PARSIFAL
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Wiener Staatsoper
9. April 2017

Dirigent: Semyon Bychkov

Premiere: 30. März 2017

Amfortas - Gerald Finley
Titurel - Jongmin Park
Gurnemanz - Kwangchul Youn
Parsifal - Christopher Ventris
Klingsor - Jochen Schmeckenbecher
Kundry -
Nina Stemme
1. Knappe - Ulrike Helzel
2. Knappe - Miriam Albano
3. Knappe - Thomas Ebenstein
4. Knappe - Bror Magnus Todenes
1. Gralsritter - Bendikt Kobel
2. Gralsritter - Clemens Unterreiner

Blumenmädchen 1. Gruppe -
Ileana Tonca
Olga Bezsmertna
Margaret Plummer

Blumenmädchen 2. Gruppe -
Hila Fahima
Caroline Wenborne
Ilseyar Khayrullova
Stimme von oben - Monika Bohinec


„Ein Gehirn kommt selten allein“

(Dominik Troger)

Palmsonntag mit wunderbarem Karfreitagszauber-Sonnen-Blattausbruch-Blühwetter – und die Wiener Staatsoper spielt „Parsifal“. Die vierte Aufführung der Neuinszenierung in der Regie von Alvis Hermanis stand auf dem Spielplan.

Über diese Neuproduktion ist schon viel zu lesen gewesen, nicht unbedingt das Beste. Immerhin soll sich im Laufe der Reprisen der Dirigent eines etwas flotteren Tempos befleißigt haben. Der erste Aufzug lag an diesem Abend bei rund 1:45 Stunden Spieldauer, also durchaus moderat. Die Aufführung dauerte inklusive Pausen fünfeinhalb Stunden plus ein paar Minuten.

Dirigent Semyon Bychkov entlockte dem Orchester einen wunderbaren Klang. Die Violinen wie in erotisierende, feine Seide gepackt, machten nicht nur den Karfreitagszauber zum Ereignis. Aber auch die Bläser verströmten ein helles Gralslicht, das vom Vorspiel an den ganzen Abend durchhellte. Bychkov entwickelte die Musik behutsam, trug sie auf zärtlichen Händen als wäre sie selbst der Gral, ließ sie elegisch strömen und quellen, wie aus tausenden und zehntausenden kleinen Wellen zusammengesetzt. Darüber ging allerdings die dramatische Kontur verloren und die „Weihe“ begann sich nahezu auf das ganze Werk auszubreiten, so als würde der „Parsifal“ nicht von mächtigen Gegensätzen angetrieben, von Leid und Erlösung, von Tod und Liebe, von Klingsors düsterer Zauberwelt, die um den gottesfürchtig hehren Gralstempel buhlt. Und umso schwerer wog dieses Versäumnis, weil auf der Bühne von diesen Gegensätzen ohnehin wenig zu spüren war.

Das begann schon bei der Besetzung: Die stimmlichen Qualitäten sind eine Sache – und die hätte man sich heutzutage besser kaum wünschen können – aber das Musikdrama bedarf eben auch einer starken Expressivität. Wer kann zum Beispiel die Leiden des Amfortas schon ermessen? Aber Gerald Finley hat mich erst in seiner letzten Aufwallung überzeugt – erst im Finale waren endlich jener Schmerz und jene Verzweiflung herauszuhören, die Amfortas schier in den Wahnsinn treibt. Sein Bariton klang für mich nicht wirklich kernig und mit zu wenig heldisch unterfütterter Höhe ausgestattet. Der erste Aufzug gelang sehr schön, aber emotional flach und die „Schmerzensnacht“ und die „Morgenpracht“ waren sozusagen fast ein und dasselbe. Der von der Regie verordnete blutige Kopfverband hat optisch den Eindruck nicht verbessert. Dieser Amfortas besang sein Siechtum wie ein Minnesänger seine Liebe und war insgesamt viel zu stark seinem Schicksal ergeben.

Nina Stemme, im zweiten Aufzug von der Regie in ein schweres, üppiges Kostüm mit seltsamem Kopfschmuck gesteckt, lieh der Kundry ihren schwermütigen, dunkeldurchglühten Sopran – mit wenig verführerischer Raffinesse. Müsste sich Kundry nicht mehr um Parsifal bemühen, handelt es sich doch auch um ein „emotionales Ringen“ zwischen ihr und ihm? Aber wenn einem Regisseur nicht mehr dazu einfällt, als die Projektion von abfotografierten Buchseiten in Frakturschrift, dann ist man auch als Sängerin buchstäblich allein gelassen. So wirkte Stemme auf mich viel zu introvertiert und im Ausdruck zu eindimensional. Dabei steht alles im Textbuch: „Urteufelin“ nennt Klingsor Kundry und „Höllenrose“. Man sollte also die knisternde Gefahr, die von ihr für Parsifals Unschuld ausgeht, auch noch auf der Galerie spüren können.

