PARSIFAL
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Wagner-Portal

Stream der Premiere
Wiener Staatsoper
18. April 2021

Musikalische Leitung - Philippe Jordan

Inszenierung, Bühne & Kostüme - Kirill Serebrennikov
Licht - Franck Evin
Ko-Regie - Evgeny Kulagin
Mitarbeit Bühne - Olga Pavluk
Mitarbeit Kostüm - Tatiana Dolmatovskaya
Video & Foto Designer - Aleksei Fokin, Yurii Karih


Amfortas - Ludovic Tézier
Gurnemanz - Georg Zeppenfeld
Parsifal - Jonas Kaufmann
Klingsor - Wolfgang Koch
Kundry - Elīna Garanča
Der damalige Parsifal (Schauspieler) - Nikolay Sidorenko
Titurel - Stefan Cerny
1. Gralsritter - Carlos Osuna
2. Gralsritter - Erik Van Heyningen
1. Knappe - Patricia Nolz
2. Knappe - Stephanie Maitland
3. Knappe - Daniel Jenz
4. Knappe - Angelo Pollak
1. Blumenmädchen/1. Gruppe - Ileana Tonca
2. Blumenmädchen/1. Gruppe - Anna Nekhames
3. Blumenmädchen/1. Gruppe - Aurora Marthens
1. Blumenmädchen/2. Gruppe - Slávka Zámečníková
2. Blumenmädchen/2. Gruppe - Joanna Kędzior
3. Blumenmädchen/2. Gruppe - Isabel Signore


„Parsifal
von Kirill Serebrennikov nach Richard Wagner
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat nach vier Jahren schon wieder einen neuen „Parsifal“ im Repertoire. Die Gralsritter leben jetzt nicht mehr in einer Irrenanstalt, sondern in einem Gefängnis. Die Aufführung wurde ohne Publikum aufgezeichnet und per arte concert bzw. vom ORF gestreamt.

Der Mehrwert der meisten Neuproduktionen ist ohnehin längst fragwürdig geworden. Immer dieselben Werke werden wie in einer Endlosschleife durch den szenischen Fleischwolf  gedreht. Was soll dabei noch viel an Substantiellem herauskommen? Aber Kirill Serebrennikov ist immerhin ehrlich genug zuzugeben, dass ihm Wagner nur als Mittel zum Zweck gedient hat. In einem Interview, das von der Staatsoper veröffentlicht wurde, sagte er: „Die wichtigsten Ideen, die ich mit Hilfe von Wagner und seiner Musik erzählen wollte, sind die Ideen von Freiheit und Mitgefühl.“ 

Es geht also gar nicht mehr um eine Auseinandersetzung mit Richard Wagners „Parsifal“, sondern dieser dient als „Hilfsmittel“, als Material für eine düstere, möglicherweise autobiographisch gefärbte Theaterarbeit des Regisseurs. Diese Theaterarbeit ist – für sich selbst betrachtet – zum Teil gelungen, die Gefängnisatmosphäre des ersten und dritten Aufzugs ist dicht, verstörend, mit manchmal fast alptraumhaften Videos garniert.  Konsequenter Weise öffnen sich im Finale die Tore dieses Bühnengefängnisses – so nach dem Motto: „Das Mitgefühl wurde gelernt, die Freiheit wurde gefunden“.  Die szenischen Peinlichkeiten des zweiten Aufzugs, der in einer Zeitschriftenredaktion spielt, belegen aber letztlich das Scheitern des Regisseurs.

Serebrennikov hat die Figur des Parsifal verdoppelt und in einen Schauspieler-Parsifal und in einen Sänger-Parsifal getrennt. Ein Stilmittel, das inzwischen inflationär gebraucht wird, und dass für die Personenregie meist mehr Nachteile als Vorteile bringt. Er hat außerdem ein retrospektives Element eingeführt: Parsifal erinnert sich an seine Jugend, an seine Zeit im Gefängnis, zieht eine Bilanz seines Lebens. Allein diese Erzählperspektive hat mit Wagners Konzeption des Werkes nichts mehr zu tun, das die spirituelle Überwältigung der Zuschauer in einer über drei Aufzüge linear entwickelten Handlung anstrebt und auf eine religiös eingefärbte Katharsis zusteuert. Ein nachforschender, bewertender Intellekt wäre dieser stark durch Emotionen geweckten Läuterung nur abträglich.

Die Geschichte, die Serebrennikov erzählt, weicht ohnehin in vielen Punkten von der Geschichte ab, die Richard Wagner erzählt hat. Nur ein paar Beispiele: Parsifal erlegt keinen Schwan, sondern begeht einen Mord. Kundry wird als Journalistin ihrer mythischen, „tiefenpsychologischen“ Schicht  entfremdet. Am Schluss des zweiten Aufzugs erschießt sie Klingsor – ein quasi emanzipatorisches, bei Wagner denkunmögliches Aufbegehren.

