PARSIFAL
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Wiener Staatsoper
17.4.2003

Dirigent: Peter Schneider

Amfortas - Franz Grundheber
Titurel - Alfred Reiter
Gurnemanz - Matti Salminen
Parsifal - Christopher Ventris
Klingsor - Wolfgang Bankl
Kundry-
Waltraud Meier


Anmerkungen zur Parsifal Aufführung vom Gründonnerstag 2003 in der Wiener Staatsoper nebst einem Nachruf auf die Everding/Rose-Inszenierung aus dem Jahre 1979 verbunden mit einer kleinen „Parsifal-Moral“ allen RegisseurInnen zum wohlmeinenden Ratschlage überbracht
(Dominik Troger)


Wien verabschiedet sich von einer „gefällig unwesentlichen“ Parsifal-Inszenierung und erwartet mit gemischten Gefühlen die kommende Neuinszenierung im Frühjahr 2004. Die Aufführung war nicht überragend, aber durchwegs ansprechend. Weiteres wird die Zukunft weisen.

[1] Gründonnerstag gab man die 66. Vorstellung dieser Produktion von August Everding und Jürgen Rose aus dem Jahr 1979. Die 67. Aufführung am Karsamstag wird definitiv die letzte gewesen sein. Die Charakteristik dieser Produktion als „gefällig unwesentlich“ stammt übrigens aus der Feder von Franz Endler, der damals noch für die „Presse“ seine Opernkritiken verfasste. Er stieß sich anlässlich der Premiere einigermaßen an dem, was er „Äußerlichkeiten“ nannte, an dem gewaltig-imposanten Einsatz der Bühnenmaschinerie und an den „Quadratkilometern Stoff“, die den Blumenmädchen ein rosa-lila-lauschiges 70er Jahr Ambiente abgaben. Damals wurde vor allem dieses Bühnenbild zum zweiten Aufzug geschmäht, dieses muschelartige Gehäuse im Hintergrund, aus dem Kundry begehrlich hervortritt, dieser Bunker ähnliche dunkle Turmbau, von dem Klingsor zu Beginn des zweiten Aufzugs seine Tiraden geifert. Für Endler hat sich Rose bei den Blumenmädchen in „Zuckerlkisten“ verloren. Der rosarote Panther hätte auch wirklich seine Freude daran gehabt. Aber heute stellt man überrascht fest, dass kaum ein Staatsopernbühnenbild dermaßen das Fluidum der 70er Jahre einfing und der Farbgebung eines damaligen Alltags huldigte, der sich da und dort noch in sehr selten gewordenen Restbeständen von aufdringlich rosarot gefärbtem Diskothekenplüsch bewahrt hat – oder in den grellorangen Tapeten einsamländlicher Frühstückspensionen. Ich habe das damals – denn auch ich bin in dieser Vorstellung am 18. März 1979 gewesen – natürlich nicht so empfunden. Der Blick für die stilistischen Feinheiten einer Epoche schärft sich ja erst im nachhinein, mit dem Verstreichen der Jahre.

[2] Imposant war der Einsatz der Bühnenmaschinerie. Wenn der „Raum zur Zeit" wurde, verschob sich die gesamte Bühnenbreite nach hinten und aus den unergründlichen Kellertiefen der Staatsoper erhob sich zu den wuchtigen Klängen der Verwandlungsmusik dieses imposante von dunkelblauem Lichte umstrahlte Kreuz, das hoch und höher wachsend fast schon an den Bühnenhimmel krachte. Endler hat das damals in seiner Premierenbesprechung wohl unter den „staunenerregeden Effekten“ subsummiert, die seiner Meinung nach „dem Verständnis des Werkes nicht dienen“. Doch für mich ist auch jetzt, 24 Jahre später, die visuelle Wirkungskraft dieses Bildes ungebrochen. Kritischer wurde damals auch der „englische Garten“ Monsalvats beäugt, der vor allem in der naturüberwucherten „Wildnis“ des dritten Aufzugs immer noch so aufgeräumt ausschaute wie ein Golfplatz.

[3] Die Publikumsreaktionen damals waren nicht ganz von der weihevollen Würde, die dem Meister selbst anlässlich von Aufführungen seines Werkes vorgeschwebt sein mag. Es gab ein heftiges Lautgefecht zwischen Befürwortern und Buhrufern. Der Zwiespalt begann ja schon bei der musikalischen Leitung: Horst Stein halten auch heute noch viele für einen der besten „Parsifal“-Dirigenten, andere halten ihn für einen der schlechtesten. Für Polarität war also gesorgt. An der Inszenierung hatte vor allem das Bühnenbild zum zweiten Akt irritiert – ansonsten war sie ja wirklich nicht dazu angetan gewesen, die Gemüter zu erhitzen.

[4] Freilich gäbe man heute manches dafür, noch einmal diese Besetzung zu hören: Karl Ridderbusch war in Sachen Gurnemanz einer der besten der mir in all den Jahren untergekommen ist; Leonie Rysanek war eine imposante, bühnenpräsente Kundry, bei deren mächtigen Ausrufen im zweiten Aufzug man allerdings immer schon ein wenig Angst haben musste, dass sie sich ins „überdramatische“ steigern könnten; Siegfried Jerusalem war damals noch ein aufstrebender Heldentenor; Walter Berry, sich langsam dem Ende der Karriere zuneigend, sang den Klingsor; Bernd Weikl, ebenfalls aufstrebend, den Amfortas. Thomas Moser, der ja später den Parsifal gesungen hat, fand man als Ersten Gralsritter, Marjana Lipovsek hatte sich unter die Blumenmädchen gemischt.

