TRISTAN UND ISOLDE
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Wiener Staatsoper
14. April 2022
Premiere

Dirigent: Philippe Jordan

Regie: Calixto Bieto
Ausstattung: Rebecca Ringst
Küstüme: Ingo Krüger
Licht: Michael Bauer
Choreinstudierung: Michael Schebesta

Tristan - Andreas Schager
König Marke - René Pape
Isolde - Martina Serafin
Kurwenal - Iain Paterson
Melot - Clemens Unterreiner
Brangäne - Ekaterina Gubanova
Hirt - Daniel Jenz
Stimme des Seemanns - Josh Lovell
Steuermann - Martin Häßler


Stumme Rollen
Kinder - Aresu Eskandari, Katarina Klimaschka


Für die Fische
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat jetzt also einen neuen „Tristan“. Wieder einmal. Wasser, Schaukeln, Blut und Aggressionen. Dieser szenischen Depression hatte die musikalische Seite zu wenig entgegenzusetzen: ein mäßiger Premierenabend.

Warum es diese Neuproduktion überhaupt gebraucht hat, ist ohnehin ein Rätsel. Die Vorgängerproduktion von David McVicar hatte 2013 Premiere. Sie wurde laut dem online einsehbaren Staatsopern-Archiv achtzehnmal gespielt. Wahrscheinlich war sie der Direktion zu „konventionell“. Ob selbige mit dieser Neuproduktion glücklicher wird, bleibe dahingestellt.

Es gab in den letzten zwanzig Jahren in Wien einige bemerkenswerte Aufführungen des Werkes. 2003 war Christian Thielemann angetreten und sorgte für eine Maßstäbe setzende Interpretation. Die leicht postmodern-dystopische Inszenierung von Günter Krämer fand damals allerdings wenig Zustimmung. Zehn Jahre später wurde unter Franz Welser-Möst die oben erwähnte Neuproduktion gewagt. Deborah Voigt und Thomas Moser, Nina Stemme und Peter Seiffert bildeten jeweils die Premierenbesetzung. So lange ist das doch noch gar nicht her?

Die Staatsopern-Gegenwart konnte mit den beiden genannten Premieren in Summe nicht mithalten. Szenisch ist man ohnehin schon einiges gewöhnt, aber auch musikalisch zeigte sich noch die sprichwörtliche „Luft nach oben“. Bereits das (nicht verinszenierte) Vorspiel ließ erahnen wie sich die Aufführung gestalten würde: Musik als breiter Fluss, die Fluten immer wieder zu laut aufgetürmt, dunkelrot wie stockendes Blut – doch Liebe und Sehnsucht bleiben unerfüllt. Das Orchester unter Philippe Jordan spielte dynamisch zu wenig differenziert und Momente für subtile Spannungssteigerungen wurden mehr planiert als ausgekostet. Wagners orgasmuslüsterne musikalische Todessehnsucht hat man an der Staatsoper schon viel spannender und feinsinniger zu Gehör gebracht.

Martina Serafin manövrierte als Isolde stimmlich ohnehin am Anschlag durch die Aufführung. Ihr Sopran klang spröde, mit scharfen Spitzentönen. Sie spiegelte mehr die Nöte und Pein der Figur, als dass sie sich im Finale noch zu einem beseelenden Liebestod hätte aufschwingen können. Einiges konnte die Sängerin mit ihrem darstellerischen Einsatz wettmachen, der sich angesichts der Inszenierung allerdings wenig rollendienlich zu gestalten hatte.

Andreas Schager war als Tristan noch viel mehr ein Opfer dieser Inszenierung – minutenlanges im Wasser liegen, sich mit Blut beschmieren, sich so vollpumpen mit Aggressivität, dass er im dritten Akt trotz schwerster Verwundung Kurwenal niederringt und fast erdrosselt. Schager begann gesanglich stark, wurde aber im Laufe des Abends zunehmend zum Forcieren genötigt. Sein eher hell timbrierter, mit (zu) viel Kraft geführter Tenor hat im Zusammenspiel mit der Regie trotz darstellerisch hingebungsvoller Blutsudelei die emotionale Tiefe des Bühnencharakters nicht gerade befördert.

