PARSIFAL
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Wagner-Portal

Wiener Staatsoper
18. April 2019

Dirigent: Valery Gergiev

Amfortas - Thomas Johannes Mayer
Titurel - Ryan Speedo Green
Gurnemanz - René Pape
Parsifal - Simon O'Neill
Klingsor - Boaz Daniel
Kundry -
Elena Zhidkova
1. Knappe - Svetlina Stoyanoval
2. Knappe - Miriam Albano
3. Knappe - Michael Laurenz
4. Knappe - Lukhanyo Moyake
1. Gralsritter - Leonardo Navarro
2. Gralsritter - Clemens Unterreiner

Blumenmädchen 1. Gruppe -
Ileana Tonca
Olga Bezsmertna
Margaret Plummer

Blumenmädchen 2. Gruppe -
Maria Nazarova
Mariam Battistelli
Szilvia Vörös
Stimme von oben - Bongiwe Nakani


„Zwischen szenischer Parodie und musikalischer Wirklichkeit“

(Dominik Troger)

Da leuchtete es also wieder auf: das Kristallglas-Gralshirn, Markenzeichen des zwei Jahre alten Staatsopern-„Parsifals“. Und von Jugendstilengeln überwacht widmete sich Primararzt Dr. Gurnemanz erneut der Heilung seiner Patienten.

Auch die zehnte Aufführung der Inszenierung von Alvis Hermanis schwelgte in Otto-Wagner’schem-Jugendstildekor zwischen denkmalgeschützten Stadtbahnhaltestellen und der ehemaligen Krankenanstalt auf den Steinhofgründen. Die Blumenmädchen in der Prosektur, das große Plastikhirn, Parsifal in der goldenen Ritterrüstung – es empfiehlt sich nach wie vor, nur möglichst selten auf die Bühne zu schauen.

Dabei ist Dr. Gurnemanz in der Gestalt von René Pape eine medizinische Autorität ersten Ranges, trägt wortdeutlich seine Analysen vor und übt gegenüber den Kranken eine aufgeklärte, aber bestimmte Zurückhaltung, die sich ganz deren Heilung verschrieben hat. Sicher, Papé fehlte es ein wenig an der patriarchalen Derbheit jener schlachtenerprobten Gralsritter, die Parsifal nachdrücklicher zur „Gans“ wünschen. Sein Organ tönte in der tieferen Region nicht wirklich sonor, aber im weißen Kittel, von Patienten und Krankenschwestern bewundert, passte das vorzüglich.

Elena Zhidkova, an der Staatsoper in „Adriana Lecouvreur“ schon gefährliche Nebenbuhlerin Anna Netrebkos, packte auch als Kundry ihre Künste aus, mit gut fundiertem Mezzo, der schon ein bisschen etwas vom weißen Licht des Kristallglas-Gralshirns inhaliert zu haben schien. (Und man kann sich dazu die Meldungen der „Klatschspaltereien“ in den Societymedien vorstellen: „La Principessa di Bouillon hat sich in die Klinik des berühmten Neurologen und Psychoanalytikers Dr. Gurnemanz begeben”.) Für den tumben Toren Fal-parsi ist solch eine mondäne Dame natürlich eine große Gefahr, eine moderne Teufelin, die nicht mit Siedehitze männlichen Widerstand aufzuschmelzen weiß, sondern deren Unnahbarkeit eine berechnende Lüsternheit maskiert. Wenn Hermanis bei Kundry mehr an eine Hysteriestudie gedacht haben sollte, dann hat ihm Zhidkova einen wohltuenden Strich durch die Rechnung gemacht. Zugegeben, allzu große Qualen unter des Heilands Blicken zu verspüren, geziemt sich weniger für solch eine selbstbewusste Persönlichkeit.