[5] Aus heutiger Sicht schätzte ich an dieser Inszenierung aber gerade das, was in dem von Endler subsummierten „gefällig unwesentlichen“ verborgen lag: dass sie sich im wesentlichen darauf beschränkt hat, die Geschichte zu erzählen, ohne mit einem dozierend in die Luft gereckten Zeigefinger dem Publikum an die Stirn zu klopfen, um ihm in vordergründig aufrüttelnder Manier einzubläuen: „So ist es gemeint!“ Everding und Rose haben damals den Mythos selbst nicht angetastet. Die in Blautönen gehaltenen Gralsszenen (begleitet von einer zugegebenermaßen etwas plumpen Chorregie) ermöglichten den Zuschauern einen widerspruchsfreien Zugang zum Mysterium dieses Bühnenweihfestspiels auf einer wertfreien Ebene – und schafften jenen Freiraum für einen religiösen Akt, der naturgemäß aus dem einzelnen selbst heraus geschehen muss. Für Wagner, der ja in seiner Konzeption stark auf antike Dramenmodelle aufsetzte, ist dieses im einzelnen stattfindende Erlösungswerk ein wesentliches Kriterium für das Gelingen seiner Kunst. Wäre es sonst anders zu verstehen, dass auch für Wagner das ruhige Verklingen des ersten Aufzugs implizierte, dass er „ohne Applaus“ geschlossen werden müsse? Parsifal ist eine heilige Handlung – ein „Bühnenweihfestspiel“ eben – und man muss sich diese Werkbezeichnung wirklich auf der Zunge zergehen lassen! Und auch wenn man boshafter Weise meinen könnte, Wagner habe sich selbiges gewissermaßen „auf den Leib geschrieben“, so muss dieser Mythos doch gelebt werden, soll er wirkungskräftig bleiben. Ein Mythos, der erklärt wird, ist tot.

[6] Ich sehe freilich schon, das man mich jetzt bezichtigen wird, hier einer gefährlichen Mythologisierung das Wort zu reden, die jeder Rationalität spottet. Aber von dieser mythologischen Decke, in die Wagner sein Werk gewickelt hat, ist ohnehin kaum mehr ein Zipfel übrig. Diesen auch noch abzuschneiden würde aus dem ganzen „Parsifal“ einen Klingsor machen, wo uns der Amfortas doch menschlich sehr viel näher steht. Demjenigen, der in der Kunst auf alles eine Antwort weiß, ist das Desinteresse des Publikums gewiss. Wagners theoretische Schriften verstauben in Bibliotheken, seine Werke zählen nach wie vor zum zugkräftigen Opernrepertoire. Man gönne also dem Publikum weiterhin diese fünf Stunden „Bühnenweihfestspiel“, an denen es sich ganz offensichtlich labt, und respektiere diesen Wunsch. Soviel in Anbetracht dessen, dass uns im nächsten Frühjahr an der Staatsoper eine Parsifal-Neuinszenierung droht.

[7] Zurück zur Gegenwart, die ja in Anbetracht dieser Inszenierung zugleich auch schon Vergangenheit ist. Die Aufführung, wahrscheinlich ohne viel Proben (wenn überhaupt) auf die Bühne gesetzt, war gut, aber nichts Außergewöhnliches. Der lange Atem des Orchesters geriet manchmal ein wenig zu lang. Waltraud Meier hat sich wegen einer leichten Verkühlung ansagen lassen, beeindruckte aber wieder durch ihr darstellerisches und sängerisches Feingefühl, mit der sie zur Wort- und Sinndeuterin wird, über alle Grenzen inszenatorischer Vermittlungsversuche hinweg. Sie kann sich dann auch stimmlich ein wenig zurückhalten (müssen), ohne dass man das als Mangel ihrer künstlerischen Ausdrucksfähigkeit empfände. Ihrem torenhaften Gegenüber, Christopher Ventris, Staatsoperndebütant, waren die Grenzen heldentenoralhaften Gesanges noch deutlich anzuhören. Sein angenehmer Tenor hat aber jene gewisse hellnaive Beimischung, die einem Parsifal gut ansteht – eine Stimme im Laubausbruch sozusagen, von der man aber noch nicht recht weiß, wie und wie weit sie sich entfalten wird. Der Gurnemanz von Matti Salminen war mir ein wenig zu „unsanft“. Seine Stimme ist mir hier, in den ätherischen Gefilden des Grals, ein wenig zu „böse“. An Franz Grundheber gab es für mich nichts auszusetzen, man wird schwerlich derzeit einen besseren Amfortas finden. Wolfgang Bankl sang den Klingsor vielleicht ein wenig zu schön und undämomisch.

[8] Die Staatsoper war ausverkauft, die Stehplätze gefüllt, der Applaus goss sich vor allem über Salminen, Meier, Grundheber aus. Auch Ventris wurde mit viel Beifall bedacht. Die paar Buhrufe, die man – neben durchaus starkem Applaus – Peter Schneider hinwarf, waren nicht nachvollziehbar. Es hat keinen Sinn Premierenmaßstäbe an eine im Repertoire mitschwimmende gründonnerstägliche Parsifal-Aufführung zu legen – obwohl es natürlich schön wäre, wenn man das guten Gewissens tun könnte.