Die mangelnde Tiefenschärfe in der Gestaltung Kundrys ist wahrscheinlich das größte Manko dieser Theaterarbeit. Sie stellt für Parsifal keine metaphysische Herausforderung mehr dar. Es bleibt unklar, warum sich Parsifal dagegen wehrt, verführt zu werden – aber vielleicht fände er es auch zu unbequem, auf einem Besprechungstisch seine Unschuld zu verlieren? Dazu gesellt sich ein undämonischer, schmieriger Klingsor, der den Chefredakteur mimt. Er scheint Kundry vor allem auf die Nerven zu gehen. Den stärksten Eindruck hinterlässt er in der Szene, in der er mit Kundry zusammenstößt und sie dabei mit heißem Kaffee bespritzt. Aber bewegte sich nicht der ganze zweite Aufzug auf solch niederschwelligem Vorabend-Serien-Niveau?

Wagners Symbolik lässt Serebrennikov in den Tätowierungen der Gefangenen aufleben, stellt sie per Video dem Publikum immer wieder in Nahaufnahme vor die Augen. Der von Parsifal Gemordete trägt je einen tätowierten Flügel auf den beiden Schulterblättern, er spielt einen „Schwan“ mit homoerotischen Zügen, dem in Folge körperlicher Annäherung Parsifal mit einer Rasierklinge die Kehle aufschlitzt. Parsifals Nichtwissen, als er von Gurnemanz examiniert wird, passt nicht zu dieser ihn schwer vorbelastenden Tat. Serebrennikov hätte auch den Text ändern müssen – aber diesen Aufwand wollte man sich offenbar nicht antun. Gurnemanz ist dabei selbst als Tätowierer tätig, sticht seine Geschichten den Gefangenen auf die Rücken. Ein im Rahmen dieser Produktion durchaus folgerichtiger Gedanke. Die Verwandlungsmusik begleitete keine Verwandlung der Bühne, der Karfreitagszauber steckte in ein paar Blumenbuketts, das war dann doch ziemlich dürftig, was man in diesen Schlüsselszenen zu sehen bekam.

Musikalisch bot der Stream (ich folgte der Übertragung von arte concert) hohes Niveau. Aus dem Orchestergraben unter der Leitung von Philippe Jordan tönte kühle Eleganz, Metallfolien gleich, schimmernd und biegsam, ganz ohne Weihrauch – aber es war nach meinem Empfinden mehr ein „Auf-der-Stelle-treten“ als ein „Vorwärts-Schreiten“. Jonas Kaufmann hatte als Titelheld die undankbare Aufgabe, die Bühnenaktion viel zu oft seinem Schauspielerkollegen überlassen zu müssen. Er war stimmlich überzeugend, sein Tenor für den jugendlichen Toren aber eigentlich schon zu baritonal gefärbt. Sein ganzes Spiel war durch die Regie recht eindimensional festgelegt, bedeutungsvoll, aber vor allem „herumstehend“.  Kaufmann hat die Partie übrigens bereits 2013 in Wien gesungen.

Schade, dass Elina Garanca ihr Rollendebüt gerade mit dieser Produktion geben musste. Ihre Kunrdy war stimmlich präsent, wirkte aber recht kühl auf mich, von der Regie – bezogen auf den gesungenen Text – in einen falschen Charakter gedrängt. Noch ein Detail: Ihr wurde am Ende des ersten Aufzugs die Stimme aus der Höhe in den Mund gelegt. Georg Zeppenfeld sang einen schlanken, sehr wortdeutlichen Gurnemanz.  Ludovic Tézier gab einen wohlgefälligen schönstimmigen Amfortas. Wolfgang Koch ergänzte die illustre Besetzung als Klingsor – auch so ein Opfer der Inszenierung; sehr gut der Staatsopernchor in ungewohntem Bühnenambiente. Der Gesamteindruck war eher nüchterner Natur, nicht wirklich expressiv, so als hätten sich die Mitwirkenden aus diesem schwer störenden,  unaufgelösten Spannungsfeld zwischen Musik/Text vs. Szene in die abstrakte Schönheit der Musik retten wollen. Aber diese Eindrücke sind natürlich auf den Stream bezogen, mit allen Einschränkungen und Ablenkungen, die sich daraus ergeben.

Polemisches Fazit: Die Wiener Staatsoper hätte jetzt endlich passende Kulissen für ihre Produktion von „Aus einem Totenhaus“ im Fundus. Zwar um zehn (!) Jahre zu spät, aber gut Ding braucht bekanntlich Weile.