TANNHÄUSER
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Wiener Staatsoper
16.6.2010
Premiere

Dirigent: Franz Welser-Möst

Inszenierung: Claus Guth
Ausstattung: Christian Schmidt
Licht: Olaf Freese
Chorleitung: Thomas Lang

Hermann, Landgraf von Thüringen - Ain Anger
Tannhäuser - Johan Botha
Wolfram von Eschenbach - Christian Gerhaher
Walter von der Vogelweide - Gergely Németi
Biterolf - Alexandru Moisiuc
Heinrich der Schreiber - Peter Jelosits
Reinmar von Zweter - Marcus Pelz
Elisabeth, Nichte des Landgrafen - Anja Kampe
Venus - Michaela Schuster
Ein junger Hirt - Alois Mühlbacher (Sängerknabe St. Florian)


„Ich weiss nicht aus, noch ein; ich bin Alles, was nicht aus noch ein weiss“
— seufzt der moderne Mensch…“

Friedrich Nietzsche, Der Antichrist

Sublimierte Impotenz
(Dominik Troger)

„Tannhäuser“-Premiere an der Staatsoper: eine üppig gepflegte, vier Stunden lang zelebrierte Langeweile.

Regisseur Claus Guth ist für seine introvertierte, psychologisch determinierte Handschrift inklusive manischer Verdoppelung von Bühnenfiguren bekannt. Die Figur des „Tannhäuser“ wandelte sich unter seinem Zugriff zum offenbar geisteskranken Opfer bürgerlicher Doppelmoral. Außerdem verpasste er der Handlung – ergänzend zu seiner konsequent durchgehaltenen Deutung – den Rahmen eines Schnitzler’schen Wiens um 1900. Möglicherweise versuchte er sogar, die weiten Länder literarisierter Schnitzler’scher Gefühlswelten zu visualisieren – aber wer vermöchte solche konstruierten Querbezüge noch als sinnvoll zu empfinden?

Das auf der Staatsopernbühne begutachtbare Resultat wirkte jedenfalls verkrampft, korrelierte mit Wagners Musik ebensowenig wie mit dem Libretto – und zwar dermaßen sinnentleerend, dass das Ergebnis nur mehr ermüdete. Guth tendierte zu langatmig arrangierten Tableaus, zu bedeutungsschweren, getragenen Bewegungsabläufen, dem Wagner’schen Elan jegliche Energie abziehend. Der Handlungsfortgang schien oft wie mit einer Zeitmaschine angehalten, erstarrend, zähflüssig stockend – wie die alles in Grautöne verschleiernde Verzweiflung eines impotenten Mannes, dem seine erotischen Wünsche in einer sublimierenden Geisteskrankheit verdämmern.

Der erste Aufzug hatte den Charakter einer sehr einfältig bebilderten konzertanten Aufführung. Guth setzte für den Venusberg auf „Bühne in der Bühne“, mit einem theaterroten Vorhang im Hintergrund. Das andere Ich Tannhäusers durfte mit einer sehr züchtigen Venus flirten, deren erotischste Geste darin bestand, einen Strauß Rosen auf den Boden fallen zu lassen und Zigaretten mit einem langen Spitz zu rauchen. Tannhäuser unterhielt sich gestisch getragen mit seinem Spiegelbild – mal den Arm ausstrecken, mal mit ihm parallel über die Bühne schreiten. Zum Wonnemonat Mai hin öffnete sich dieser trennende Vorhang: und die Fassade des „Hotel Orient“ wurde als Bühnenelement nach vorne geschoben, ein Bordell, dessen unzüchtigen Lebenswandel man aber nur erahnen konnte. Immerhin handelte es sich um das Revier der landgräflichen Jagdgesellschaft, ein unglaublich origineller Einfall. Leider wirkten die Mannen so gelangweilt und züchtig, dass schwer zu begreifen war, warum sie sich gerade dort herumtrieben.