Der Parsifal von Christopher Ventris ist seit vielen Jahren bewährt und er hat die Partie schon oft in Wien gesungen. Die Stimme klang in der Höhe zwar hin und wieder etwas angespannt, aber sein eher helles Timbre war dem zukünftigen und erotischen Avancen widerständigen Gralskönig schon in der alten Everding-Inszenierung ein überzeugender Anwalt gewesen. Der Gurmenanz von Kwangchul Youn handelte die Sache mit viel Vibrato, aber insgesamt durchaus würdig ab. Der Klingsor von Jochen Schmeckenbecher war wenig dämonisch, woran die Inszenierung großen Anteil hatte. Yongmin Park sang aus dem Bühnenhintergrund, was akustisch nicht ideal war. Von den übrigen Mitwirkenden konnte sich noch Clemens Unterreiner als Arzt, das heißt als Zweiter Gralsritter auszeichnen. Und die Blumenmädchen, diese zum Leben erweckten Prosekturleichen, in beige Vintage-Korsette büsteformend verpackt – die hätten noch so schön singen können, es hätte diesem verunglückten zweiten Aufzug auch nicht mehr auf die Beine geholfen.

Nun kann der Schreiber dieser Zeilen ja nicht gut behaupten, der Regisseur habe Wagners „Parsifal“ nicht „behirnt“. Soviel Hirn wie in diesem Parsifal ist einem noch selten auf der Opernbühne begegnet: mal eingelegt in Spiritus, mal als großes grauweißes Plastikmonstrum, dass den dritten Aufzug überwacht – und nicht zu vergessen das Kristallglas-Gralshirn, das so hübsch aufleuchtet. Nennt man das Trash? Die Sichtweise des Regisseurs Alvis Hermanis wirkte auf mich fast kindlich unbedarft, wie eine Spielerei, die weder auf Wagners Musik zu hören scheint noch sich bemüht, den großen mystisch-symbolischen Zusammenhang des Werkes zu begreifen. Hermanis war, darauf lassen Interviews im Vorfeld der Premiere schließen, besessen vom Jugendstil-Wien der Jahrhundertwende, und besessen von dem Gedanken, die Patienten der Nervenheilanstalt Steinhof „Parsifal“ spielen zu lassen.

Durch den ersten Akt – Kundrys hysterische Gymnastik im Gitterbett mal abgezogen – laviert Hermanis noch einigermaßen nachvollziehbar, auch wenn man die durch Raumteiler bewerkstelligte, minimalistisch ausgeführte Verwandlung des Spitalsambientes zum „Gralstempel“ fast übersehen könnte. (Von der Funktion des „Wunders“ in der Bühnendramaturgie Richard Wagners haben aber viele zeitgenössische Regisseure offenbar noch nichts gehört.). Erwähnenswert ist außerdem, dass „Oberarzt“ Klingsor schon im ersten Aufzug auftaucht und Kundry samt Gitterbett davonrollt.

Der zweite Akt ist in der Prosektur angesiedelt, Klingsor schneidet an der Leiche Herzeleides herum, die Blumenmädchen erwachen als „lebende Tote“ – vor allem aber steckt der Speer in einem großen, auf Rädern montierten Gehirn, das von Klingsor Parsifal zur weiteren Überlassung vor die Füße gerollt wird. Weiß Klingsor nicht, dass sich Parsifal gleich den Speer krallen wird? Und als Höhepunkt des zweiten Aufzugs steht Kundry händeringend auf einem Prosekturwagerl!

Der dritte Aufzug spielt wieder im – um ein großes Gehirn vermehrten – Bettensaal der Irrenanstalt. Kundry ist jetzt ganz devot und Parsifal marschiert in voller „Game of Thrones“-Rüstung auf, goldpoliert und zugeklapptes Visier. Das ist ein weiterer „Leckerbissen“ surrealer Verfremdung, den Hermanis für das Publikum bereithält. Wenn später die Choristen mit Flügelhelmen auftreten, wundert man sich über gar nichts mehr. Am Schluss stirbt Amfortas, Kundry enthüllt den Gral und tritt ab. Vorsorglich schließt sie noch die Türe. Das Kristallglas-Gralshirn taucht die Bühne in weißes Licht, alle sind schon niedergekniet, selbst Parsifal, der mit der Menge der Gralsritter verschmilzt. Vielleicht sollte man Hermanis für diesen ruhigen Schluss sogar dankbar sein – nach der Gralszerstörung durch Christine Mielietz in der letzten „Parsifal“-Produktion der Staatsoper (Premiere 2004)?!

Der Schlussapplaus wird so seine sieben Minuten lange gedauert haben, er klang irgendwie nicht so ganz überzeugt. Aber wenn es zumindest eine positive Erkenntnis aus diesem Abend gibt, dann ist es diese, dass das geschmackvolle Jugendstildekor der Kulissen sehr gut mit Wagners Musik harmoniert.