TANNHÄUSER
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Premiere Musikalische Leitung: Philippe Jordan |
Hermann, Landgraf von Thüringen
- Günther Groissböck |
Die Staatsoper hat sich einen neuen „Tannhäuser“ gegönnt. Der Premierenabend schwankte zwischen abgeschmackter Parodie und dem krampfhaften Versuch, der Geschichte um den sündigen Minnesänger eine „aktuelle Bedeutung“ abzuringen. Gesanglich war es vor allem „schmalspurig“. Gerettet haben den Abend das Staatsopernorchester und der Chor. Dabei hat Philippe Jordan am Pult Wagners Musik nicht gerade das „pralle Leben“ eingehaucht: ein in der Farbenpracht romantischer Wagner mit funkelndem Streicherklang und goldklingendem Blech. Doch die dramatische Innenspannung, die Gegensätze zwischen orgiastischer Liebeslust und reuegeplagter Sünderexistenz, wurde nur oberflächlich nachgezeichnet. Spannung kam eigentlich erst im Finale des dritten Aufzugs auf – und bis dahin regierte über weite Strecken eine in Schönklang gepackte, ausdifferenziert dargebotene, in ruhigen Fluss gebettete „Beschaulichkeit“. Gespielt wurde die auf der „Pariser Fassung“ beruhende „Wiener Fassung“. (Es gibt im Programmheft einen erläuterten Beitrag dazu, den Philippe Jordan verfasst hat.) Der Tannhäuser von Clay Hilley musste in große „Fußstapfen“ steigen und hat sich achtbar geschlagen. Sein Tenor besitzt einen relativ schmalen hellen Kern, mit dem die Stimme aber übers Orchesters kommt. Das Timbre ist etwas „streng“, ihr Klang in der Höhe eng. Sein Tannhäuser war uncharismatisch, aber er hat den Abend durchgehalten. Wenn das als Vorgabe für eine Staatsopern-Premiere genügt, dann wurde das Ziel erreicht. Martin Gantner (Wolfram) kann man insofern keinen Vorwurf machen, weil er für Ludovic Tézier eingesprungen ist. Dass sein nüchterner Bariton der Figur wenig Facetten abgewinnen konnte, steht auf einem anderen Blatt. Günther Groissböck zeigte sich mehr als pointierter denn als väterlich-orgelnder Landgraf, stimmlich in besserer Verfassung als zuletzt (was man als positives Zeichen mit nach Hause nahm). Die Minnesänger des Sängerkrieges waren gesanglich nicht in der Lage, der sie desavouierenden Regie Paroli zu bieten – doch dazu später. Wenn man bei den Damen den jungen Hirten als erstes erwähnt, ist das kein Ruhmesblatt für das Besetzungsbüro. Ilia Staple sang ihre kurze Passage mit hübschem Sopran, aus unerfindlichen Gründen vom Schnürboden hängend wie ein Barockengel kostümiert. Den Gesang der beiden anderen Damen prägte ein viel zu starkes Vibrato. Die stimmlichen Verführungskünste der Venus von Ekaterina Gubanova hielten sich in sehr engen Grenzen. Malin Byströms Elisabeth fehlte der strahlende Ton blühender Unschuld und Jugend, aber die Sängerin hatte noch die Generalprobe krankheitsbedingt abgesagt. Der Staatsopernchor war auf der Bühne der eigentliche „Matchwinner“, saftig und mit Pathos tönten die Pilger und mit noblem Jubel tönte der Einzug der Gäste im zweiten Aufzug. Auffallend war die Inkongruenz des szenischen Entwurfs von Lydia Steier. Das Bacchanal im ersten Aufzug als (zeitlich in der Zwischenkriegzeit angesiedelte) Life-Ball-Revue anzulegen, war allerdings „aufgelegt“, und dass die Venus vom Schnürboden schwebt, machte guten Effekt. So wurde der schäbige Theaterinnenraum, der auf der Bühne zu sehen war, zumindest mit allerhand Show aufgefüllt. Tannhäusers Weg in die Menschenwelt endete allerdings vor einer schwarzgrauen Wand, die mit Projektionen „belebt“ wurde. Der Hirte zeigte sich verfremdet als Barockengel in einem großen Wandausschnitt schwebend. Steier