LOHENGRIN
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Wagner-Portal

Wiener Staatsoper
25. April 2014

Dirigent: Mikko Franck
Regie: Andreas Homoki
Ausstattung: Wolfgang Gussmann
Licht: Evin Franck

Heinrich der Vogler - Günther Groissböck
Lohengrin - Klaus Florian Vogt
Elsa von Brabant - Camilla Nylund
Friedrich von Telramund - Wolfgang Koch
Ortrud, seine Gemahlin - Michaela Martens
Der Heerrufer des Königs -
Detlef Roth
Vier brabantische Edle - Wolfram Igor Derntl, Daniel Lökös,
Johannes Gisser, Jens Musger
Vier Edelknaben - Kyoko Nukumi, Regina Knauer, Barbara Reiter,
Evelyn Saul


Lohengrin - vierte Vorstellung der Premierenserie
(Dominik Troger)

Die vierte Vorstellung des neuen Staatsopern-„Lohengrin“ hinterließ musikalisch einen deutlich besseren Eindruck als die Premiere. Szenisch bot der Abend durchaus spannendes Musiktheater in einem gewöhnungsbedürftigen Ambiente.

1848 hat Richard Wagner seinem „Wibelungen-Aufsatz“ den Untertitel „Weltgeschichte aus der Sage“ verliehen. „Weltgeschichte aus der Sage“, damit könnte auch die Konzeption des „Lohengrin“ überschrieben werden: Richard Wagner lässt den Gralsritter an einem ganz bestimmten und durchaus kritischen Zeitpunkt westeuropäischer Geschichte in Erscheinung treten, als übernatürliche, möglicherweise auf die Realpolitik einwirkende Kraft.

Wie wichtig Wagner der historische Kontext war, belegen zum Beispiel seine „Szenischen Vorschriften für die Aufführungen des »Lohengrin« in Weimar 1850“ in denen er sogar Baustile vermerkt hat: „Portal des Münster (byzantinisch): Stufen davor.“ Knapp, aber durchaus detailreich widmet er sich der Anordnung der Gebäude, beschreibt er die Höhenunterschiede (!) des auf der Bühne abzubildenden Terrains. Wagner fühlte sich sogar zur Anmerkung bemüßigt, dass auf der genauen Ausführung dieser Szene nach seinen Angaben bestanden werden müsse, „weil ohne dem das Plastische der Handlung unmöglich zu klarem Verständnis kommen würde.“ (Zitiert nach: Sämtliche Schriften und Dichtungen: Sechszehnter Band, S. 129. Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 6942)

Der neue Staatsopern-„Lohengrin“ ist weit davon entfernt, sich an Wagners „Vorschriften“ zu halten (ob das sinnvoll sein könnte, steht hier nicht zur Diskussion) und macht aus der „Sage“ keine „Weltgeschichte“, sondern einen Heimatroman. Durch die Trivialisierung der Wagner‘schen „Utopie“ wird die Diskrepanz zwischen ihr und diesem Dörflerstreit im „Wirtshaus zum Lohengrin“ unübersehbar. Die Neuproduktion befördert zudem eine Vermischung unterschiedlicher Stilebenen, wie sie eher für die „Nach-Wagner-Ära“ bezeichnend ist: Auch an diesem Abend ist mir mehrmals der Gedanke an Wilhelm Kienzls „Evangelimann“ aufgeblitzt, der in seiner Oper zu „Wagner-Musik“ einen „Verismo“-Stoff vertont hat. Was die Staatsoper hier szenisch als „Lohengrin“ zeigt, das ist ein „Alpenverismo“, eine Kabale und Liebe zwischen stolzen Erbhofbesitzern im 19. Jahrhundert, streitbares tiroler-bayrisches Grenzland, in dem sogar Ludwig II. in Heinrich-Maske und ein sommerfrischender Richard Wagner als „Lohengrin“ auftreten könnten.

