DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG
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Volksoper
23.6.2006

Dirigent: Leopold Hager


Wiederaufnahme
einer Inszenierung aus dem Jahr 1998.
Inszenierung: Christine Mielitz
Bühne: Stefan Mayer
Kostüme: Caritas de Wit

Hans Sachs - Franz Hawlata
Sixtus Beckmesser - Michael Kraus
Veit Pogner - Bjarni Thor Kristinsson
Fritz Kothner
- Klaus Kuttler
Kunz Vogelsang - Michael Kurz
Konrad Nachtigall - Sorin Coliban
Balthasar Zorn - Christian Drescher
Ulrich Eißlinger
- Karl-Michael Ebner
Augustin Moser - Kirlianit Cortes
Hermann Ortel - Wolfgang Tomsits
Hans Schwarz - Gerhard Rak
Hans Foltz
- Stefan Cerny
Walther von Stolzing - Johan Botha
David - Dietmar Kerschbaum
Eva - Barbara Havemann
Magdalena - Andrea Bönig
Nachtwächter - Markus Raab

„Gute Kondition ist gefragt“
(Dominik Troger)

Herausforderung oder Überforderung? Kurz vor Saisonschluss haben die „Meistersinger“ am Währinger Gürtel vorbei geschaut. Die Wiederaufnahme einer Produktion aus dem Jahr 1998 sorgte für sehr unterschiedliche Eindrücke.

Es war die erwartete Hitzeschlacht. Nach fast fünfeinhalb Stunden Aufführungsdauer durfte man sich als ZuschauerIn schon auf die Schulter klopfen und zur mehr oder weniger guten Kondition beglückwünschen. Den Mitwirkenden ist bei solch sommerlich-heißem Juniwetter ohnehin allerhöchster Respekt zu zollen. Die Getränke fanden reißenden Absatz, in der zweiten Pause war in den Buffets (bis auf diverse Süßigkeiten) nichts Essbares mehr aufzutreiben. Wagner macht durstig – und hungrig. Das Publikum war trotzdem in guter Stimmung, flanierte in den Pausen vor dem Haus auf und ab und ließ sich von der kollektiven Kraftanstrengung des Volksopernensembles gerne mitreißen.

Mit Johan Botha war ein Sänger aufgeboten, der schon im Alleingang das Publikum in Euphorie versetzt hätte. Der Stolzing ist derzeit Bothas beste Wagner-Partie: durch die ideale, mühelos wirkende Verschmelzung von lyrischer Romantik und heldisch-selbstbewusster Jugendlichkeit sind die Manierismen des „Meistergesanges“ bei ihm bestens aufgehoben. Botha kehrt nicht nur den jugendlich-ungestümen „Helden“ hevor, sondern findet im Preislied mit leuchtend aufgehendem Tonfall zu „traumhafter“ poetischer Entrückung – und die Personenführung von Christine Mielitz unterstützt geschickt die „Meisterwerdung“ Stolzings, der in den abgeschlossenen Kreis der Meistersinger eindringt wie ein Wesen von einem anderen Stern.

Zentrale Figur der „Meistersinger“ ist natürlich Hans Sachs. Nun gibt es in dieser Inszenierung das grundlegende Problem, dass Sachs – braune Schnürlsamthose, Hosenträger, ein Abverkaufshemd aus dem Supermarkt – aussieht wie ein am Hungertuch nagender Nebenerwerbsschuster, der seine Erfüllung als redliches Mitglied eines kleinen, diletierenden Gesangsvereins findet. Nürnbergs berühmtester Handwerker erinnert an einen sympathischen, aber nicht gerade sehr charismatischen Wohnungsnachbarn.

Franz Hawlata in der Titelpartie hat leider versucht, dieser Vorgabe vollständig zu entsprechen. Sein Sachs ging sehr weit in der Zurücknahme der „Meister-Autorität“, wirkte manchmal fast linkisch, schüchtern, unbeholfen. Bei aller (in Anbetracht der Hitze) verständlichen Ökonomie des Stimmeinsatzes, mehr textgestalterische Kreativität wäre kein Fehler gewesen. Vielleicht ist das „modern“ (und passte insofern zur Inszenierung), wenn sich der Sachs in Zurückhaltung übt und nicht auf musikalische Verführungskünste pocht. (Aber Hawlatas wenig farbenreiches, nüchtern-klingendes Timbre geht ohnehin schwer in Wagner’schem Wohlklang auf, das hat den geschilderten Eindruck nur noch verstärkt.)

