TANNHÄUSER
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Wiener Staatsoper
27.6.2010

Dirigent: Franz Welser-Möst

Hermann, Landgraf von Thüringen - Ain Anger
Tannhäuser - Johan Botha
Wolfram von Eschenbach - Christian Gerhaher
Walter von der Vogelweide - Gergely Németi
Biterolf - Alexandru Moisiuc
Heinrich der Schreiber - Peter Jelosits
Reinmar von Zweter - Marcus Pelz
Elisabeth, Nichte des Landgrafen - Anja Kampe
Venus - Michaela Schuster
Ein junger Hirt - Alois Mühlbacher (Sängerknabe St. Florian)

 

Tannhäuser Premierenserie: Vierte Vorstellung
(Dominik Troger)

Tannhäuser an der Staatsoper: Vierte und letzte Vorstellung der Premierenserie und eine gute Gelegenheit, die im „Premierenfieber“ gefasste Meinung bestätigt oder widerlegt zu finden.

Das Positive zuerst: der Abend zeigte sich von der musikalischen Seite viel lebendiger. Das wieder sehr detailliert und in prächtiger Klangvielfalt unter Franz Welser-Möst aufspielende Staatsopernorchester vermittelte deutlich mehr von Wagners Dramatik. Das Gefühl eines ziellosen „Auf–der-Stelle-Tretens“, das die Premiere im ersten und zweiten Aufzug beherrscht hatte, wurde weitestgehend ausgeräumt.

Die Motivwelt der Pilger würde insgesamt noch eine stärkere Prise Büßerschmerz und Erlösungssehnsucht vertragen, der Beginn der Ouvertüre beispielsweise könnte sich noch etwas mehr dem breiter werdenden Strome einer Pilgerschar hingeben, der sich – wie Tannhäuser in der Romerzählung so plastisch erzählt – in verheißungsvoller Absicht durch die Unbillen der Natur bewegt. Das unvermutete, unheimliche Aufzucken der venuslodernden Flammenzünglein, bei denen die Streicher dann recht schnell in Feuer geraten, war bereits überzeugend getroffen, züngelte überaus plastisch auf und nieder, formte sich zum bacchantischen Reigen, der dann in spannendem Ringen seine Erlösung wieder in der frommen, gnadenvollen Weise der Pilger fand.

Die weiten Bögen, die man als Wagner-Hörer so gerne einfordert, blieben gespannt – der Einbruch im zweiten Aufzug scheint mir vor allem durch die Inszenierung bedingt: Man müsste der Szene, die hier Wagners effektvoller Festmusik in jedem Takt entgegenarbeitet, orchesterseitig noch ein wenig mehr Pathos und freudvolle Erwartung gegenüberstellen. Freilich, diese marschartige Repräsentationsmusik: Moderne Regisseure zeigen gerne ihr Misstrauen, wenn Wagner martialischer wird. Auch der Regisseur dieser Produktion, Claus Guth, ist da ganz „in“ und hüllte – wegen irgendwelcher künstlerischer Assoziationen – die Festgesellschaft in schwarze Kutten ... Es wäre zu wünschen, dass man sich bei der musikalischen Umsetzung davon nicht beeindrucken lässt.

Johan Botha sang den Tannhäuser insgesamt risikofreudiger und gelöster als in der Premiere, ließ einen aber im ersten Aufzug bei „Elisabeth! O Macht des Himmels, rufst du den süßen Namen mir?“ kurz und heftig zusammenzucken, als er den „Himmel“ vergickste. Botha lotet mit dieser Partie wohl seine Grenzen aus. Vor allem der erste Aufzug scheint ihm (wie schon in der Premiere) gewisse Stolpersteine in die Kehle zu legen. Dies fällt umso mehr auf, als Botha in seinen Paraderollen mit einer beispiellosen Mühelosigkeit agiert. Der zweite und dritte Aufzug waren imposant, mit einer spannend dargebotenen Romerzählung als krönendem Abschluss. Ein „klassischer“ Heldentenor für die „schweren“ Wagner-Partien ist Botha meiner Einschätzung nach trotzdem nicht, aber er ist wohl die beste Alternative in diesem rar belegten Fach.

