PARSIFAL
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Wiener Staatsoper
23.6.2005

Dirigent: Christian Thielemann

Amfortas - Falk Struckmann
Titurel - Ain Anger
Gurnemanz - Franz-Josef Selig
Parsifal - Plácido Domingo
Klingsor - Wolfgang Bankl
Kundry-
Waltraud Meier
1. Knappe - Daniela Denschlag
2. Knappe -
Janina Baechle
3. Knappe -
John Dickie
4. Knappe -
Peter Jelosits
1. Gralsritter -
Benedikt Kobel
2. Gralsritter -
In-Sung Sim

1. Blumenmädchen 1. Gruppe - Inna Los
2. Blumenmädchen 1. Gruppe -
Bori Keszei
3. Blumenmädchen 1. Gruppe -
Antigone Papoulkas
1. Blumenmädchen 2. Gruppe -
Simina Ivan
2. Blumenmädchen 2. Gruppe -
Ildikó Raimondi
3. Blumenmädchen 2. Gruppe -
Nadia Krasteva
Stimme von oben - Janina Baechle

„Reichhaltige Wagner-Kost“
(Dominik Troger)

Zum Saisonende wird an der Staatsoper reichhaltige „Wagner-Kost“ geboten: die erste von drei „Parsifal“-Aufführungen wurde zum umjubelten Zusammentreffen großer Künstlerpersönlichkeiten.

Am Pult gab Christian Thielemann sein „Parsifal“-Debüt. Ihm geht Wagner mit einer Selbstverständlichkeit von der Hand, die man bei vielen anderen Dirigenten vermisst. Thielemann steuert die Handlung im natürlichen Fluss der Musik, er versteht es, Spannungen aufzubauen, und dann wieder Kraft zu tanken für die nächste Stromschnelle. Und vor allem vermag er die Geschichte zu erzählen, all die Einzelteile zu einem sinnvollen Ganzen zu fügen. Doch das alleine scheint mir nicht das eigentliche Geheimnis seiner derzeit ziemlich singulären Art der Wagner-Interpretation: Thielemann hat noch einen Draht zu diesem Urgründigeren in Wagner, diesem bedrohlich Überwältigenden, dieser mythologisch verbrämten Gefühlswelt, die heutzutage einen eher schlechten Leumund hat.

Wagners Beschwörung archteypischer Vorgänge setzt die Seelen der ZuhörerInnen unter einen starken emotionalen Druck, der sich in der Schlussenthüllung des Grals anhand der ausklingenden Streicher ganz langsam und wie von selbst befreiend ausatmen kann. Aber zuvor muss das Spiel der Gewalten schon eindringlich von statten gehen – und mit Genugtuung registrierten viel Anwesende, dass bei den Verwandlungsmusiken endlich wieder ein Vibrieren durch den Raum schwang, dass die ehrfuchtheischende Übernatürlichkeit der Gralswelt so recht beschrieb – wie das alttestamentliche Erscheinen des biblischen Gottes in einer Gewitterwolke.

Trotzdem schien Thielemann selbst ein wenig zu schwanken, welcher Art der Darstellung er den Vorzug geben sollte: den analytisch-apollinischen oder den emotional-dionysischen Kräften. Im Vergleich zur Premiere unter Donald Runnicels wurde mir jedenfalls bewusst, wie sehr selbiger nur die Oberfläche ausgebreitet hatte – und dass die Inszenierung von Christine Mielitz diesen „dunklen Seiten“ Wagners zutiefst misstraut. Sir Simon Rattle beschrieb detailreich und subtil das ornamentale Muster eines Messgewandes, Thielemann hat über weite Strecken die Messe selbst gelesen.

Die Besetzung hatte ebenfalls das Zeug zu einem markanten Wagner-Abend: Wenn Falk Struckmann im Zentrum des „Leidens“ steht, dann müssen sich zwangsläufig andere Assoziationen einstellen als bei Thomas Quasthoff. Dessen Amfortas ist filigraner, er wird aufgrund seiner besonderen Körperlichkeit zum Symbol des Leidens selbst – während bei Struckmann der Körper sich noch wehrt, sich aufbäumt, die Stimme seine Not hinausschreit in markdurchdringender Wucht und Pein. Quasthoffs Symbolkraft als Bühnenerscheinung ist so stark, dass man in dieser Rolle jeden „gewöhnlichen“ Menschen als „Mangel“ empfindet – zumindest eine Zeitlang. Ich brauchte Minuten, um Struckmann in seiner optischen Erscheinung als Amfortas zu akzeptieren. Außerdem ist die Inszenierung auf Quasthoff maßgeschneidert, sie rechnet optisch mit ihm – und nicht nur die für Struckmann viel zu kleine Bahre legte davon ein Zeugnis ab.

Neben Falk Struckmann war Waltraud Meier Garant für ein exzessives „Parsifal“-Erlebnis. Ihr ausdrucksvolles Spiel, ihr intensiver Gesang, machten sogar die muffigen Männerphantasien, die Mielitz im zweiten Aufzug inszeniert hat, erträglich. An diesem Abend übertraf sich Meier selbst: und die überlange Generalpause, mit der Thielemann ihr „lachte“ quittierte, fasste sekundenlang Erschütterung und Bewunderung für diese expressive Darstellung der Kundry in eins zusammen. Für Plácido Domingo ist die deutsche Sprache keine Wohltat. Von diesem Manko abgesehen hat er eine eindringliche Leistung geboten, mit ins heldische spielender Stimme, stets präsent, wenn es darauf ankommt, auch in der Darstellung. Eine große Leistung am Abend einer langen Sängerkarriere. Franz Josef Selig konnte das Niveau dieser drei Bühnenpersönlichkeiten nicht erreichen – wobei vor allem Ausdrucksdefizite ins Spiel kamen, die den Gurnemanz als Charakter blass erscheinen ließen. Wolfgang Bankl war als Klingsor wie immer „am Ort“ und der Titurel von Ain Anger erfüllte „sein Amt“. Die Blumenmädchen machten ihre Sache gut.

Das Herauskollern eines Tongefäßes aus einer Blechbüchse und ihr Zerschlagen am Boden – die Mielitz’sche Enthüllung des Grals als Schimäre – fand an diesem Abend nicht statt. Eine überraschende Pointe. Es hätte auch nicht zum Gesamteindruck dieser Aufführung gepasst.

Der Jubel nachher war sehr stark und einhellig. Thielemann wurde schon jeweils zum Aufzugsbeginn reichlich beklatscht. Wer solche Wagner-Kost nicht verschmäht: der Gral wird noch zweimal enthüllt, am Sonntag und zum Saisonschluss am 30. Juni.