Mit dem Beckmesser von Michael Kraus hatte der Sachs allerdings keinen Gegenspieler, der ihn zu besonderen Leistungen hätte anstacheln können. Das affektierte Spiel, die etwas rauhe und inhomogene Stimme, mit der er an den meisten Pointen vorbei manövrierte, nahmen den Szenen zwischen Sachs und Beckmesser viel von ihrer Wirkung.

Da haben mir Klaus Kuttler (Fritz Kothner) und Dietmar Kerschbaum (David) viel mehr imponiert. Kuttler hatte den Organisator des Gesangvereins zu mimen, ein glatter, bestimmter PR-Mann, der mit prägnant-flüssiger Eloquenz aus der Tabulatur vorlas. Dietmar Kerschbaum gab sich locker im Spiel und ließ sich im ersten Aufzug von all den „Weisen“ nicht aus der Fassung bringen. Das komische Talent von Andrea Bönig passte bestens zum David und zur Magdalena. Was das Gesangliche betrifft, wird ihr der zukünftige Bräutigam sicher noch ein paar Meistersinger-Tipps geben können. Das Evchen von Barbara Havemann erfüllte die Erwartungen, sie ist bekanntlich international tätig und längst staatsoperngeeicht. Ihr Vater, Veit Pogner (Bjarni Thor Kristinsson), agierte rollendeckend. Hingegen wäre es sehr unklug und nur enttäuschend die Orchesterleistung (Dirigent: Leopold Hager) mit Staatsopernmaßstäben messen zu wollen. Vor allem die Blechbläser müssten striktest an die Zügel genommen werden. Der Chor war präsent und einsatzfreudig.

Und die Inszenierung? Zentraler Kern ist offenbar die Vereinigung von Volk und Kunst wie sie für einen kurzen Augenblick am Schluss stattfindet, wenn das Volk die Meister umarmt (teils sehr obskure Zeitgenossen). Es wird sogar Beckmesser wieder aus dem „Off“ geholt und darf sich in die Reihe stellen – und wer dahinter vielleicht eine politische „Utopie“ vermutet, wird so falsch nicht liegen, denke ich.

Die Choreographie der Massen war eindrucksvoll, die Prügelszene mit Anspielungen an Volkstraditionen war mir schon zu überladen, wenn gleich es sich um einen ekstatischen Theaterausbruch handelt – auf seine Art ein Geniestreich. An der Festwiese störte mich der teils geschlossen Charakter, durch die auf der Drehbühne umlaufenden Bühnenwand. Das ist in der Staatsoper besser gelöst, wenn die Zünfte und Meister auf offener Bühne aus dem Hintergrund nach vorne marschieren und das Publikum als sich vergrößernde Volksmenge einschließen. Die Hebung des Orchestergrabens ist zwar ein bisschen viel Aufwand, aber im Kontext der Schlussszene ein überraschendes und zum Staunen herausforderndes Bühnenmittel, mit dem Mielitz die „klassische Theatersituation“ genauso aufbricht wie Stolzing die verbohrten Kunstanschauungen der Meistersinger.

Das abgespeckte Bühnenbild ist über weite Strecken zwar funktionell, aber außerordentlich stimmungslos. Das trübt vor allem im zweiten Aufzug stark den Kunstgenuss – und hier habe ich mir mehr als einmal das „Bühnen-Nürnberg“ der Staatsoperninszenierung zurückgewünscht. Einer großer, schon angedeuteter Schwachpunkt ist die teils d(t)eutsch-d(t)ümmliche Darstellung der Meister. Das sind wirklich seltsame Typen...

Geendet hat der Abend mit viel Applaus, das Publikum strömte sehr zufrieden in eine laue Sommernacht.