LOHENGRIN
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Wiener Staatsoper
12. April 2014
Premiere

Dirigent: Mikko Franck
Regie: Andreas Homoki
Ausstattung: Wolfgang Gussmann
Licht: Evin Franck

Heinrich der Vogler - Günther Groissböck
Lohengrin - Klaus Florian Vogt
Elsa von Brabant - Camilla Nylund
Friedrich von Telramund - Wolfgang Koch
Ortrud, seine Gemahlin - Michaela Martens
Der Heerrufer des Königs -
Detlef Roth
Vier brabantische Edle - Wolfram Igor Derntl, Daniel Lökös,
Johannes Gisser, Jens Musger
Vier Edelknaben - Krisztina Exner, Yoko Ueno, Zsuzsanna Szabó,
Arina Holecek
Vier Kammerfrauen - Secil Ilker, Martina Reder, Cornelia Sonnleithner, Karen Schubert


Psychotrauma und Gamsbartparade
(Dominik Troger)

„Lohengrin“-Premiere an der Wiener Staatsoper: Erfolg war das keiner. Das Regieteam wurde ziemlich einhellig vom Publikum mit Buhrufen bedacht. Sogar die Mehrzahl der Solisten blieb von teils starken, teils vereinzelten Missfallensäußerungen nicht verschont.

Allerdings stand dieser neue „Lohengrin“ schon vorab unter keinem „guten Stern“. Unstimmigkeiten zwischen dem Produktionsteam im Vorfeld der Aufführung endeten mit dem Ausstieg des Dirigenten Bertrand de Billy. Der Streit hat sich angeblich an einem großen Strich im Finale entzündet (nach der Gralserzählung bis zum Nahen des Schwans), den de Billy nicht befürwortet hat. Daraufhin wurde der Finne Mikko Franck zum Einspringer am Pult auserkoren. Aber hätte ursprünglich nicht Christian Thielemann diese Premiere dirigieren sollen, legte sie aber schon vor Jahren zurück, weil ihm Salzburg dazwischen kam?

Dass es sich bei diesem „Lohengrin“ um eine Koproduktion mit der Oper Zürich handelt, mag auf den ersten Blick verwundern. Aber vielleicht hat sich die Staatsoper dadurch doch etwas Geld erspart. Vor allem aber wird diese Produktion nach Zürich weitergereicht – und weil sie nächste Saison gar nicht auf dem Staatsopern-Spielplan steht, wird sie dort vielleicht auch gleich ihr Ausgedinge finden. Ob das für die Direktion des Hauses eine günstige Konstellation ist, wird sich zeigen, doch womöglich lässt sich auf diese Weise die künstlerische Verantwortung für diesen neuen „Lohengrin“ ein bisschen „abschieben“. Aber sollten in der Direktionsetage der Staatsoper nicht schon längst die Alarmglocken schrillen? Die wirklich erfolgreichen Neuproduktionen der Ära Meyer lassen sich an einer Hand abzählen. Insofern ist es seitens der Direktion sehr mutig, nächste Saison mit dem „Rigoletto“ und der „Elektra“ zwei intakte und erprobte Produktionen ganz einfach wegzuschmeißen.

Die letzte Wiener „Lohengrin“-Premiere liegt noch gar nicht so lange zurück (und war zumindest musikalisch um eine Klasse besser!). Barrie Kosky, der seit einigen Jahren sehr erfolgreich in Berlin unterwegs ist, machte sich 2005 mit seiner Deutung des Werkes („blinde Elsa“) wenige Freunde im Publikum. Aber Andreas Homoki und sein Team haben im Jahr 2014 mindestens genauso viele Buhrufe ausgefasst, wie Kosky neun Jahre zuvor. Kosky hat trotz der öden Bühnenoptik, sehr dunkel, aufgehellt von neongelben Spielzeugartefakten (Schwan, kleines Münster), dem poetischen Atem von Wagners „romantischer“ Oper noch Raum gelassen, die Protagonisten nicht in einer „Bühnenschachtel“ zusammengedrängt wie Wolfgang Gussmann, der bei diesem neuen „Lohengrin“ für Andreas Homoki als Ausstatter fungiert hat.

Den ganzen „Lohengrin“ in einen alpenländischen Wirtshaussaal einzusperren ist eigentlich eine abstruse Idee – und hat zudem den Nachteil, dass die Chöre – zumindest an diesem Abend – akustisch oft viel zu laut in den Zuschauerraum „abstrahlten“. Natürlich ist davon auszugehen, dass ein Bühnenbildner heutzutage dem deutschen König keine „deutsche Gerichtseiche“ mehr spendiert, aber diese Massenszenen brauchen im wahrsten Sinne des Wortes „Luft zum Atmen“. Ähnlich ergeht es Elsa im zweiten Akt, wenn sie sich statt auf einem Söller in dieser Wirtstube wiederfindet, um sich „Kühlung“ zu verschaffen – und Telramund und Ortrud in auffälliger weißer Unterwäsche hinter umgekippten Tischen lauern. Das Ambiente passt einfach nicht – und hebelt außerdem das soziale Gefälle aus, das Wagner in dieser Szene mitgedacht hat: Elsa oben, Ortrud unten. Aber das sind Details, über die es sich eigentlich gar nicht mehr lohnt nachzudenken: Wer aus dem Lohengrin eine Gamsbartparade macht, wird für solche Anmerkungen wohl kaum empfänglich sein.

