DIE RING-TRILOGIE - BRÜNNHILDE
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Theater an der Wien
31. Dezember 2017

Musikalische Leitung: Constantin Trinks

Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Bühne: Henrik Ahr
Kostüme: Barbara Drosihn
Licht: Stefan Bolliger


ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

(Premiere 3.12.17)

Hagen - Samuel Youn
Siegfried - Daniel Brenna
Brünnhilde - Ingela Brimberg
Wotan - Aris Argiris
Gutrune - Liene Kinca
Gunther - Kristján Jóhannesson
Woglinde - Mirella Hagen
Floßhilde - Ann-Beth Solvang
Wellgunde - Raehann Bryce-Davis

Waltraute -
Ann-Beth Solvang



„Wagner am Silvesterabend“

(Dominik Troger)

Vier Stunden Wagner und keine „Fledermaus“ in Sicht: Das Theater an der Wien hat den dritten Teil seines ambitionierten „Ring“-Projekts als „Silvestervorstellung“ gegeben.

Im dritten Teil der von der Regisseurin Tatjana Gürbaca und der Dramaturgin Bettina Auer entwickelten „Ring-Trilogie” steht Brünnhilde im Mittelpunkt. Die Wotans-Tochter hat emanzipiert dem Wunsch des Vaters widersprochen und wurde von selbigem als Strafe zur Heirat freigegeben. Die Liebe zu Siegfried macht aus der martialischen Walküre ein klavierspielende und -putzende Tochter aus gutem Hause, verbürgerlicht und hilflos männlichem Begehren ausgeliefert.

Der Abend war in drei Teile gegliedert worden, wobei der letzte Teil praktisch dem dritten Aufzug der „Götterdämmerung“ entsprochen hat. Am Beginn – nach dem obligaten Siegfried-Mord – stand ein Ausschnitt aus dem dritten Aufzug „Walküre“. Das Geschehen sprang gleich zur langen Abschiedsverhandlung zwischen Wotan und Brünnhilde (Beginn der dritten Szene: „War es so schmählich ...“). Für einen vierstündigen Opernabend war das kein guter Startpunkt: Es fehlte der Zusammenhang mit der Vorgeschichte – und dass Jung-Brünnhilde im Bühnenhintergrund mit Wotan Schwertkampf übte, bemühte wenig inspirierend die Idee vom Ring der zweiten Generation. Letztlich musste es die Musik richten, auch wenn die Anrufung „Loges“ gekappt wurde, um gleich in die „Götterdämmerung“ zu springen.

„Wotans Abschied“ litt außerdem unter einer unzureichenden Personenführung: Auf der Drehbühne wurde die schon vom zweiten Teil bekannte „Brünnhilden-Grotte“ ins Blickfeld gebracht, und Brünnhilde, die mit Wotan an der Rampe stand, musste jetzt links von der Bühne abgehen (Blickrichtung Bühne), um wenig später oben in ihrer Felsgrotte wieder aufzutauchen. Wotan blieb an der Rampe stehen. Brünnhilde setzte sich eine Sonnenbrille (!) auf und wiegte sich in Trance. Und schwupps, nachdem Wotan verschwunden war, tauchte schon Siegfried auf, um sich mit Brünnhilde zu vergnügen und um in Büchern (!) zu blättern (ein Tolkien-Taschenbuch, ein Liebesratgeber). Siegfried tat zumindest so, als würde er lesen – oder hat ihm Brünnhilde das Lesen in langen Liebesnächten beigebracht?

Nach der ersten Pause schaute Waltraute vorbei, die von Brünnhilde schlussendlich mit einem Blumenstrauß attackiert und verjagt wurde. Dann hatte Gunther seinen brünnhildenraubenden Auftritt – nicht Siegfried! Siegfried durfte erst eingreifen, als Gunther nichts zu Wege brachte, und nahm Brünnhilde den Ring ab. Die starke Betonung von Gunthers Unfähigkeit Brünnhilde zu bezähmen, unterlief das im „Original“ unter der Wirkung des Vergessenstrankes psychologisch viel subtiler gezeichnete unbewusst-schuldhafte Verhalten Siegfrieds. Die ganze Spannung, die die Szene beinhaltet – wird der Geliebte doch plötzlich zum Gewalttäter – wurde dem Konzept geopfert. Es folgte die Szene bei den Gibichungen, in der Brünnhilde Siegfrieds Verrat erkennt und anklagt. Den Verschwörungs-Schluss des zweiten „Götterdämmerungs“-Aufzugs musste man sich aus „Die Ring-Trilogie“ erster Teil „Hagen“ dazu denken.

