DIE RING-TRILOGIE - HAGEN
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Wagner-Portal

Theater an der Wien
1. Dezember 2017
Premiere

Musikalische Leitung: Constantin Trinks

Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Bühne: Henrik Ahr
Kostüme: Barbara Drosihn
Licht: Stefan Bolliger


ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)




Hagen - Samuel Youn
Siegfried - Daniel Brenna
Brünnhilde - Ingela Brimberg
Wotan - Aris Argiris
Alberich - Martin Winkler
Mime - Marcel Beekman
Loge - Michael J. Scott
Gutrune - Liene Kinca
Gunther - Kristján Jóhannesson
Woglinde - Mirella Hagen
Floßhilde - Ann-Beth Solvang
Wellgunde - Raehann Bryce-Davis



„Wagner im Gatsch“

(Dominik Troger)

Im Theater an der Wien ist der erste Abend eines neuen „Ring“-Projekts über die Bühne gegangen: Der „Ring“ wird aus der Sicht der von Eltern-Schuld „traumatisierten“ zweiten Generation erzählt und Wagners Tetralogie zu einem dreiteiligen Opernabend umgemodelt.

Wie sagt nicht die plötzlich aus einer Felsenkluft aufsteigende Erda zu Wotan im „Rheingold“? „Dir rat‘ ich, meide den Ring“ und sie warnt den einäugigen Gott eindringlich vor Alberichs fluchtragendem Schmuckstück. Diese Warnung hätte sich im übertragenen Sinne auch der Intendant des Theaters an der Wien zu Herzen nehmen sollen – zumindest nach dem ersten Abend dieses dreiteiligen Musiktheaterprojekts beurteilt.

Denn Regisseurin Tatjana Gürbaca und Dramaturgin Bettina Auer sind dem Wunsche des Intendanten nachgekommen, Wagners Vierteiler zu kürzen und neu zu lesen, und haben das ganze von der riesigen Weltesche getragene Gedankengebäude auf die Größe eines kleinen, zerfledderten Vorgarten-Bäumchens zurückgestutzt. Das Konzept stellt Hagen, Siegfried und Brünnhilde in den Vordergrund, und setzt daraus bausteinartig die Handlung zusammen, die es bei Wagners „Ring“ in Wort und Musik entlehnt. Die Verfahrensweise des ersten Abends kann dabei – wie das Programmheft verrät – für das Ganze genommen werden: Jeder der drei Teile – „Hagen“, „Siegfried“, „Brünnhilde“ – beginnt mit dem Mord an Siegfried als „stummem“, von bassartigem Wummern eingeleitetem Bild, in dem Hagen traumatisiert, hasserfüllt und hemmungslos Siegfried eine Art von Vorhangstange in den Rücken rammt. Daran schließen sich jeweils, auf die namengebende Person des Abends bezogene, aus dem Gesamtkörper der Tetralogie herausgetrennte und durch teils leicht adaptierte Zwischenspiele verbundene Szenen an.

Am ersten Abend folgte auf den Mord die Alberich-Hagen-Szene vom Beginn des 2. Aufzugs der „Götterdämmerung. Dann kam ein kleiner Bub an Hagens Stelle auf die Bühne und es fügten sich drei Szenen aus dem „Rheingold“ an (die Alberich sozusagen seinem Sohn erzählt). Die erste Szene mit den Rheintöchtern bot eine schwer zu überbietende „Bühnensauerei“: ein Schlammfeld in dem die Rheintöchter und Alberich therapeutisch wertvoll ihre, durch eine rigide Kindheit blockierten Emotionen ausleben konnten. Sie durften sich bekleckern, bewerfen, im Gatsch suhlen, sich beschmieren und sich hineinwühlen. Alberich wurde von den Rheintöchtern gedemütigt – er rächte sich mit ihrer sexuellen Versklavung nach dem Ring-Raub. Danach folgte die Szene in Nibelheim sowie die Malträtierung Alberichs auf „wonnigen Höhen“ mit „Game of Throne“-gerechtem Foltern und Absägen der ringtragenden Hand. Walhall, die Götter (bis auf Loge), die Riesen, Erda, das alles ward gestrichen. Der bemitleidenswerte Darsteller des Klein-Hagen musste vieles davon live erleben, durfte als Belohnung aber ein bisschen mitgatschen.

Die Idee, Alberichs Tarnhelm-Lindwurm aus Nibelungen zu bilden – mit Alberich als „Kopf“ – war zwar gut, aber warum sich jemand vor drei weiblichen Nibelungen (die von Alberich versklavten Rheintöchter?) fürchten soll, die dem Zwergen eine Fellatio verpassen, bleibt fraglich. Die Kröte musste Alberich in Unterhose selbst vorstellen. Wenn er hockend dem Publikum den nackten Hintern gezeigt hätte, wäre es konsequenter gewesen – denn ernst genommen wurde das Stück von der Regie augenscheinlich wenig, wie vor allem nach der Pause festzustellen war.

