SIEGFRIED
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Wiener Staatsoper
27.4.2008
Premiere

Dirigent: Franz Welser-Möst

Inszenierung: Sven-Eric Bechtolf
Bühne: Rolf Glittenberg
Kostüme: Marianne Glittenberg
Video: fettFilm

Siegfried - Stephen Gould
Wanderer -
Juha Uusitalo
Brünnhilde -
Nina Stemme
Mime - Herwig Pecoraro
Alberich - Tomasz Konieczny
Erda - Anna Larsson
Fafner - Ain Anger

Waldvogel - Ileana Tonca


Doch kein Easy-Rider
(Dominik Troger)

Zwischen Stadt-Marathon und Rapid-Meisterfeier hatte die Siegfried-Premiere an der Staatsoper einen guten Stand: der kraftlackelnde Naturbursche wäre möglicherweise bei beiden Veranstaltungen nicht Fehl am Platz gewesen...

Eine zufällige Überschneidung zwischen sogenannter Populär- und Hoch-Kultur gab es auch in der ersten Pause von Wagners Tenor-Marathon, als hundert rapidgrüngeschmückte Bikes vor der Oper die Lungen des illustren, auf der Opernterrasse flanierenden Publikums mit blauen Auspuffwolken benebelten: ein vielversprechendes Warmup für Fafners sehrendem Odem mit einem furchterregenden Motorengebrumm untermalt, das der schmatzenden Genussfreudigkeit eines hungrigen Riesenwurms um nichts nachstand. Doch zu solch symbolträchtigen Verlinkungen gab sich Sven-Eric Bechtolf auch bei seinem zweiten „Ring-Abend“ nicht her: der Drache – der riesengroß projizierte Ausschnitt eines Echsenauges – war im Vergleich zur donnernden, titelfeiernden Easy Rider-Prozession vor dem „Haus am Ring“ ziemlich steril geraten und Siegfrieds Bühnenkampf mutierte zum harmlosen weißen Comic-Männchen im schwarzen Pupillenrund ...

Nun ist der „Ring“ als Gesamtkomplex betrachtet äußerst heterogen und zwingt viel zusammen, was meist nebeneinander steht: Sozialkritik, anarchistische Schwärmerei, Geschichtsphilosphie, moralische Implikationen, eine mit Fortschreiten der Handlung zunehmende psychologische Ausdifferenzierung der Personen und eine starke Naturmystik, die die Handlung durchwebt und beharrlichen Kontrast zu den wechselnden göttlichen und menschlichen Schicksalen bietet. Insofern ist es kein Fehler, wenn Bechtolf im Programmheft zur Aufführung auf die Inkohärenz dieses Riesenwerks verweist. Doch fragwürdig wird es, wenn er meint – Zitat: „Allem und jedem versuchen wir, hermeneutisch plappernd, eine Antwort abzupressen.“

Dass Bechtolf einer politischen Deutung aus dem Wege gehen möchte, ist ihm nicht vorzuwerfen – aber was setzt er an deren Stelle? Meidet er nicht genauso den Blick auf die visionäre Weitläufigkeit von Wagners Konzeption, die Zeiten und Landschaften durchmisst, die die Schauplätze zu einer psychologisch-symbolischen Topographie des Geschehens macht? Lässt er sich wirklich auf die psychologischen Konflikte der handelnden Figuren ein? Scheint er sich nicht viel mehr von Szene zu Szene vorwärtszubewegen und einen Bilderbogen zu präsentieren, bei dem die einzelnen Blätter nur sehr lose aneinanderhängen? „Es bedarf“, so Bechtolf „bei dieser äußersten Komplexität der Vorlage, einer vorsätzlichen Naivität in der Ausführung.“

Aber wie vermöchte man auf das, was Bechtolf hier vorgestellt hat, kritisch zu antworten, ohne in „hermeneutisches Plappern“ zu verfallen? Insofern muss man das, was an diesem Abend auf der Staatsopernbühne zu sehen war, selbst für die Erklärung nehmen – und da fand ich mich rasch in eine freundliche Plauderei verstrickt, in der am Großbügerkamin quasi Bechtolf Junior seine nicht immer ganz provokationsfreie, aber doch launige Fassung der „Siegfried“-Geschichte zum Besten gab. Ob das, was da erzählt wurde, immer Sinn machte, darf bezweifelt werden. Aber das scheint auch nicht so sehr die Absicht gewesen zu sein.

Aus diesem verneinenden Blick auf den Gesamtzusammenhang resultieren jedenfalls eine Reihe von Irritationen, die für sich allein betrachtet nicht weiter tragisch, gebündelt aber doch einen eher fragwürdigen Eindruck hinterlassen. Mime eine wohlaufgeräumte Schmiedemanufaktur als Wohnung hinzustellen, erscheint schon ein wenig hochstaplerisch – aber vielleicht wird hier Mimes Hochstapelei in Sachen Weltherrschaft persifliert, das wäre eine Antwort. Ebenso merkwürdig erscheint Wotans Bemühen, Erda aus einem Grab zu schaufeln und dann wieder mit ein paar Erdwürfen „einzubuddeln“. Dass Siegfried später Wanderer in dieser Grube ziemlich derb behandelt, schafft immerhin eine interessante Optik. Das Grab als Familiengruft und Symbol von Wotans Untergang? Das wäre sogar eine Überlegung wert...

