einen kleinen, wellendurchpflügenden Kahn. Der Klang war ein wenig ölfarbig, fast schon zu deckend, passte zum dunkelrötlichen Schein von Bietos Bühnenblut. Und Jordan ließ für meine Geschmack immer wieder eine Spur zu laut spielen.

Zur Einleitung des ersten Aufzugs hat Richard Wagner notiert: „Langsam und schmachtend“, um sich aber zugleich das „Schleppen“ zu verbieten. Hat das Orchester unter Philippe Jordan „geschmachtet“? Ich würde eher von einer etwas breit ausgerollten Sentimentalität ausgehen, die allerdings die Initialzündung einer pharmakologisch hervorgerufenen Liebesverwirrung zu wenig beförderte. So hat Jordans „Tristan“ den sicheren Hafen drei Aufzüge lang nicht verlassen und es waren vor allem die physischen und psychischen Energien des Liebespaares, aus denen sich der Abend speiste wie aus einer unerschöpflichen Batterie. (Die Hirtenweise im dritten Aufzug wird offenbar aus den Höhen des Kristalllusters herab eingespielt, und das klingt zumindest auf der Galerie zu laut und unnatürlich.)

Fazit? Ich fand die letzte Vorstellung insgesamt spannender als die Premiere, vor allem den zweiten und den dritten Aufzug. Und wenn man den Totaleinsatz von Sopran und Tenor der Regie gut schreibt, würde sich dann dieser Inszenierung nicht sogar etwas Positives abgewinnen lassen? Andererseits erinnerte sie mich ein wenig an ein „Selbsterfahrungsseminar“ für angehende Schauspieler. Die akustische Anreicherung der Partitur mit Wasserplätschern, Papierzerreißen, Kulissenkrachen ist kein Genuss. Insofern ist man dann doch froh, wenn man für seine Karte nicht zu tief in die Tasche gegriffen hat.

Die Staatsoper war an diesem Abend in etwa so gut besucht wie die Premiere, mit einigen kleineren Lücken in den Sitzreihen. Das Publikum schien zufrieden und jubelte am Schluss dem Liebespaar sowie den anderen Mitwirkenden ausgiebig zu.