Die Brangäne der Ekaterina Gubanova wurde von der Regie zum Küchendienst abkommandiert. Ihr Mezzo neigte zu starkem Vibrato und sandte seine Warnungen ohne Leuchtkraft aus dem Bühnendunkel. René Pape sang einen feinfühligen Marke, aber sein Bass hat schon viel profunder geklungen. Mehr bürgerlich-besorgt als reckenhaft geriet der Kurwenal von Iain Paterson. Melot (ein guter Clemens Unterreiner) durfte nicht einmal Tristan die tückische Wunde selbst beibringen. Martin Häßler (Steuermann) und Josh Lovell (Seemann) sowie der Hirt von Daniel Jenz gaben keine Grund zur Klage. (Bis auf Clemens Unterreiner feierten alle Mitwirkenden Rollendebüt am Haus )

Regisseur Calixto Bieto kann in Interviews seitenlang erklären, was er mit seiner Inszenierung gemeint hat, letztlich zählt, was man als Besucher auf der Bühne zu sehen bekommt: Das sind sechzehn Schaukeln im ersten Aufzug, die über einer großflächig mit Wasser bedeckten Bühne vom Schnürboden hängen. Im zweiten Aufzug agieren Tristan und Isolde jeweils in einem vom Schnürboden hängenden Quader – getäfelte bürgerliche Zimmer, eines braun, das andere weiß, deren Interieur die Protagonisten mit Akribie demolieren. Der dritten Aufzug spielt dann im Müll, den die Zerstörungen des zweiten Aufzugs zurückgelassenen haben. Isoldes Kleid, grün mit weißen Tupfern, zitiert offenbar die Mode der späten 1950-Jahre.

Was sich in diesem, immer mehr dem Chaos zusteuernden Bühnenbild abspielt, wirkt oft unfreiwillig komisch und oft verrätselt. Im ersten Aufzug sind Brangäne und Kurwenal vor allem darum bemüht, die Schaukeln in Schwung zu halten, Tristan liegt die meiste Zeit im Wasser oder daneben, einmal robbt er über die Bühne zu Isolde, einmal wird er von ihr aus einer Wasserlacke gezerrt. Isolde darf schaukelnd Erinnerungen nachhängen. Trank gibt es keinen, alles scheint sich nur in der Phantasie der Protagonisten abzuspielen. Gegen Ende des ersten Aufzugs schleppt Brangäne in zwei Plastiksäcken zwei Fische auf die Bühne, die sie am Beginn des zweiten Aufzugs entschuppen und aufschlitzen wird.

Wenn Brangäne im zweiten Aufzug mit den Fischen fertig ist, zerlegen Tristan und Isolde ihre Zimmereinrichtung. Sie wirken isoliert, sie singen für sich. Erst später treffen die beiden einander auf dem Bühnenboden, die hängenden Zimmer haben sich schräg gestellt wie zwei verunglückte Gondeln. Tristan und Isolde wollen offenbar Selbstmord begehen. Tristan schneidet sich in die Arme, Tristan fügt sich mit Brangänes Fischmesser eine schwere Verwundung zu und beschmiert sich ausgiebigst mit Blut. Marke schlurft auf die Bühne und klagt, für Melot bleibt nichts mehr zu tun. Isolde wird durch eine „Isolde als Kind“(?!) vom Selbstmord abgehalten.

Der dritte Aufzug bietet zuerst nackte Tatsachen: Ein Rudel nackter Menschen bewegt sich über die Bühne, posiert, kopuliert, um sich dann im Hintergrund in einer Reihe aufzustellen. Tristan ist zwar schwer verwundet, aber körperlich recht agil. Nach einer gefühlten Ewigkeit taucht endlich Isolde auf, setzt ihn auf einen Stuhl und bettet sein Haupt auf den weißen Tisch ihrer einstigen Wohnungseinrichtung. Liebestod. Alle Übereinstimmungen mit dem Libretto sind rein zufällig.

Nach der von Missfallensbezeugungen überschatteten Generalprobe war man natürlich auf die Publikumsreaktionen gespannt: Es gab einen lauten Buhrufer nach dem ersten Aufzug, mehrere nach dem zweiten und viele lautstarke beim Schlussapplaus, als das Regieteam (sogar zweimal) vor den Vorhang trat. Der Beifall hielt insgesamt elf, zwölf Minuten lang an, die Ausführenden wurden zum Teil stark bejubelt – das mythische Liebespaar an ersten Stelle, aber auch der Dirigent.

Es gab einige leere Plätze, was nicht zwingend bedeutet, dass die Karten nicht verkauft worden wären: Das Wetter war an diesem Gründonnerstag eigentlich zu schön für einen „Bieto-Tristan“ und COVID ist auch noch nicht vorbei. Aber keine Sorge, für die Folgevorstellungen sind noch reichlich Karten verfügbar.