Im zweiten Teil wurde das Publikum ins Wohnzimmer der vorstädtisch-dekadenten Gibichungen entführt: Tussi-Gutrune, Trottel-Gunther und Groß-Hagen verplempern die Zeit mit Stricken (Gutrune), Videospielen & Dosenerdnüssefuttern (Gunther) und Rachephantasien (Hagen). Hagen mag außerdem keine Erdnüsse. Zum Glück schneit Dumm-Siegfried, ausgestattet mit einer roten Plastik-Tröte und einem desolaten Brotmesser, in diese triste Szenerie. Ihm wird von Gunther die Spielekonsole in die Hand gedrückt, ehe beide blutrünstig ihre Blutsbrüderschaft besiegeln. Beide brechen auf zum Brünnhildenstein. Hagen bleibt allein zurück.

Weil Alberich seinen Sohn aber schon vor zwei Stunden besucht hat, taucht gleich wieder Siegfried auf. Er will ja Gutrune ehelichen. Hagen versammelt die Mannen fürs Hochzeiten. Dieser Mannenchor gibt sich als Anhäufung von in kurzen Hosen steckenden, offenbar den Baseballsport-liebenden Infantil-Männchen zu erkennen, die lachen und feixen und zappeln und sich schlussendlich homoerotisch ausleben, ehe sie Gunther, von ihrem Verhalten angesichts seiner Hochzeit peinlich berührt, von der Bühne schickt. Dann tritt Brünnhilde in unvorteilhaftem weißem Hochzeitskleide auf, hat kaum Gelegenheit in Siegfried den Verräter zu erkennen (diese Szene wird wahrscheinlich in „Brünnhilde“ nachgereicht“), und verrät Hagen unmotiviert die wunde Rückenstelle des Helden. Die Szene und der Abend enden mit einem fürchterlichen Schnapsbesäufnis der drei Verschwörer.

Leider hat mich auch die musikalische Seite enttäuscht. Das ORF-Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Constantin Trinks musizierte nach einer Fassung für ein verkleinertes Orchester aus dem Jahr 1905. Nun macht auch weniger Blech genug Lärm, wie der Abend bewies, aber die Streicher litten stark, und das Resultat war ein farbenloses Klangbild mit magersüchtigen Violinen. Vieles wirkte zudem „unspannend“, stark von der Bühnenaktion und weniger von der Musik getrieben, und nicht zu einer die Elemente verbindenden, großformatigen, erzählenden Form gestaltet.

Die Besetzung zeigte sich am Premierenabend in Summe mehr mittelprächtig als begeisternd. Martin Winkler, als regiebedingt oft seltsam herumtänzelnder Alberich, stand für seine finale Ringverfluchung nur mehr eine schon recht ausgepowert klingende Stimme zur Verfügung. Gut schlug sich Marcel Beekman als Mime - doch von ihm wie von Aris Agiris (Wotan), Ingela Brimberg (Brünnhilde ) und Daniel Brenna (Siegfried) wird man in den kommenden zwei Tagen noch mehr hören. Samuel Youns Hagen blieb im Spiel und Ausdruck zu harmlos und auch sein Bass hätte deutlich „schwärzer“ und mächtiger klingen können. Liene Kinca wird nach der Gutrune noch als Sieglinde zu hören sein. Der Gunther von Kristjan Johannesson brachte seinen Part gut über die Rampe, ebenso Michael J. Scott den Loge, der sich allerdings listiger und akzentuierter hätte geben können. Die Rheintöchter beeindruckten durch ihr Stehvermögen in diesem rutschigen Gatsch, nur eine von ihnen plumpste einmal auf den Po. Das schmerzte die Zuseher hoffentlich mehr, als die Sängerin. Der Arnold Schönberg Chor verwandelte sich regiegerecht in ein Rudel debiler Hagen-Mannen. Wenigstens hat man beim Singen nichts davon gemerkt.

Weil das Regieteam nicht zum Schlussvorhang antrat, wurde beim finalen Applaus der zustimmende Beifall nicht in Gefahr gebracht.

Fazit: Einerseits ist es demokratiepolitisch beruhigend, dass auf unseren Bühnen (fast) alles durchgeht, andererseits ist das künstlerische Ergebnis aber oft so dürftig, dass man sich für den großen Aufwand an Arbeitskraft, Kreativität und finanziellen Mitteln, die da dabei verpulvert werden, eigentlich schämen müsste.