PARSIFAL
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Wiener Staatsoper
12.1.2005
Musikalische Neueinstudierung

Dirigent: Sir Simon Rattle

Amfortas - Thomas Quasthoff
Titurel - Walter Fink
Gurnemanz - Stephan Milling
Parsifal - Thomas Moser
Klingsor - Wolfgang Bankl
Kundry-
Waltraud Meier
1. Knappe - Cornelia Salje
2. Knappe -
Daniela Denschlag
3. Knappe -
John Dickie
4. Knappe -
Peter Jelosits
1. Gralsritter -
Benedikt Kobel
2. Gralsritter -
Johannes Wiedecke

1. Blumenmädchen 1. Gruppe - Inna Los
2. Blumenmädchen 1. Gruppe -
Bori Keszei
3. Blumenmädchen 1. Gruppe -
Stella Grigorian
1. Blumenmädchen 2. Gruppe -
Ildiko Raimondi
2. Blumenmädchen 2. Gruppe -
Asa Elmgren
3. Blumenmädchen 2. Gruppe -
Nadia Krasteva
Stimme von oben - Daniela Denschlag

Vom reinen Toren zum reinen Klang
(Dominik Troger)

Dass einem Werk kein Jahr nach der Premiere schon eine „Musikalische Neueinstudierung“ zu Teil wird, muss schon einen ganz besonderen Grund haben: Sir Simon Rattle ist für drei „Parsifal"-Vorstellungen nach Wien gekommen, um an der Staatsoper den Taktstock zu schwingen.

Rattle hat den „Parsifal“ entschlackt und ihm einen luxuriösen, bezaubernden Glamour verpasst. Die schwergewichtigen, aus existentieller Bedrohung gespeisten Emotionen des Werks haben sich in zarte, sehr gepflegte Phrasen des Mitleids gewandelt, die immer wieder aufblühen dürfen, um uns Sterblichen die eine oder andere Träne zu entlocken. Rattles Art an die Sache heranzugehen hat etwas von schlanken, weißmarmornen Fin de siècle-Engeln an sich, die an Gräbern in weinender Pose und in demutsvoller Schönheit verharren – und deren Anblick die Trauergemeinde rührt.

Das Kalkül eines in melancholische Schatten getauchten Ästhetizismus hat viel Verführerisches an sich. Rattle macht sich auf die Suche nach einem Leid, das nicht weh tut, spendet Trost und Segen durch eine unprätentiöse und manchmal sehr innige Klangpredigt, deren letztes Ziel so etwas wie eine „abgeklärte Verklärung" ist. In einer Internet-Rezension von Shirley Apthorp auf andante.com habe ich bezogen auf Rattles Londoner „Parsifal“-Produktion aus dem Jahr 2001 den bezeichnenden Satz gefunden: „In Rattle's hands, Wagner will never be a dangerous force.“ Ein wahrhaft hübsches Aperçu.

Insoferne war schon der Beginn sehr charakteristisch, das Vorspiel zum ersten Aufzug, in dem Rattle Bläsergruppe und Streicher gegeneinander setzte und die impressionistische Auflösung der Form in pointillistische Klangfarben betrieb. Danach ließ er konsequent der Bühne und den Sängern den Vortritt – und der anfänglich eingeschlagene Weg brachte dem Zuhörer immer wieder musikalische Fundstücke ans Ohr, Pretiosen einer fast schon enervierenden Schöngeistigkeit, die sich aneinander fädelten wie Perlen auf einer Kette – Resultat eines über weite Strecken die Sänger begleitenden musikalischen Symbolismus, der immer ein wenig Gefahr läuft, schon die Darstellung für das Ganze zu halten. (Was mir vor allem im ersten Aufzug eine gewisse Langatmigkeit bescherte – wobei die reine Spielzeit unter 1 Stunde 50 Minuten lag.) Dabei war alles wunderbar arrangiert, mit einer schlanken, weichgefassten Grundierung, mit einer goldgetönten musikalischen Samtborte, die sich melancholisch um jeden Notenhals rankte – ohne ihn zu ersticken. Das wurde auch vom Orchester weitestgehend kongenial umgesetzt. (Einige Unsauberkeiten rechne ich der Tagesverfassung an.)

