RHEINGOLD
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Wiener Staatsoper
30. Mai 2015

Dirigent: Simon Rattle

Wotan - Tomasz Konieczny
Donner - Boaz Daniel
Froh - Jason Bridges
Loge - Herbert Lippert
Fasolt - Peter Rose
Fafner - Mikhail Petrenko r
Alberich - Richard Paul Fink
Mime - Herwig Pecoraro
Fricka - Michaela Schuster
Freia - Olga Bezsmertna
Erda - Janina Baechle
Woglinde - Ileana Tonca
Wellgunde - Ulrike Helzel
Floßhilde - Juliette Mars


Rattle's Rhinegold
(Dominik Troger)

Der zweite Durchgang des von Simon Rattle geleiteten „Rings“ an der Wiener Staatsoper begann mit einem im Detail plastisch ausmusizierten, meist kammermusikalisch aufgefächerten „Rheingold“, dem ein Schuss britischer Ironie einen wohlgefälligen „Entertainment“-Charakter verlieh. Derart wurde dem Publikum ein unterhaltsamer, wenn auch nicht perfekter „Vorabend“ beschert.

Das „Aufsprudeln“ des Rheins am Beginn von Wagners monumentalem „Vierteiler“ zeigt bei Simon Rattle die Welt noch im Zustand einer paradiesischen Unschuld, gibt ihr einen bukolischen Zug, der sich noch weit in die Rheintöchterszene hineinzieht. Was zwischen den Rheintöchtern und Alberich abgeht, ist eine Neckerei unter Bekannten, eine Tändelei zwischen Naturkräften, die kindlich im Wasser planschen. Die Geschichte vom Weltuntergang ist noch so weit weg wie Wagners Schopenhauer’sches Erweckungserlebnis. Rattles beredte Orchestersprache erzählt ganz einfach die Geschichte, pflegt teils den Konversationston einer „Gesellschaftskomödie", und taucht zugleich mit viel „impressionistischem“ Klanggefühl in die Musik Wagners ein.

Rattle will mit „seinem“ Wagner offenbar nichts „beweisen", er folgt entspannt der Partitur, er vermag aber durchaus Spannung aufzubauen (wobei er stark auf dynamische- und tempobezogene Effekte setzt), und er malt mit Liebe zum Detail die Szenen nach: Loges Feuerflämmchen zünden mit Ironie und britischer Humor würzt Alberichs Verwandlungsszene mit mächtig sich ringelndem Riesenwurm und witzigem Krötengehüpfe. Kaum ein Regisseur würde das Werk heute so realistisch nach den Szenenanweisungen Wagners „abgemalt“ auf die Bühne stellen wie es Rattle musikalisch umsetzt. So leuchtete etwa der Beginn der zweiten Szene, der anbrechende Tag, im Orchester in roten Sonnenaufgangsfarben, und im Finale meinte man die in der Sonne glitzernden Wellen des Rheins und darüber die Regenbogenbrücke und Walhall auf Bergeshöh vor sich zu sehen wie auf einer Ansichtskarte. Durch diese etwas „aquarelliert“ wirkende „Ring-Ausmalung“ ging mancher Effekt allerdings auch verloren, der Auftritt der Riesen etwa erzeugte wenig Wirkung.

Rattles „Rheingold“ zeigte sich jedenfalls nicht als Teil eines großen, bedeutungsschwangeren Gemäldes mit fettem, altdeutschem Goldrahmen, nicht als frakturschwangerer Bibliotheksschinken, sondern – überspitzt formuliert – als ein in moderner Typographie gesetzter und in abgesoftete Farben getauchter Comic, dem manch karikaturistischer Federstrich Kontur verleiht. Zudem ergab sich an diesem Abend nie das Gefühl eines neurotischen Analysierens, sondern vielmehr das einer ungezwungenen Konversation bei Milchtee und Kuchen. Rattles Sichtweise hatte insoferne einige Überschneidungen mit der Inszenierung von Sven Eric Bechtolf, die auch nicht gerade den „Mythos“ beschwört, sondern auf eine leichtgewichtige, ironisierende Bildersprache setzt.

Aber wie wird es weitergehen? Für die Erda-Szene fand Rattle einen weichen, melancholisch-sinnlichen, mit langem Atmen musizierten Ausdruck – und die aufdonnernden Schlusstakte kamen laut, klangen fast ein wenig barbarisch, ohne eine elastisch federnde Spannkraft zu beschwören, die wohl einer majestätischen Huldigung Wotan’scher Schöpfungskraft gleichgekommen wäre. (Aber beruht Wotans Glück nicht auf Loges verschlagener Kapitalismuskritik: „Was ein Dieb stahl, das stiehlst du dem Dieb.“?)

Die Besetzung ließ einige Wünsche offen. Michael Volles Wotan-Debüt am Haus, das für die zwei „Durchgänge“ geplant war, kam nicht zur Ausführung – und so musste einmal mehr Tomasz Konieczny in die Rolle des Göttervaters schlüpfen. Aber gerade im „Rheingold“ wäre Konieczny als Alberich besser platziert gewesen, denn als „Rheingold“-Wotan bietet seine Stimme zu wenig sonore Unterfütterung, und die Töne klingen immer wieder etwas gepresst und rau. An stimmlicher Durchschlagskraft mangelt es ihm freilich nicht und die jugendliche Umtriebigkeit Wotans passt zur Figur. Als Alberich war Konieczny mit seinem etwas grellfärbenden, raumfüllenden Organ allerdings ein Ausbund an Gefährlichkeit, eine sexuelle Bedrohung für die Rheintöchter und ein wirklicher Herausforderer Wotans. Richard Paul Fink, der für Konieczny den Alberich übernommen hat, zeigte eine Zug zur leicht grotesken Übertreibung, etwa in dem langen höhnischen Lachen nach dem Raub des Goldes, reichte aber an Koniecznys Vorbild auch in der Stimmkraft nicht heran. In der Tiefe entwickelte Finks Stimme, die farblich nicht recht satt auftrug, wenig Volumen, da gabs ein paar „Luftlöcher“. Der Sänger gab im ersten „Ring“-Durchgang sein Hausdebüt.

Herbert Lippert gab in der ersten Vorstellung der beiden Serien sein Rollendebüt als Loge. Er hatte mit der Partie vor allem in der Höhe Mühe, und sein etwas trocken gefärbtes Organ hat auch nicht dazu beigetragen, dass er sich ganz besonders als herumwirbelnder und doppelzüngiger Feuergott empfohlen hätte. Bei den Riesen punktete Peter Rose mit beispielhafter Artikulation, aber weder er noch Mikhail Petrenkos Fafner profilierten sich als profunde „Riesenbässe“. Michaela Schuster, die für Elisabeth Kulman eingesprungen war (die sich ganz überraschend bis auf Weiteres von der Opernbühne verabschiedet hat), gelang eine gut charakterisierte Fricka, Herwig Pecoraro sang einen bewährten Mime, Janina Baechle eine schöntönende Erda. Mehr solide wehrten sich die Rheintöchter gegen Alberichs Annäherungsversuche. Eine passende Olga Bezsmertna als Freia, der nicht sehr markige Donner von Boaz Daniel und ein tenoral in der Höhe schon etwas „dünnwandig“ klingender Jason Bridges ergänzten die göttliche Familie. Es gab ein paar Unsauberkeiten beim Blech, das sollte noch erwähnt werden.

Fazit: Rund zehn Minuten langer Schlussapplaus, aber ohne „Orkanstärke“ im bestens gefüllten (auch der Stehplatz) Haus.