Andreas Homokis „Konzept“ stellt die Liebesgeschichte und das Beziehungs-Quartett Lohengrin-Elsa-Telramund-Ortrud in den Mittelpunkt und spielt ein wenig ironisierend mit der nicht unpolitischen Rezeptionsgeschichte der Oper. Der Spielort – das „Wirtshaus zum Lohengrin“ – ist an für sich schon mehr ironische Distanzierung als ein geeigneter Rahmen für die Umsetzung des utopisch-politischen Gehalts dieses Werks – und wo Wagner auf der Bühne und in der Musik Heerzüge ordnet, ordnet sich in der Staatsoper das biedere Landvolk zum Bierumtrunk. Allerdings – und das soll betont werden – diese ganz andere Geschichte, die hier erzählt wird, dieser „Heimatroman“, bietet durchwegs in sich logisch nachvollziehbares Musiktheater mit einer auch psychologisch gelungenen und spannenden Aufbereitung des obgenannten Beziehungsgeflechtes.

Musikalisch verlief die vierte Aufführung flüssiger, als die sich phasenweise schon sehr zäh dahin schleppende Premiere. Mikko Franck marschierte mit dem Orchester recht „geradlinig“ durch die Partitur, die süßeren, innigeren Momente hätten mehr Ausdruck gut vertragen, auch an dynamischen Abschattierungen böte sich noch viel Potenzial. Aber insgesamt ging der Abend im Spannungsbogen gut „getimt“ über die Bühne – und die Sänger wirkten sehr motiviert und selbstsicherer als am Premierenabend.

Klaus Florian Vogt dürfte an diesem Abend seiner Stimme mehr „Körper“ zugestanden haben – und macht es nicht Sinn, mit gesanglichen Stilmitteln die Trennung der keuschen Gralswelt vom Geschehen im „realen“ Bühnenbrabant herauszustreichen? Vogts Lohengrin bietet insofern einen sehr individuellen, aber durchaus nachvollziehbaren Zugang zu dieser Rolle, auch wenn sein Tenor in Summe dann doch irgendwie limitiert scheint und mehr das Haushalten pflegt, als eine üppig-lockere Demonstration heldentenoraler Prachtentfaltung.

Wolfgang Koch sang an diesem Abend ein souveränen, sehr stark aus sich herausgehenden Telramund. Günther Groissböck spielt in dieser Produktion als König nicht die Rolle, die einem König zustehen würde – und stimmlich wird die Autorität des Königs auch nicht wirklich transportiert. Camilla Nylunds Sopran ist für die Elsa wohl zu leichtgewichtig. Auch wenn sie die Partie wieder sehr beherzt gestaltete: Die Sängerin war aus meiner Sicht schon in der Vergangenheit bei Richard Strauss viel besser aufgehoben als bei Wagner. Michaela Martens Ortrud ist mehr eine Draufgängerin, stimmlicher Feinschliff wird von ihr weniger betrieben, aber so richtiges Draufgängerinnentum scheint ihr die Stimme dann auch wieder nicht zu ermöglichen. Der losknallende Chor, von der schachtelartigten Bühnenkonstruktion unterstützt, war ein rechtschaffen markiger Heerverband. Der Heerrufer (Detlef Roth) geriet weniger markig – dass sich der Protest von Teilen des Publikums bei der Premiere gerade an Roth dermaßen fest biss, beweist allerdings, wie schlecht die Stimmung an diesem Abend im Haus gewesen sein muss.

Dass Vogt aus dem „Führer“ in seinem finalen Satz einen „Schützer“ macht, sei noch erwähnt. Offenbar handelt es sich dabei um ein politisches Statement des Sängers. Dazu eine allgemeine Anmerkung: Solch „politische Korrektheit“ wird überall dort fragwürdig, wo sie durch geschickte Retusche die kritische Prüfung historischer Quellen erschwert. Insofern ist es zu begrüßen, dass die Titelanlage der Staatsoper trotz allem den „Führer“ anzeigt und dem Publikum keine einfache und „harmonische“ Lösung anbietet.

Der Schlussapplaus hielt für alle Beteiligten einiges an Jubel bereit und dauerte rund acht Minuten lang. Auffallend waren die leeren Sitzplätze – nicht nur im Parkett. Gewiss, nur Einzelplätze, da einer und dort, im Parkett rund 30 an der Zahl, 50+ auf der Galerie. Die Mittelloge war nicht ganz gefüllt, und die Proszeniumloge, in die es mich an diesem Abend verschlagen hat, nur zur Hälfte. Aber wenn die Karten verkauft waren, dann lag ohnehin alles im grünen Bereich.