Der zweite Aufzug spielte im Schwind-Foyer der Staatsoper – ein optisch passender Rahmen, der dazu genützt wurde, alles was nach „Sängerfest“ aussehen könnte, zu torpedieren. Es gab keinen festlichen Einzug der Protagonisten, Chor und Sänger zeigten sich in schwarze Kutten gehüllt und trugen schwarze Augenmasken. Sehr lange turtelte Tannhäuser noch mit Elisabeth alleine auf der Bühne (Er küsste sie sogar!), da sollte laut Musik das Fest längst begonnen haben. Später legten die Sänger und der Landgraf die Kutten ab. Der Sängerkrieg entwickelte sich schaumgebremst, und es blieb gänzlich unbegreiflich, warum sich alle plötzlich über Tannhäuser beschweren und warum selbiger nach Rom reisen soll. Der Pilgerchor war schon im ersten Aufzug in Form einer gut bügerlich gekleideten Herrengruppe aufgetreten, deren Mitglieder sich mit einem kurzen weißen Seil zeremoniell auf den Rücken schlugen – langsam, wohlgeordnet und angezogen wie aus einem Modekatalog um 1900 über die Bühne wandelnd ...

Im dritten Aufzug hat Guth das dem Publikum abgeforderte Abstraktionsvermögen etwas reduziert. Die Handlung wurde ins Krankenzimmer einer Psychiatrischen Anstalt (angeblich Wien Steinhof) verlegt. Die Pilger waren inzwischen zu zwangsjackengezähmten Irren verkommen, die das Krankenzimmer belagerten und dann von Personal weggescheucht wurden. Elisabeth, die am Lager des starr im Bette ruhenden Tannhäusers wachte, schied durch einen mittels Tabletten aufwendig zelebrierten Verzweiflungselbstmord aus der Welt. Nach einer sanften Drehbühnenverrückung zeigte sich ein Vorzimmer, in dem Wolfram seinen Revolver als Abendstern besang und sich leider keine Kugel in den Kopf schoss, weil er noch szenisch gebraucht wurde. Dafür legte er sich final in ein freies Bett. Vorher erhob sich aber noch Tannhäuser von seinem Krankenlager und berichtete Wolfram von der Romreise. Wolfram wurde dadurch nicht gerade aufgeheitert. Schlussendlich tauchte die Jagdgesellschaft wieder auf und beglückte die tote Elisabeth mit weißen Rosen. Tannhäuser holte seinen Reisekoffer unter dem Bett hervor, in dem er vor einer Stunde noch wahnstarrend von Elisabeth beweint worden war. Tannhäuser und der Vorhang – FALLEN.

Leider schlug die musikalische Umsetzung in dieselbe Kerbe. Es fehlte an: LEIDENSCHAFT, LEIDENSCHAFT und nochmals LEIDENSCHAFT!!! Das Orchester unter Franz Welser-Möst spielte sehr schön, instrumental wunderbar modelliert, in den Bläsern allerdings ein wenig hohl und kaum erstrahlend. Spannung kam aber keine auf – das floss oft zäh dahin, ballte sich dann wieder zu lautstarken Ausbrüchen, gewann aber kaum emotionale Aussagekraft. Ungefährlich züngelte schon in der Ouvertüre der Venusberg, ein blankgeputztes hübsch modelliertes „Feuerchen“, von den Bläsern des Pilgerchores dumpf ausgepustet. Diese Pilger, die durch Staub und Dreck nach Rom wallend Erlösung erwarten, welche Hoffnungen hegen sie, wie plagt sie die gefühlte Schuld? Welcher Fanatismus müsste im zweiten Aufzug aufkeimen, welche Bedrohung von Tannhäusers Leben? Welche unglaubliche Energien stecken nicht in Wagners Musik, welche gefährlichen Überwältigungen? Die emotionale Tiefe und fast expressionistisch anmutende Haltung, die Wagner von den Künstlern einfordert (so wünscht er von Tannhäuser im dritten Aufzug zum Beispiel „unheimliche Lüsternheit“), wurde insgesamt mit einer hübsch designten, auf Dauer sehr monoton wirkenden „Depression“ zugespachtelt.