Dass im Wald des zweiten Bildes Wild die Wände hochläuft, zeugt schon von einer sehr verqueren Phantasie und ist vielleicht als letzter Reflex auf die vom Junior ungeliebte Jagdleidenschaft eines Bechtolf‘schen Ahnen zu deuten. Manche Szenen gingen auch daneben: etwa der schwerfällige Schluss des zweiten Aufzugs, wenn Siegfried in naiver Fröhlichkeit drei oder vier Mal zurückläuft, um sein Reisegepäck aufzunehmen. Sehr seltsam auch der Brünnhilden-Kokon, aus diesem Harnisch vortäuschendem Stoffgebilde, dass Siegfried wie eine Puppenhaut Schicht um Schicht abtragen muss – dabei peinlichst bemüht, Metallschwere vorzutäuschen.

Musikalisch betonte Franz Welser-Möst die strukturelle Spannung der Partitur, nicht unbedingt die emotionale. Der erste Aufzug geriet bis zu Wanderers Erscheinen äußerst flau. Dann wurde es belebter, phasenweise wurden die SängerInnen etwas überdeckt. Schönes transparentes Musizieren wurde jedenfalls gesucht, aber nicht immer erreicht.

Eine wirklich positive Überraschung gelang Stephen Gould, der bis zum Schluss ansprechend durchhielt. Die Mittellage ging zwar in den Orchesterfluten zeitweise etwas unter, aber die Höhen waren prägnant. Vor allem hatte man bis zum Schluss nicht den Eindruck, dass er über Gebühr forcieren musste. Ein Heldentenor „klassischen“ Zuschnitts ist er nicht, als besonders charismatisch würde ich die Stimme nicht einstufen. Die Rolle schien zu seinem Naturell zu passen; ein wenig unbedarft von der europäischen Gedankenschwere. Dass Bechtolf die Zeichnung des Siegfried manchmal fast ins Klamaukhafte abdriften lässt, scheint ihn nicht gestört zu haben.

Nina Stemme hatte alle Sympathien auf ihrer Seite – trotzdem ist sie keine Hochdramatische. Das offenbarten ein paar Spitzentöne deutlich. Die Intensität ihres Wagner Gesangs reißt natürlich mit, und in der Mittellage ist sie ganz Leidenschaft. Ob sie auch wirklich „Brünnhilde“ darstellt, da muss man wieder Bechtolf fragen und Marianne Glittenberg, die ihr ein silbernes, schulterfreies Abendkleid verpasst hat. (Zumal sich die Szenerie seit der „Walküre“ ganz verändert hat, auch so eine Seltsamkeit ...) Es ist zu hoffen, dass sich Stemme nicht als neues „Brünnhilden-Wunder“ opernauf, opernab verheizen lässt.

Der Mime von Herwig Pecoraro war als bewährt bekannt – und er gibt der Partie eine grelle Facette, die Mime als bösartigen Charakter herausstreicht – und weniger das mitleidheischende Zwergenhafte forciert. Verspielt ist dieser Mime überhaupt nicht – oder tolpatschig. Er ist ein verkappter Machtmensch, der seine Chance sucht. Wotan tut ganz recht, ihm die „Daumenschrauben“ anzulegen. Doch ein wenig leidet die Vielfalt des Charakters darunter – und Mimes Psychogramm verflacht dadurch.

Für den Wanderer fand Juha Uusitalo etwas angerauhte, bewusst mächtig gesetzte Töne. Die Wissenswette im ersten Aufzug zählte insgesamt zu den spannendsten Bühnenmomenten der ganzen Aufführung. Thomas Konieczny feierte ein erfolgreiches Staatsoperndebüt, nur seine Diktion wurde in den Pausengesprächen durchgehend bemängelt. Auch über die Zeichnung des Alberichs durch Bechtolf könnte man lange diskutieren. Der abgefeimte Zwerg hat einfach zu viel Angst vor Fafner. Da versagt ihm gänzlich sein „Mutterwitz“... Die Kurzauftritte von Ain Anger (Fafner), Anna Larsson (Erda) verliefen ansprechend. Ileana Tonca steuerte das Waldvögelein bei. (Die Projektion des Waldvogels war dem Flugbild nach bestenfalls eine Möwe. Ein zarter Singvogel war das nicht. Ja, wenn man schon unbedingt Videoeinspielungen machen muss, die den Charme der Multimediaindustrie vor zehn Jahren versprühen ...)

Das Publikum jubelte. Für die Regie gab es neben deutlicher Zustimmung auch deutlich hörbare Buhrufe.