DIE RING-TRILOGIE - HAGEN
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Theater an der Wien
2. Dezember 2017
Premiere

Musikalische Leitung: Constantin Trinks

Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Bühne: Henrik Ahr
Kostüme: Barbara Drosihn
Licht: Stefan Bolliger


ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Siegfried - Daniel Brenna
Brünnhilde - Ingela Brimberg
Wotan / Wanderer - Aris Argiris
Mime - Marcel Beekman
Sieglinde - Liene Kinca
Siegmund - Daniel Johansson
Hunding / Fafner - Stefan Kocan
Waldvogel - Mirella Hagen



„Siegmund und Siegfried“

(Dominik Troger)

Der zweite Tag von „Die Ring-Trilogie“ im Theater an der Wien war Siegfried gewidmet. Über vier Stunden lang – zwei Pausen eingeschlossen – folgte das Publikum den Abenteuern des Helden von Mimes kärglich eingerichteter Stube bis zur Brünnhildenerweckung.

Große interpretatorische Innovationen darf man sich von dieser „Ring-Trilogie“ offenbar nicht erwarten. Wenn zum Beispiel ein stummer „Geist-Siegmund“ Siegfried beim „Schwertschmieden“ hilft oder bei der Mime-Demütigung, dann wirkt das mehr seltsam, als innovativ – und beweist nur, wie fadenscheinig dieses Konzept „vom Erzählen des Rings aus der Perspektive der zweiten Generation“ eigentlich ist. Während man Wagners Musik und Text belässt, fügt man eben szenisch dies oder das hinzu, streicht vieles, montiert die Szenen neu – und erreicht damit nach meiner bescheidenen Meinung auch nicht mehr, als wenn man gleich den „Ring“ als „Ring“ gegeben hätte.

Der Hang des deutschen Regisseurtheaters die Banalitäten des Alltags auf die Bühne zu bringen, ist auch keine gute Voraussetzung für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Wagners „Riesen-Epos“. Siegfried mit Brotmesser, eine schüsselwerfende Sieglinde, der Waldvogel mit schwarzen Müllsäcken, ein schwer besoffener Fafner – solche Mätzchen mögen eine „Eventgesellschaft“ belustigen, sind aber einer Annäherung an den „Ring“ kaum dienlich. Außerdem ist die „Familienaufstellung“ des „Nibelungen-Rings“ seit rund 150 Jahren bekannt. Natürlich ist es einer Aufführung sehr dienlich, wenn dieses Beziehungsgeflecht szenisch herausgearbeitet wird. Aber alles, was bisher in dieser Produktion an „Interpretation“ szenisch gezeigt worden ist, hätte sich auch in einer „normalen“ „Ring“-Aufführung unterbringen lassen. Wenn dem Publikum diese „Interpretation“ als „szenische Uraufführung“ angepriesen wird (siehe Programmheft und Plakat), dann darf vermutet werden, dass vor allem ein „Verkaufsschmäh“ dahintersteckt.

Nach dieser grundsätzlichen Anmerkung sei vorausgeschickt, dass den Sängerinnen und Sängern im „Siegfried“ seitens der Regie keine Schlammpackung verpasst worden ist, was durchaus löblich angemerkt werden soll. Es war auch dramaturgisch einfacher, den „Siegfried“ auf Schiene zu bringen. Nach dem Vorhangstangen-Mord an dem „freiesten Helden“ kippte die Handlung kurz in den ersten Aufzug „Siegfried“, um dann bei Mimes Bericht von Siegfrieds Familiengeschichte in den ersten Aufzug „Walküre“ zu wechseln. Anschließend wurde kurz das Finale des zweiten Aufzugs „Walküre“ eingefügt. Dann reparierte Siegfried sein Brotmesser mühsam mittels Klebeband, um danach vom Geist-Siegmund ein blutbeflecktes Ruderleiberl und ein „funktionierendes“ Brotmesser zu erhalten. Danach marschierte er mit Mime in den Wald. Nach einem wirklich (!) eindrucksvollen und siegreichen Ringkampf mit Fafner wurde er zur Brünnhildenerweckung geschickt. Alle Wanderer-Szenen bis auf die Begegnung des selbigen mit Siegfried waren Strichen zum Opfer gefallen, auch der Beginn des ersten Aufzugs „Siegfried“ war gekürzt worden.

