DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG
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Staatsoper
12.1.2008
Musikalische Neueinstudierung

Dirigent: Christian Thielemann

Hans Sachs - Falk Struckmann
Sixtus Beckmesser - Adrian Eröd
Veit Pogner - Ain Anger
Fritz Kothner
- Wolfgang Koch
Kunz Vogelsang - Alexander Kaimbacher
Konrad Nachtigall - Marcus Pelz
Balthasar Zorn - Cosim Ifrim
Ulrich Eißlinger
- Michael Roider
Augustin Moser - Peter Jelosits
Hermann Ortel - Clemens Unterreiner
Hans Schwarz - Alfred Sramek
Hans Foltz
- Janusz Monarcha
Walther von Stolzing - Peter Seiffert
David - Norbert Ernst
Eva - Ricarda Merbeth
Magdalena - Michaela Selinger
Nachtwächter - Wolfgang Bankl

„Die Wiederentdeckung der Langsamkeit“
(Dominik Troger)

Wenig sängerfreundlich war das Hochnebelwetter der letzten Tage. Zwei krankheitsbedingte, kurzfristige Absagen mischten die Besetzungsliste auf. Doch geprägt hat den Abend vor allem eine Person: Dirigent Christian Thielemann mit eigenwilliger Virtuosität.

Thielemann bot dem Wiener Publikum eine Deutung der „Meistersinger“, die einen (inklusive der beiden Pausen & Schlussapplaus) sechs Stunden lang in Atem hielt. Es war eine Deutung fern ab ausgefahrener und „erprobter“ Wege, die das Risiko nicht scheute und die viele Details ans Licht hob, um sie neu zu entdecken und neu in ihrem dramatischen Kontext zu befragen.

Es begann mit einem hinreißend musizierten Vorspiel, das im Übergang zur Schlusssteigerung durch eine momenthafte Verzögerung atemlose Spannung erzeugte – eine Verzögerung, die die Grundthematik des Abends anschlug: die Wiederentdeckung der Langsamkeit. Dabei überließ er das Orchester nicht sich selbst, damit es sich als gemächlicher Strom die Partiturseiten entlangwälze, sondern er formte dieses „Zeitlassen“ als innere Qualität, als Momente einer Weltschau und Selbstreflexion, die um das chronikhafte der Einzelereignisse wissend (und fühlt man sich hier nicht an Sachsens „Wahnmonolog“ erinnert?) um eine Gesamtschau ringt.

Thielemann verbreitete mit seiner Interpretation keine tröstende Metaphysik (auch wenn er beispielsweise im Vorspiel zum dritten Aufzug die Streicher zu berauschenden, goldgesättigten Klangschichten ordnete, als einem kostbaren Ton-Gewebe philharmonischer Meisterschaft), sondern er betonte die Brüche durch Vorhalten überlanger Generalpausen, durch manchmal gewalttätig aufgischtende Orchesterwogen (wie Sachsens Verzweilfung im III. Aufzug) oder durch plötzlichen Tempowechsel. Es fanden sich aber genauso jeglichen Zeitgefühls enthobene Oasen, in denen impressionistisch anmutende Lautmalerein (zum Beispiel die naturraunende Sommernachtsstimmung im zweiten Aufzug) dem angeregten Gemüt Erholung boten. Das Finale fand keine Erfüllung in strahlendem Glanz pompös bewältigter Orchestermassen, sondern beunruhigte mit an die Schmerzgrenze gehenden schicksalshaft-wuchtigen Pauken- und Blechschlägen – und da schien es, als würde sich über der Festversammlung schon das Herannahen des 30-jähriges Krieges ankündigen.

