SIEGFRIED
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Wiener Staatsoper Dirigent: Simon Rattle |
Siegfried
- Stephen Gould |
„Siegfried
am Feiertag“ Der zweite Durchgang des „Rattle-Rings“ ist zu Fronleichnam beim „Siegfried“ angekommen. Bei sommerlichen Außentemperaturen pilgerten die Liebhaber vorzeitlicher Pädagogik zu Wagners Jungspund, um dabei zuzuschauen, wie dieser seinen Ziehvater aus der Welt schafft und sein erstes erotisches Abenteuer erlebt. Stephen Gould als Siegfried und Herwig Pecoraro als Mime haben schon die Premiere vor sieben Jahren gestaltet und sind ein eingespieltes Team, das großen Unterhaltungswert garantiert. Sie pflegen ihren Streit wie ein altes Ehepaar und schenken sich – wie man so sagt – nichts. Pecoraros Mime ist stark utilitaristischer Natur und gibt dabei einen fast schon hoffmannesken Charakter ab. Pecoraros Mime ist mit schneidender Stimme begabt, wenn es darauf ankommt, er ist berechnend und abgefeimt, in der Wandererszene aber auch ein Opfer eigener Überheblichkeit und der Machtstrukturen der Wotanswelt. Pecoraro spielt den Zwergen mit eigenartig trippelnden Schritten, einmal holt er aber zu markigem Stechschritt aus, wie wenn er schon nach heiß ersehnter Ring-Gewinnung in diktatorischen Gelüsten schwelgte. Mitleid erweckt dieser Mime kaum, eher das Faszinosum am Grotesken, und er besitzt einen intellektuellen Zug, den wohl schon Sven Eric Bechtolf in seiner Regie angelegt hat. In der Schmiedehöhle findet sich sogar ein Lexikon: Anhand einer Abbildung erkennt Mime in Wanderer Wotan. Diese Erkenntnis schmeckt dem altklugen Zwergen gar nicht. Mag sein, dass dieser Mime sogar den sozialen Fortschritt der Nibelungen markiert – frei von Alberichs Knechtschaft haben sie sich in eine Art von Selbständigkeit gerettet, in der sich ihrer rasch eine kapitalistische Gier nach Weltherrschaft bemächtigt. Siegfried benimmt wie sich ein Jugendlicher, dem die Ratschläge der Eltern schwer auf die Nerven gehen – aber Gould ließ auch erkennen, dass Mime letztlich abseits von Wolf und Bär die einzige Bezugsperson für Siegfried ist. Als Mime ihm von Sieglinde berichtet, erfasst er des Zwergen Hand wie ein Kind, das gespannt einem erzählten Märchen folgt. Die emotionale Betroffenheit Siegfrieds, als er vom Tode seine Mutter erfährt, hat Simon Rattle im Orchester sehr schön herausgebracht und damit gleichsam den „Nullpunkt“ des ersten Aufzugs markiert – jenen Moment, in dem Wagner dem unbekümmerten Helden eine erste Einsicht in den unanwendbaren Ablauf allen Daseins erlaubt. Siegfrieds Jugend schüttelt dergleichen freilich sofort wieder ab, vom Tod will er nichts wissen, ihn drängt es in die „Welt“. Stephen Gould – eben mit der Kammersängerwürde ausgestattet – leistete als Siegfried wieder Außerordentliches. Ihm sitzt nicht nur der Schalk im Nacken und in der Stimme – wie beim detailverliebt ausgespielten Versuch im zweiten Aufzug, mit dem Waldvogel Kontakt aufzunehmen – sondern er besitzt eine unbekümmert wirkende, nie versiegende Kraft, mit der er bis zur „leuchtenden Liebe“ der Brünnhildengewinnung den Weg dieses unbekümmerten Kerls zu bestreiten vermag. Die Stimme klang mir an diesem Abend vielleicht eine Spur baritonaler als in erinnerlich – mal sehen, ob sich der Eindruck in der „Götterdämmerung“ bestätigt. Tomasz