zitierte in dieser Szene noch die Bayreuther „Tannhäuser“-Inszenierung von Tobias Kratzer, ein clownesker Querverweis, der an sich schon „Bände“ spricht. Die Jagdgesellschaft spielte dann vor der „Wand“, von Natur keine Spur, und Landgraf und Mannen benahmen sich so peinlich, wie man heutzutage meint, dass sich Jäger benehmen müssten. Diese Szene strotzte nur so von ausgelutschtem „Regisseurstheater“. Nun ist es aber offenbar so, dass Tannhäuser die Lebenswelt dieser Kerle im Venusberg abgegangen ist – war er nicht selbst einst einer von ihnen, ist Elisabeth nicht mit dem Landgrafen verwandt? Und spätestens an diesem Punkt hätte der Regisseurin auffallen müssen, dass in Tannhäusers Brust zwei Seelen wohnen, Liebe und Lust, Elisabeth und Venus, Menschenwelt und Orgiengrotte – und dass man die Titelfigur selbst schwer beschädigt, wenn man eine von diesen beiden Seiten lächerlich macht. Im zweiten Aufzug wurde der Sängerkrieg als völkischer Kostüm-Mummenschanz entlarvt. Im Interieur eines Varietetheaters produzierten sich – vor beanzugten Herren und Damen in Dreißigerjahre-Kostümen beäugt – die Minnesänger in peinlicher Outrage, was dem Sängerkrieg jegliche Spannung nahm. Auch Tannhäuser wurde in diese „Farce“ miteinbezogen, mehrmals warf er seine „Mittelalter“-Frisurenperücke zornig auf den Boden. Diese Verulkung der „Menschenwelt“ (Tannhäuser inbegriffen) hatte weitreichende Folgen, weil sie dem Konflikt der „Welten“, der Tannhäuser existentiell (!) bedroht, die Schärfe nahm. Der unglaubwürdige Umschlag in Elisabeths Verhalten von operettenhafter Gefühlsduselei zu religiösem Sühnewahn erledigte dann den Rest und unterminierte schwer die Motivation für Tannhäusers reuige Pilgerschaft. Der dritte Aufzug blieb rätselhaft, wieder dieser schäbige Theaterraum, aber weitgehend leer. Drei oder vier alte Fernseher, vor denen Menschen sitzen. Eine kunstinstallationsartige, aus Monitorbildern zusammengebaute Statue Mariens oder gar der heiligen Elisabeth, flimmerte ins Auditorium. Es war alles sehr trist. Doch dann offenbarten sich verheimlichte sexuelle Wünsche: Elisabeth knutscht noch kurz mit Wolfram ehe sie über eine Treppe „entschwebt“; Wolfram hat beim Abendsternlied homosexuelle Phantasien. Der Klamauk vom zweiten Aufzug war plötzlich vergessen, die Regisseurin versuchte interpretatorischen „Ernst“ in ihre Produktion zurückzuholen. Aber der Schaden war längst angerichtet. Im Finale wurde dann ein letztes Quentchen Trost aus einer insgesamt wenig gelungenen Neuproduktion gequetscht: wenn Tannhäuser verstirbt und Elisabeth in weißem Kleid wie ein Engel besagte Treppe zu ihm abwärtsschreitet. Der Schlussapplaus war nach gut vier Stunden (inklusive zweier Pausen) mit knapp fünfzehn Minuten überraschend lange, trotz vieler Buhrufe gegen das Regieteam. Beim ersten Einzelvorhang mussten außerdem Wolfram und Elisabeth einige Buhrufe über sich ergehen lassen, beim zweiten Einzelvorhang traf es auch die Venus. Ein einsames Buh gab es bereits gleich nach dem ersten Aufzug. Die Premiere war seitens der Staatsoper dem erst vor wenigen Wochen verstorbenen Peter Seiffert gewidmet worden, der 2012 drei „Tannhäuser“ Vorstellungen an der Staatsoper gesungen hat. PS: In Anbetracht dieser Neuproduktion stellt sich wieder einmal die Frage, ob die Opernhäuser nicht viel zu oft dieselben Werke neu inszenieren. Die Staatsoper hat sich zuletzt 2010 an den „Tannhäuser“ gewagt (Regie Claus Guth; Tannhäuser: Johan Botha). Die Produktion wurde nur achtzehn Mal gespielt und verschwand bereits nach vier (!) Jahren wieder aus dem Repertoire. |