„Parsifal von Kirill Serebrennikov nach Richard Wagner“
(Dominik Troger)
Die
Wiener Staatsoper hat nach vier Jahren schon wieder einen neuen
„Parsifal“ im Repertoire. Die Gralsritter leben jetzt nicht mehr in
einer Irrenanstalt, sondern in einem Gefängnis. Die Aufführung wurde
ohne Publikum aufgezeichnet und per arte concert bzw. vom ORF gestreamt.
Der Mehrwert der meisten Neuproduktionen ist ohnehin längst fragwürdig
geworden. Immer dieselben Werke werden wie in einer Endlosschleife
durch den szenischen Fleischwolf gedreht. Was soll
dabei noch viel an Substantiellem herauskommen? Aber Kirill Serebrennikov ist immerhin ehrlich genug zuzugeben, dass ihm Wagner nur als
Mittel zum Zweck gedient hat. In einem Interview, das von
der Staatsoper veröffentlicht wurde, sagte er: „Die
wichtigsten Ideen, die ich mit Hilfe von Wagner und seiner Musik
erzählen wollte, sind die Ideen von Freiheit und Mitgefühl.“
Es geht also gar nicht mehr um eine Auseinandersetzung mit Richard
Wagners „Parsifal“, sondern dieser dient als „Hilfsmittel“, als
Material für eine düstere, möglicherweise autobiographisch gefärbte
Theaterarbeit des Regisseurs. Diese Theaterarbeit ist – für sich selbst
betrachtet – zum Teil gelungen, die Gefängnisatmosphäre des ersten und
dritten Aufzugs ist dicht, verstörend, mit manchmal fast alptraumhaften
Videos garniert. Konsequenter Weise öffnen sich im Finale die
Tore dieses Bühnengefängnisses – so nach dem Motto: „Das Mitgefühl
wurde gelernt, die Freiheit wurde gefunden“. Die szenischen
Peinlichkeiten des zweiten Aufzugs, der in einer Zeitschriftenredaktion
spielt, belegen aber letztlich das Scheitern des Regisseurs.
Serebrennikov hat die Figur des Parsifal verdoppelt und in einen
Schauspieler-Parsifal und in einen Sänger-Parsifal getrennt. Ein
Stilmittel, das inzwischen inflationär gebraucht wird, und dass für die
Personenregie meist mehr Nachteile als Vorteile bringt. Er hat
außerdem ein retrospektives Element eingeführt: Parsifal erinnert
sich an seine Jugend, an seine Zeit im Gefängnis, zieht eine Bilanz
seines Lebens. Allein diese Erzählperspektive hat mit Wagners
Konzeption des Werkes nichts mehr zu tun, das die spirituelle
Überwältigung der Zuschauer in einer über drei Aufzüge linear
entwickelten Handlung anstrebt und auf eine religiös eingefärbte Katharsis zusteuert. Ein nachforschender, bewertender
Intellekt wäre dieser stark durch Emotionen geweckten Läuterung nur
abträglich.
Die Geschichte, die Serebrennikov erzählt, weicht ohnehin in vielen
Punkten von der Geschichte ab, die Richard Wagner erzählt hat. Nur ein paar Beispiele: Parsifal
erlegt keinen Schwan, sondern begeht einen Mord. Kundry wird als
Journalistin ihrer mythischen, „tiefenpsychologischen“ Schicht
entfremdet. Am Schluss des zweiten Aufzugs erschießt sie Klingsor – ein
quasi emanzipatorisches, bei Wagner denkunmögliches Aufbegehren.
Die mangelnde Tiefenschärfe in der Gestaltung Kundrys ist
wahrscheinlich das größte Manko dieser Theaterarbeit. Sie stellt für
Parsifal keine metaphysische Herausforderung mehr dar. Es bleibt
unklar, warum sich Parsifal dagegen wehrt, verführt zu werden – aber
vielleicht fände er es auch zu unbequem, auf einem Besprechungstisch
seine Unschuld zu verlieren? Dazu gesellt sich ein undämonischer,
schmieriger Klingsor, der den Chefredakteur mimt. Er scheint Kundry vor
allem auf die Nerven zu gehen. Den stärksten Eindruck hinterlässt er in
der Szene, in der er mit Kundry zusammenstößt und sie dabei mit heißem
Kaffee bespritzt. Aber bewegte sich nicht der ganze zweite Aufzug auf
solch niederschwelligem Vorabend-Serien-Niveau?