Nach der zweiten Pause folgte – wie bereits erwähnt – der dritte Aufzug „Götterdämmerung“. Die abgesandelten Rheintöchter prostituierten sich vor Siegfried, aber der blieb Brünnhilde (und dem als Schlagring ausgeführten Ring) treu. Nach Hagens Speerattacke erlebte er seine Abschiedsworte an Brünnhilde visionsartig, ehe er von einem Hagen-Mann mit einem Baseballschläger endgültig um die Ecke gebracht und danach auf ein Prosektur-Rollwagerl verfrachtet wurde. Das Schlussbild prägte ein schmaler, in die Höhe gezogener weißer Quader, der drehbühnenmittig platziert seine Runden machte. Die schmale Breitseite war zuerst noch geöffnet, die Rheintöchter errichteten den Scheiterhaufen aus Brünnhildes Möblage. Die ganze „Ring“-Welt fand sich dort ein: der tote Siegfried, Gutrune, Wotan im Rollstuhl, die Rheintöchter ... Dann wurden auch die Seiten geschlossen, langsam drehte sich der Quader bis etwa zur Hälfte in den Bühnenboden. Walhallbrand gab es keinen. Hagen, der sich unter körperlichen Verrenkungen minutenlang um dieses „Behältnis“ geschleppt hat, musste draußen bleiben. Jung-Hagen und Jung-Brünnhilde schauten händchenhaltend und hoffnungsselig dem Versinken des Quaders zu – während Märchenfee-Goldflitter vom Schnürboden regnete. Berührend? Kitschig? Aber zumindest die Schlussszene kann das Publikum als positiven „Gedanken“ von diesem „Ring“-Experiment mit nach Hause nehmen: den Neuanfang einer jungen, geläuterten, schwesterlich-brüderlichen Menschheit.

Auf der Bühne hat vor allem Ingela Brimberg (Brünnhilde) den Dreiteiler geprägt. Ihr Sopran könnte in der Mittellage etwas breiter sein, das hätte ihrem Gesang dann und wann mehr Gewicht verliehen. Manch schön gesetzte Höhe und ihr Enthusiasmus wärmten freilich das Herz und machten einen die Inszenierung erträglicher. Der Siegfried von Daniel Brenna schien mir in der Diktion besser als in der Premierenserie. Sein Tenor wirkte allerdings etwas beengt und sein Krafteinsatz produzierte einen leicht „gequetschten” Ton. Das „Hoi-he” ging schief – aber daran sollte man einen Siegfried nur messen, wenn es gelingt.

Der Bass von Samuel Youn hat sich beim Hagen an diesem Abend recht gut eingebracht, die hintertriebene Bösartigkeit des Charakters herausgestellt. Aris Agiris (Wotan) hatte mit dem Abschied schon etwas Mühe, in der Tiefe trug die Stimme zu wenig und sie hätte insgesamt satter färben können. Die Rheintöchter, die als Spaßmacherinnen Brünnhildes Schlussgesang mit Sekt veralberten oder das romantische Pathos von Siegfrieds Rheinfahrt „auflockerten”, waren die szenischen „Nervensägen“ dieses Dreiteilers. Mirella Hagen, Raehann Bryce-Davis und Ann-Beth Solvang haben diese Anforderung mit viel Elan umgesetzt. Als Waltraute war Ann-Beth Solvang weniger beeindruckend unterwegs. Liene Kinca lag die Sieglinde besser als die Gutrune. Und Hut ab vor dem Arnold Schönberg Chor, der mit überzeugenden Gesang Hagens Mannen als Volltrottel zu mimen hatte. Das RSO Wien unter Constantin Trinks überzeugte in den „symphonischen Teilen“ wie den Zwischenspielen, längere Dialoge oder Erzählpassagen hatten an allen drei Abenden eine Tenzend zur Langatmigkeit. Und dass Wagner die Bläser herausfordert, konnte auch nicht immer überhört werden.

Das Publikum war dem Applaus nach zu schließen zufrieden, ein einzelner, nicht sehr starker Buhruf mischte sich darunter. Dass der Direktor des Theaters an der Wien in einer kurzen Silvesteransprache auf der Bühne nach dem Schlussbeifall die eben gegebene Vorstellung als „Götterdämmerung“ titulierte, spricht mehr für Wagner und weniger für das Projekt des eigenen Hauses. Er lud das Publikum noch zu einem Gläschen „Silvestersekt“ im Eingangsfoyer ein.

Fazit: Ambitioniert war das Projekt, aber was hat es gebracht? Viel spannender wäre doch die Frage gewesen: Wer schreibt und komponiert den „Ring” des 21. Jahrhunderts?

Berichtigung zu den ersten beiden Teilen: Der „Mord-Speer“ war keine Vorhangstange, sondern die Stange von einer Stehlampe, die Hagen vor dem Mord „zerlegt“ hat .