Selten aber wurde, für meinen Begriff, von Rattle die Außenseite nach Innen gekehrt, unter der vom Symbol scheinbar geradegekrümmten Oberfläche das Drama erhellt – wie etwa bei den kurzen schmerzvollen Monologen des Amfortas (Thomas Quasthoff). Da brach dieses filigran-prospekthafte der Musik ein wenig ein, und Sänger und Orchester fanden sich zu einem Duett menschlichen Klagens, das dann wirklich ganz kurz und intensiv in Verzweiflung umschlug. Aber auch hier – und dieser Eindruck war bei mir vorherrschend – geschah es in einer mehr stilisierter Form, ohne existentielle Gewalttätigkeit, mehr in der Art eines hilflosen in sich selbst Zusammenbrechens wie ein fast zärtlich zu nennendes Verwelken und Verblühen.

Typisch gestaltete sich auch der Karfreitagszauber, ohne mystische Verzückung, kein gieriges Aufranken der Vegetation, keine umschlingende Bedrohung pflanzlicher Blumenmädchen-Phantasien, die sich dann zum Hymnus auf Gottes Erlösungswerk läutern. Bei Rattle spielte der Karfreitagszauber zwischen rundgeschnittenen Maßhecken und das „Wunder“ wird seiner Ursprünglichkeit entledigt zum kalkulierten Risiko eines oftmals geprobten musikalischer Vorgangs. Das bietet Sicherheit in technischer wie in emotionaler Hinsicht. Trotzdem hat Rattle mit sehr viel Feinfühligkeit und vielleicht sogar überraschend (wie manche Besucher im nachhinein meinten) das Selbstdarstellerische hinter sich gelassen. Das merkte man auch in den Verwandlungsmusiken oder in den Chören, die für mich mehr auf Vergeistigung drängten, als auf eine dramatische Überwältigung des Publikums.

Profitiert haben von Rattles Werkzugang die SängerInnen. Durch die zurückhaltende Orchesterbegleitung konnten sie sich mehr auf ihre Eloquenz, denn auf sängerische Kraftakte besinnen. So wurde auch Stephen Milling (Gurnemanz) nicht zum Forcieren, seiner schönen, diktionsfähigen Mittellage verleitet – und man wurde auf ihre technischen Grenzen nicht gleichsam hingestoßen. Nach, wie mir scheint, etwas nervösem Beginn, hatte sich der Debütant dann bis zum dritten Aufzug gut konsolidiert und auch zu einer ruhigen Würde gefunden, die dem Gurnemaz bestens ansteht. Thomas Moser wird als Sänger immer ein „lyrisches Ich“ haben, und ihm hilft ein zurückgenommenes Orchester auf jeden Fall. Im Vergleich mit der Premierenbesetzung, Johan Botha (der natürlich über mehr stimmliche Kapazität verfügt), schien mir Mosers Parsifal in der gesanglichen Ausgestaltung der Rolle reifer.

Ein Punkt, der auch auf die Kundry der Waltraud Meier zutrifft (im Vergleich mit Angela Denoke bei der Permiere). Meier vermag in archetypischen Tiefenschichten zu bohren wie wenige SängerInnen. Alleine wie sie die Erzählung der Verfluchung im zweiten Aufzug aufbaut, wie sie dieses Lachen ausstößt, das an den Grundfesten menschlicher Existenz rüttelt. Sie hat sich deshalb auch konsequenter Weise von der Regie nicht zum Pin-up umfunktionieren lassen (und ihr Körper wurde in keine entblößenden Dessous gesteckt wie es der Premierenkundry ergangen war). Dass mich diesmal vor allem der zweite Aufzug fesselte, hatte viel mit Meier und Moser zu tun; außerdem war Wolfgang Bankl wieder ein eindrucksvoller Klingsor mit starker Bühnenpräsenz.

Die Inszenierung gibt nach wie vor Rätsel auf – die psychodramatische Alltagsbewältigung, die Zerstörung des Grals und seines notwendigen, menschenverachtenden (?) Dogmas, die Fliegerbrillen der Gralsritter am Schluss, das Kindesopfer (?) im ersten Aufzug. Einiges – der Koitus zwischen Kundry und Parsifal im zweiten Aufzug – erschien schon in abgemilderter Form.

Wenn man in der Staatsoperndirektion gemeint hat, diesen „Parsifal“ auch an einem ganz gewöhnlichen Arbeits-Mittwoch voll zu bekommen (Beginn 17.00h), dann ist diese Rechnung aufgegangen. Ein wenig seltsam darf man diese Programmpolitik trotzdem finden. Aber auch ich habe es rechtzeitig aus dem Büro in die Vorstellung geschafft.

Der Jubel war groß nachher – natürlich.