Zugegeben, die Sänger hätten es damit auch schwer gehabt. Johan Botha stieß beim Tannhäuser ein wenig an die Grenzen seiner helltimbrierten Tenorstimme, die ohne baritonales Fundament, den Tannhäuser zu (?) kantabel realisierte. Für mich ist Botha beim Stolzing oder Lohengrin viel besser aufgehoben. So beeindruckend sein Durchhaltevermögen und seine stimmlichen Reserven in der Romerzählung auch sein mögen, das klang alles zu asketisch und zu nüchtern, das forderte einen als Zuhörer emotional kaum heraus. Im ersten Aufzug hatte ich zudem den bei Botha äußerst seltenen Eindruck einer angespannt klingenden Stimme – und eine leichte Mattigkeit im Timbre hielt sich eigentlich den ganzen Abend lang. Premierenanspannung? Schauspielerisch wurde Botha von Guth überhaupt nicht gefordert – dass er sich mehrmals niederknien musste (und das beschwerliche Aufstehen), zweimaliges zu Boden fallen, erweckte mehr diskriminierende Heiterkeit als gebotenen Ernst.

Die Venus der Michaela Schuster wirkte alles andere als taufrisch, mit ihrem starkem Vibrato, etwas schriller Tongebung in der Höhe und auch eher hellem, kaum verführungsgeeignetem Timbre. Das war keine Premierenbesetzung. Hausdebütantin Anja Kampe hatte ebenfalls viel Vibrato zu bieten und ermangelte jener stimmlichen Jugendlichkeit, die gerade in der Hallenarie „bezaubern“ soll: das klang alles zu robust und mit zu viele Kraft gesungen, entwickelte keinen Liebreiz.

Christian Gerhaher verwechselte die Opernbühne mit einem Konzertsaal, sein schmalspuriger Wolfram war schlank wie ein Schubertlied. Seiner Stimme mangelte es an der gebotenen Fülle, die beispielsweise den Abendstern mit romantischem Leuchten erfüllen könnte. Zeigte dieser Wolfram überhaupt Gefühle oder sollte er nur einen Intellektuellen mimen, der sich dann aus Frust über irgend etwas erschießen möchte?

Der Landgraf war bei Ain Anger nobel aufgehoben, aber nicht wirklich „väterlich“, ein bisserl zu jugendlich womöglich, zu wenig autoritär und vor allem viel zu unbedrohlich im zweiten Aufzug. Von den Sängern war Gergely Németi als Walther überaus positiv zu vermerken, Alexandru Moisiuc als Bitterolf hätte sich bei einem echten Wettsingen wohl schwerlich durchgesetzt.

Das Publikum feierte Gerhaher, der Jubel für Botha klang schon nicht mehr ganz so überzeugend, bei den Damen brach der Applaus stark ein und brachte Venus und sogar Elisabeth ein paar Buhrufe ein, möglicherweise gab es sogar eines für Botha. Franz Welser-Möst wurde weitestgehend bejubelt, aber auch hier waren ein paar Buhrufe zu hören. Das Regieteam wurde nahezu einhellig ausgebuht, die Bravorufer traten zur Minderheitenfeststellung an.

Eine Viertelstunde vor Vorstellungsbeginn gab es noch Karten fürs Stehparterre, der Stehplatz war insgesamt bei weitem nicht so gut besucht wie erwartet. Wahrscheinlich hat Claus Guth schon im Vorfeld der Premiere in den Medien zuviel über sein „geniales“ Inszenierungskonzept erzählt.

Fazit: Ein in Summe schwer enttäuschender Wagner-Abend und ein weiteres Beispiel für eine missglückte Wagner-Inszenierung unter der Direktion Holender.