Konieczny komplettierte als Wanderer den ersten Aufzug – ein Wanderer der herrisch sein Haupt verpfändet – und darüber, dass Mime es nicht schafft, die richtige Frage zu stellen, kann dieser Wotan auf Wanderschaft nur mehr belustigt den Kopf schütteln. Der Zynismus der Mächtigen, er kommt bei diesem Wanderer gut heraus, weniger das „philosophische Ringen“ um Antwort im dritten Aufzug. Koniecznys Wotan kämpft in einem darwinistischen Sinne ums Überleben und seine durchschlagskräftige Stimme bezeugt, dass er um keinen Zentimeter nachgeben möchte. Der Alberich von Richard Paul Fink verblasste einigermaßen neben diesem Wanderer – sein Platz war doch der neben Mime, und die beiden lieferten sich ein kurzes, amüsantes Geplänkel vor der Neidhöhle. Janina Baechle sang wieder eine Erda mit auf Ausgewogenheit bedachter Stimme – einfühlsam und mit urmütterlicher Würde. Der Fafner von Mikhail Petrenko geriet in seinem Abschiednehmen für meinen Geschmack zu eindimensional und sein Bass ließ nicht die erwartete „Drachenschwärze“ hören. Annika Gerhards steuerte die Stimme eines Waldvogels bei, der noch ein bisschen lockerer zwitschern könnte. Evelyn Herlitzius ging als Brünnhilde nicht nur sprichwörtlich durch einige „Höhen“ und Tiefen“. Ihre Brünnhilde erinnerte mich ein wenig an Hildegard Behrens, etwas kühler im Timbre, aber ebenfalls aus einer zu wenig befestigten „hochdramatischen Gesangslinie“ in die „Emotion“ abtriftend. Herlitzius gelang manch leuchtkräftiger Spitzenton, wobei sie sich aber den finalen „Tod“ – nur ganz kurz angesungen – beinahe „geschenkt“ hätte. Dazwischen gabs Passagen, wenn die Stimme in der Mittellage etwas gehaltvoller klingen sollte, die der Sängerin hörbare Mühe zu bereiten schienen. Aber wie sich schon bei der „Walküre“ gezeigt hat, Herlitzius wird vom Publikum sehr unterschiedlich wahrgenommen. Große Begeisterung und einige Skepsis stehen eng beieinander. Simon Rattle sorgte im Wesentlichen für eine weitgehend spannende Wiedergabe. Aber es stellt sich zunehmend die Frage nach der „Besonderheit“ dieses „Rings“, die dem Ruf, den Rattle zumindest am Konzertpodium genießt, gerecht werden könnte. An die ausgetüftelte Klangregie Christian Thielemanns kommt dieser „Ring“-Serie beispielsweise bei weitem nicht heran – dafür mag sich Rattle näher am dramatischen Puls des Geschehens befinden. Aber dergleichen haben an der Staatsoper schon viele „Ring“-Aufführungen geboten. Was bisher vor allem auffällt, ist Rattles etwas eigenwilliges Tempoarrangement und seine Fähigkeit die Aufzüge wirklich mit Energie und Schwung ausklingen zu lassen – diesmal zum Beispiel die Spannung von den Schmiedeliedern bis zum finalen Schwertstreich mitnehmend oder das in seiner Energiefreiwerdung beispielgebende Finale des ersten Aufzugs „Walküre“. Aber dann klingen griffige Motive im Detail doch wieder zu kraftlos und für die Akzentsetzung sorgt einmal mehr eine gehörige Portion an Lautstärke, in der die Bläser mit etwas rauer „Textur“ den Ton angeben. Der
Schlussjubel lag wieder bei der „gefühlten“ zehn Minuten
Marke. Die Staatsoper wies einige leere Sitzplätze auf. Vor der Vorstellung
wurden viele Karten privat und agioteursmäßig angeboten. Das
Wetter verlockte auch zu sehr, im Freibad zu verschwinden oder einen Grillabend
zu veranstalten. |