Wagners Symbolik lässt Serebrennikov in den Tätowierungen der
Gefangenen aufleben, stellt sie per Video dem Publikum immer wieder in
Nahaufnahme vor die Augen. Der von Parsifal Gemordete trägt je einen tätowierten
Flügel auf den beiden Schulterblättern, er spielt einen „Schwan“ mit homoerotischen Zügen,
dem in Folge körperlicher Annäherung Parsifal mit einer Rasierklinge
die Kehle aufschlitzt. Parsifals Nichtwissen, als er von Gurnemanz
examiniert wird, passt nicht zu dieser ihn schwer vorbelastenden
Tat. Serebrennikov hätte auch den Text ändern müssen – aber
diesen Aufwand wollte man sich offenbar nicht antun. Gurnemanz ist dabei selbst als Tätowierer tätig, sticht seine
Geschichten den Gefangenen auf die Rücken. Ein im Rahmen dieser
Produktion durchaus folgerichtiger Gedanke. Die Verwandlungsmusik
begleitete keine Verwandlung der Bühne, der Karfreitagszauber steckte in ein paar
Blumenbuketts, das war dann doch ziemlich dürftig, was man in diesen
Schlüsselszenen zu sehen bekam.
Musikalisch bot der Stream (ich folgte der Übertragung von arte concert)
hohes Niveau. Aus dem Orchestergraben unter der Leitung von Philippe
Jordan tönte kühle Eleganz, Metallfolien gleich, schimmernd
und biegsam, ganz ohne Weihrauch – aber es war nach meinem Empfinden
mehr ein „Auf-der-Stelle-treten“ als ein „Vorwärts-Schreiten“.
Jonas Kaufmann hatte als Titelheld
die undankbare Aufgabe, die Bühnenaktion viel zu oft seinem Schauspielerkollegen
überlassen zu müssen. Er war stimmlich überzeugend, sein Tenor für den
jugendlichen Toren aber eigentlich schon zu baritonal gefärbt. Sein
ganzes Spiel war durch die Regie recht eindimensional festgelegt, bedeutungsvoll,
aber vor allem „herumstehend“. Kaufmann hat die Partie
übrigens bereits 2013 in Wien gesungen.
Schade, dass Elina Garanca ihr
Rollendebüt gerade mit dieser Produktion geben musste. Ihre Kunrdy war
stimmlich präsent, wirkte aber recht kühl auf mich, von der Regie –
bezogen auf den gesungenen Text – in einen falschen Charakter
gedrängt. Noch ein Detail: Ihr wurde am Ende des ersten Aufzugs die
Stimme aus der Höhe in den Mund gelegt. Georg
Zeppenfeld sang einen schlanken, sehr wortdeutlichen Gurnemanz.
Ludovic Tézier gab einen wohlgefälligen
schönstimmigen Amfortas. Wolfgang Koch
ergänzte die illustre Besetzung als Klingsor – auch so
ein Opfer der Inszenierung; sehr gut der Staatsopernchor in ungewohntem
Bühnenambiente. Der Gesamteindruck war eher nüchterner Natur, nicht
wirklich expressiv, so als hätten sich die Mitwirkenden aus diesem schwer
störenden, unaufgelösten Spannungsfeld zwischen Musik/Text vs.
Szene in die abstrakte Schönheit der Musik retten wollen. Aber diese
Eindrücke sind natürlich auf den Stream bezogen, mit allen Einschränkungen
und Ablenkungen, die sich daraus ergeben.
Polemisches Fazit: Die Wiener Staatsoper hätte jetzt endlich passende
Kulissen für ihre Produktion von „Aus einem Totenhaus“ im Fundus. Zwar
um zehn (!) Jahre zu spät, aber gut Ding braucht bekanntlich Weile.
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