Szenisch war insgesamt eine Verbesserung gegenüber „Hagen“ festzustellen. Der erste Aufzug „Walküre“ ist ohnehin ein „Selbstläufer“, die Machtausübung Hundings (mit Baseballschläger!) und die Leiden Sieglindes wurden sehr plastisch herausgearbeitet. Während des musikalischen Vorspiels ortete ein #metoo-gefährdeten Siegmund, (der nach den überstandenen Strapazen eigentlich mehr tot als lebendig sein sollte) Sieglinde als „erotische Wasserquelle“. Das war überzogen und zu diesem Handlungszeitpunkt unpassend. Dafür durften die beiden im Finale des ersten Aufzugs nicht „zur Sache“ gehen, sondern Sieglinde schmiss voller Jubel über die Befreiung vom hausfraulichen Trott die gefüllte Gulaschschüssel in die Luft. Zur Erzählung trat die mit einem weißem Short knapp behoste Sieglinde wie eine Glücksfee auf, rammte das Brotmesser in den schäbigen Lehnstuhl, und warf eine Ladung goldener Papierschnipsel in die Luft. Später sollten Siegmund und Wotan Siegfried mit eben solchem Papierschnitzelwerfen beglücken.

Fafners Wohnort glich einer spärlich überwachsenen Mülldeponie – und das mit schwarzen Müllsäcken behangene Müllmädchen namens Waldvogel sollte sich dann rührend um den toten Suff-Fafner kümmern und Siegfried beim Auswaiden von Mime und Fafner helfen (zum Glück etwas hinter Strauchwerk verdeckt). Später ging Wotan mit Cowboyhut die Vorhangstange (= sein „Speer“) viele Sekunden zu früh kaputt, ehe Siegfried daran Hand anlegen durfte. So etwas kann passieren, war im Rahmen dieses Bühnensettings aber von fast symbolischer Aussagekraft. Brünnhilde wartete aufrecht stehend (!), offenbar in Trance versetzt, auf ihren Freier. Ihre schwarze, höhlenartige Behausung würde ein passendes Bühnenbild für die letzte Szene der „Aida“ abgegeben haben. Um das Regiekonzept zu rechtfertigen, durften vor dem Finale noch einmal Geist-Siegmund und Geist-Sieglinde auftreten. Sie bereiteten ihrem Sohn und Brünnhilde das Hochzeitslager.

Das ORF-Radiosymphonieorchester glaube ich schon in besserer Form gehört zu haben, vieles klang verwaschen und undifferenziert, das Blech nicht immer ganz sauber. Für den Konversationston des „Rheingolds“ oder Teilen der Mime-Siegfried-Handlung mangelte es an Pointensetzung. Eine gewisse Schroffheit korrelierte nicht unpassend mit der Szene und die Handlungshöhepunkte kamen gut heraus. Ein Grund für einige meiner Vorbehalte (etwa der Klangfarbenarmut) liegt möglicherweise in der reduzierten Orchesterfassung begründet.

Als gesanglich rollendeckend (bezogen auf das Theaters an der Wien) empfand ich an diesem Abend den Hunding von Stefan Kocan und den manchmal schon etwas angeraut klingenden Tenor von Daniel Johannsson, mit lange gehaltenen „Wälse“-Rufen. Liene Kinca sang eine bis auf wenige Spitzentöne für ihren Sopran offenbar komfortable Sieglinde – und außerdem genügte sie im Aussehen voll denn körperlichen Ansprüchen dieser (zu) „sexualisierenden“ Inszenierung. Der Siegfried von Daniel Brenna muss wohl noch an der deutschen Aussprache feilen (er ließ immer wieder seltsam verzogenen Vokale und Diphtonge hören). Stimmlich ging der Sänger mit breiten Schultern wohl zu oft über die Grenzen seines Tenors hinaus, den er dann mit Kraft malträtierte. Ingela Brimberg musste sich für die „Siegfried“-Brünnhilde ziemlich ins Zeug legen und die Stimme klang unter Belastung etwas flackrig. Die Sängerin hat die Brünnhilde neu im Repertoire – und das ist eine gefährliche Verlockung. Marcel Beekmann war mir als Mime in der Pointensetzung zuerst zu ungefähr, fand im Laufe des Abends aber wieder zu guter Form. Der Wotan (Aris Argiris) hatte wieder wenig zu singen, ist bis jetzt nur als Randfigur in Erscheinung getreten. Die kurzen Auftritte waren im Rahmen des Bühnensettings rollendeckend. (Und um das noch anzumerken: Wotan packte in der Szene mit Siegfried ein Bühnenbild-Modell eben dieser Szene aus, vor dem er einen kleinen „Spielzeugfeuerzauber“ aufzüngeln ließ.)

Am Schluss gab es wieder Jubel und abermals kam kein Regietteam auf die Bühne. Selbiges wird sich wohl erst heute, nach dem dritten Teil, auf selbiger abfeiern lassen. Weil sich aber dieser dritte Teil mit der Premiere der dreiaktigen „Lulu“-Fassung in der Wiener Staatsoper überschneidet, wird der Schreiber dieser Zeilen erst einer späteren Aufführung von „Die Ring-Trilogie – Brünnhilde“ beiwohnen können.