Doch leider hatte das Blech keinen so guten Tag – und auch die Frage muss erlaubt sein, wie weit diese grandiose (Selbst-)Inszenierung noch mit den Interpretationswünschen der Sänger zusammenging. Das Gefühl innigen Miteinanderwirkens zwischen Bühne und Orchester stellte sich bei mir nur phasenweise ein (wobei hier auch Fragen der sängerischen Disponiertheit zu berücksichtigen wären). Falk Struckmann (Rollendebüt an der Staatsoper) wirkte als Sachs auf mich jedenfalls nicht so zwingend, wie man es in anderen Partien von ihm gewohnt ist. Das mag an der Rolle selbst liegen, bei der eine in der Tiefe fülligere Stimme nur gewinnen kann sowie an der persönlichen Ausgestaltung: einem etwas spröden Charakter, der den Sachs weder besonders väterlich noch als besonders seriösen Meister zeichnet, sondern mehr den Schuster in der Midlife-crisis herauskehrt, der ein erfülltes Leben sucht und zu verzichten lernt. Zudem blieb Struckmann trotz ökonomischer Einteilung der Kräfte im Finale ein wenig hinter den Erwartungen zurück.

Dort zeigte sich dann auch, wo Johan Bothas (er hatte kurzfristig absagen müssen) schier unerschöpfliche Tenorstimme an diesem Abend den Schlusspunkt hätte setzen können – auch wenn Peter Seiffert (Rollendebüt an der Staatsoper!) bis zum Finale einen sehr einnehmenden und bestens disponierten Stolzing sang, dem Preislied fehlte dann doch ein wenig der Überschwang und die letzte tenorale Prachtentfaltung.

Das sängerische Ereignis des Abends bot für mich Adrian Eröd als Beckmesser: ein junger, wohlgeratener Mann, karrierebewusst und intellektuell. Eröd entdeckt die sängerischen Qualitäten des Beckmessers neu, leiht ihm seine schöne Stimme, vermeidet es, die Pointen gesanglich so markant herauszustreichen wie man es gewohnt ist (und was die Figur oft in die Nähe einer Karikatur rückt) und singt all den Unsinn des „falschen Preisliedes“ so ernst in der vollen Überzeugung seines meisterhaften Vortrags, dass einen als Zuhörer die Diskrepanz zum Text, der sich Strophe für Strophe deutlicher gegen den Vortragenden richtet, erst recht bewusst wird. Mit prächtig ausgesungenem „Daß Nürnberg schusterlich blüh und wachs“ gab er in der Schusterstube Beckmessers Freude über das „gefundene“ Lied enthusiastisch und ohne Höhenprobleme Ausdruck. Auch schauspielerisch wusste er zu überzeugen und so seiner Stimme das entsprechende gestische „Outfit“ zu verpassen.

Ricarda Merbeths sang ein solides „Evchen“, aber vom Alter her war Ain Anger schwerlich als ihr Vater anzunehmen – Anger (auch Rollendebüt) sang einen mehr introvertierten, grüblerischen Pogner – und weil ich schon beim Alter bin: ob die Magdalena von Michaela Selinger als Evas Amme durchgeht, sowohl von der jugendlichen Stimmfärbung als auch von der ebenso jugendlichen Bühnenerscheinung, da habe ich doch meine Zweifel. Ihr „erster“ David – Michael Schade – hatte krankheitsbedingt absagen müssen, ihr „zweiter“ – Herwig Pecoraro – ebenso, deshalb war Norbert Ernst eingesprungen und gab sein Hausdebüt. Er machte seine Sache gut. Die Stimme passt vom Typus bestens zu dieser Partie, manchmal wirkte sie aber zu forciert. Die Meister hatten mit Wolfgang Koch einen neuen „Vorsitzenden“, der als sangesbegabter Bäcker das Regelwerk vortrug. Einprägsam wie meist: der Chor.

Abschließend noch ein paar Worte zu dieser Inszenierung, die aus den 70er-Jahren stamm, und zu der man hier ein paar Anmerkungen nachlesen kann. Sie wurde von Otto Schenk und Jürgen Rose (Bühnenbild & Kostüme) entworfen und zeugt – wie alle Schenk-Inszenierungen, die an der Staatsoper noch zu sehen sind – von einem aus Menschenerfahrung gespeisten Humanitätsideal des Regisseurs, das ohne Umwege direkt zu den Herzen der Zuschauer spricht. Möge sie noch lange der Staatsoper und ihrem Publikum erhalten bleiben.

Der begeisterte Schlussapplaus dauerte rund eine Viertelstunde lang. Thielemann wurde auch am Beginn und nach den Pausen mit starkem Beifall bedacht.