Allerdings ist auch von einem Skandal zu berichten! Offenbar deckt Dr. Gurnemanz die Machenschaften eines Dr. Klingsor, der gerne an Leichen herumschneidet, um sie wiederzubeleben. Dr. Klingsor (in der Gestalt von Boaz Daniel) gab sich als beflissener Arbeiter vor dem Herrn Primar, und er hat stimmlich bestimmt, aber doch zu dezent seine Statements abgegeben. Dem Wundermann gelang es aber offenbar, sogenannte Blumenmädchen von den Toten zu erwecken, wahrscheinlich früh an Syphilis verstorbene Prostituierte, die, neu belebt, in dem Jüngling Fal-parsi nekrophile Gelüste erwecken sollten. Aber zum Glück ging Frau Kundry mit der Absicht dazwischen, den jungfräulichen Kerl auf ihrem eigenen Altar zu opfern. Die unterkühlte Atmosphäre weiß ausgekachelter Leichenräume hatte sich leider ein wenig auf manch blumige Stimme geschlagen.

Dass dieser Jüngling mit Pfeil und Bogen bewaffnet, plötzlich in der von Dr. Gurnemanz betreuten Krankenstation auftaucht, ist eine seltsame Geschichte. Außerdem hat er einen Schwan erlegt (oder sich nur eine verstaubte Jagdtrophäe angeeignet). Fal-parsi-Parsifal in der Gestalt von Simon O`Neill ließ einen Tenor mit einer Tendenz zur leicht nasalen Grellfärbung hören, nicht immer klangschön und mit etwas begrenztem heldentenoralem Material ausgestattet. Bleibt noch über Patienten Amfortas in der Gestalt von Thomas Johannes Mayer zu berichten, der stimmlich ein wenig müde wirkte, vielleicht vom blutigen Kopfverband und dem spastischen „Kriegszittern“ zu stark mitgenommen, das sich auch in seinen Bariton „gezogen“ hatte. Der Chor der männlichen Patienten drehte mächtig auf. Dr. Gurnemanz hat viele stimmkräftige Sänger auf der Station, mit denen sich sicher eine wunderbare Weihnachtsfeier gestalten lässt.

Was denkt sich eigentlich ein Dirigent, wenn er einen ganzen Aufzug lang ein großes weißes Plastikhirn vor sich hat, das auf der Bühne hockt? Er schaut am besten gar nicht hin. Valery Gergievs Blicke klebten bei seinem Operndebüt an der Wiener Staatsoper aber ohnehin an der Partitur, selten wandte er sich ausdrücklich der Bühne zu. Aber irgendwie schienen seine beide Hände zu genügen, die ohne große Gesten, aber mit sehr „redseligen“ Fingern, so etwas wie eine innere Motorik der „Parsifal“-Musik zu „ergreifen“ schienen: eine Bewegtheit unter dem seidigen Glanz weicher „Streicherteppiche“, wie unterirdische Strömungen unter der blankgeputzen Oberfläche blaugrün erglänzender Meeresgründe.

Das Vorspiel zum ersten Aufzug (auch wenn ihm noch ein wenig der große Bogen fehlte) ließ schon ahnen, dass ein Fest des Gehörsinns bevorstand, ausgewogen und doch gewaltig, eine Gralsburg aus Klängen und doch von einem Garten umgeben, aus dem sich dann der Karfreitagszauber ans Licht herausranken würde wie Blütenzweige strahlend weißer Lilien. Der erste Aufzug begann vom „Ruhepunkt“ des Erwachens und steigerte sich nach und nach in der Spannung, im zweiten Aufzug überzeugte vor allem der erotisierte „Psychokrieg“ zwischen Kundry und Parsifal (sowohl seitens des Orchesters als auch der beiden Darsteller), der sich in einem gewaltigen Finale entlud, und im dritten Akt drang dann diese oben beschriebene unterirdische Strömung stärker hervor, und der Abend schritt pilgerhaft dem großen Ziele zu, abseits aller szenischen Absonderlichkeiten die Erfüllung im musikalisch verströmten Gralslicht suchend.

Der starke Schlussapplaus dauerte trotzdem nur rund fünf Minuten lang. Vollmond lockte das Publikum hinaus in eine laukühle Aprilnacht.