Um noch einmal auf das Misstrauen heutiger Regisseure gegenüber Wagner zurückzukommen: Christian Gerhaher als Wolfram ist deutliches Beispiel für dieses Misstrauen. Wolfram wird unter Guths Händen zu einem verklemmten, neurotischen, heuchlerischen Typen, der viel besser als Beckmesser Karriere machen würde. Gerhaher hat sich dieses Konzept in jeder Nervenregung und Phrase seines schlanken Bartons verinnerlicht. Aber auch für Gerhaher gilt: er ist vom Stimmtypus her betrachtet keine „klassische“ Besetzung für einen Wolfram. Die Stimme ist im Timbre für meinen Geschmack schon zu schlank und charakterorientiert und wird in ihrem Einsatz durch den Sänger viel zu intellektuell geführt. Dass Gerhaher das Guth'sche Konzept meisterlich umsetzt, wurde auch an diesem Abend vom Publikum wieder mit sehr starkem Beifall gewürdigt. Dass er an diesem Abend im Gegensatz zur Premiere aber schon ein wenig von seiner sängerischen Askese abrückte, bewies, dass Wagners Musik letztlich sogar Sänger wie Gerhaher „korrumpiert“.

Doch es lohnt, hier einen Augenblick zu verweilen und eine Szene als Beispiel herauszunehmen. Die Frage ist natürlich, wie man Wolfram charakterisieren soll? Wolfram wird, das scheint mir sehr eindeutig, durch seine Fähigkeit zum „Mitleiden“ und durch seine Selbstlosigkeit bestimmt. Heuchelei ist dieser Seele, die ähnlich wie ein Sachs sich zum Liebes-Verzicht bereit findet, fremd. Weder Wolfram (noch Elisabeth) kann man Selbstmordgedanken unterstellen – und Elisabeths Selbstmord in dieser Inszenierung ist nichts als Hohn und Spott über ihren von Wagner hinreichend dargestellten Erlösungswillen. Es kann schon sein, dass Guth die religiöse Komponente nicht mehr versteht (oder verstehen will), aber – und das wäre jetzt ein weiterer diskutierenswerter Punkt – als grundlegendes Symbol funktionieren diese religiösen Bezüge nach wie vor.

Um den Umgang Guths mit Wolfram und Wagner zu verdeutlichen, erinnere man sich wie Wolfram/Gerhaher den Sängerkrieg einleitet, wie er versucht, aus nachfolgenden Zeilen das Gegenteil von dem, was sie anzeigen, herauszulesen.

„Blick' ich umher in diesem edlen Kreise,
welch' hoher Anblick macht mein Herz erglüh'n!
So viel der Helden, tapfer, deutsch und weise, -
ein stolzer Eichwald, herrlich, frisch und grün.
lieblicher Blüthen düftereichsten Kranz.“

Schon das lächerliche Gehabe Wolframs irritiert, wie er verklemmt und immer wieder leicht in sich zusammensackend Aufstellung nimmt und vorträgt. Das „Grün“ des Eichwalds wird fast mit Sarkasmus gesungen, eines Eichwalds, den sich das Publikum hier wohl als dekadente, liederliche Versammlung denken soll. Die weisen und deutschen Helden passen da ebenso wenig ins Konzept, wie die tugendsamen Frauen.

Man beachte zum Beispiel auch Wagners Szenenaweisungen im „Sängerkrieg“: „Wolfram erhebt sich in edler Entrüstung. Bei seinem Beginn tritt sogleich die größte Ruhe wieder ein.“ Diesem Guth'schen Bühnen-Wolfram ermangelt jeder Hauch von Autorität, der die Festversammlung sogleich zum Schweigen bringen könnte. Außerdem reflektiert Wagner natürlich auf den historischen Bezug und auf die diesen mittelalterlichen Sprachkoryphäen zugestandene Anerkennung und Würde: das sind keine „Kretins“. Natürlich hat Wagner in den Sängerkrieg die Minnethematik integriert. Lächerlichkeit oder hinterfragender Zynismus ist von Wolfram hier völlig Fehl am Platz. Außerdem ist von vornherein klar: Tannhäuser ist der Herausforderer in diesem Kreis!

Anja Kampes Elisabeth wirkt nach wie vor ein wenig überreift, so als hätte sie zu lange auf Tannhäuser warten müssen. Im Gegensatz zur Premiere klang auch ihre Stimme freier, und etwas weniger forciert. Mit verführerischem Gesang konnte die Venus der Michaela Schuster auch an diesem Abend nicht punkten. Der Hirte, Alois Mühlbacher, ein Sängerknabe aus St. Florian machte seine Sache recht gut. Betreffs der übrigen Besetzung sei auf die Anmerkungen zur Premiere verwiesen.

Das Publikum spendete Sängern und Dirigenten auch an diesem Abend wieder starken Beifall.