Doch halt – so einfach ist es nicht, das Verdammungsurteil über diese Produktion zu sprechen, denn Homoki hat bei der alpindörflichen Verortung seines „Lohengrin“ durchaus Konsequenz bewiesen und eine in sich geschlossene Bühnenwelt geschaffen, die rein handwerklich betrachtet trotz einiger Leerläufe in der Personen- und Chorführung recht gut funktioniert. Der seltsame Auftritt Lohengrins im weißem Unterhemd, embryonal auf dem Boden kauernd – ähnlich wird im Finale Gottfried auf dem Wirtshausboden liegen – verwies freilich auf eine ganze andere Deutung des Stoffes, vermittelte eine psychotisch-traumhafte Ebene, die auf den ersten Blick mit dem Trachtenaufmarsch nicht kompatibel schien. Homoki erzeugte dadurch eine „Pervertierung“ des Schwanenritters, vom siegreichen Helden zu einer traumatischen Phantasiegeburt, die im Rahmen dieses dörflichen Ambientes wirklich als „Wunder“ begriffen werden konnte, weil sich in dieser psychoanalysefreien Weltgegend niemand auf seine Enträtselung versteht. Den Schwanenritter bei seinem Auftritt sich als verletzliches „Menschlein“ am Boden winden zu lassen, widerspricht außerdem allen Erwartungshaltungen (und das ist „modernen“ Regisseuren natürlich besonders wichtig). Ebenso wurde das Finale umgedeutet, Elsa zeigte „Steherqualitäten“, und anstatt schwach und „entseelt“ niederzusinken, setzte sie sich und Gottfried energisch gegenüber Ortrud und der Dorfgemeinschaft als „Erben“ ein. Wird Elsa hier zu einer starken Frau, weil sie ihr Trauma bewältigt hat?

Zudem steht außer Zweifel, dass Wagners Lebens- und Wirkungsgeschichte dazu verlocken kann, die „historische Vordergründigkeit“ seiner „Opern“ entsprechend zu adaptieren: Wenn in dieser Inszenierung die Mannen ihre Bierkrüge auf die Tischplatten knallen, dann ist die Kritik am „völkisch-teutschen“ Wagner natürlich inbegriffen, und die Versammlung der kampfgerüsteten Mannen gerät zum Umtrunk eines zünftigen Traditionsvereins, der in muffigem „Oktoberfestbierdunst“ die zweifelhaften (?) Ideale eines gewissen König Heinrich hoch leben lässt. Aber sogar solche gesellschafts- und rezeptionskritischen Deutungsversuche hat die Optik der Szene platt gewalzt, und „Lohengrin“ vor allem zu einem trachtenopulenten Dorfdrama banalisiert. Und das ist der Punkt, an dem die ganze Produktion gescheitert ist, weil es dem Publikum verunmöglicht wurde, die oben angedeuteten Ideen noch ernst (!!) nehmen zu können.

Wichtige Requisiten der Neuproduktion sind ein kleiner Plastikschwan, den Elsa im ersten Aufzug wie ein Stofftier drückt, und ein Votivbild, das zwei Herzen zeigt, und die Aufschrift trägt: „Es gibt ein Glück“. Die Vorlage zu diesem Votivbild ist im Programmheft abgebildet: „Ex voto 1820“ aus Südtirol. Das Bild zierte groß den Zwischenvorhang und kleinformatig die Wand der Wirtsstube im Bühnenhintergrund. Dieses Votivbild an der Wirtshauswand wird von Ortrud im zweiten Aufzug mit einem Faustschlag durchbohrt, weil Elsa viel daran zu liegen scheint. Bei diesem martialischen Auftritt nützt Ortrud die hochzeitsgeschmückten Tische der Stube als Bühne und kickt die Blumengebinde fussballgerecht in die umstehenden verdatterten Älpler. Ortruds dunkelrotes Dirndl hob sich dabei deutlich von der Masse der DorfbewohnerInnen ab. Das Vorspiel zum ersten Aufzug zeigte auf der Bühne übrigens die Vorgeschichte, gestaltete sich aber nicht weiter auffällig.

Musikalisch war die Premiere insgesamt kein Glanzstück. Schon das leicht metallische Flirren der Violinen im Vorspiel deutete an, dass an diesem Abend Lohengrin auf keinen dunkel-betörenden, schwebenden, weichen Wiener Streicherklang gebettet werden würde, als Basis eines üppigen „romantischen“ Wagnermusizierens. (Was für die Sänger aber vielleicht sogar von Vorteil war.) Die Bläser schlugen sich zwar ausgezeichnet, aber die räumliche und klangliche Abmischung schien mir nicht immer ideal (den oft viel zu lauten Chor habe ich schon erwähnt). Auch im Spannungsaufbau blieb der Abend flach und gestaltete sich mehr knallig, als aus langen Bögen entwickelt. Die kurzfristige Umbesetzung des Dirigenten war der musikalischen Ausführung sicher nicht förderlich.

Die Sänger überzeugten – wenn überhaupt – erst ab dem zweiten Aufzug. Klaus Florian Vogt klang beim „Schwanbedanken“ stimmlich noch sehr unsicher, das besserte sich jedoch rasch. Aber Vogts sängerknabenhaft-anämische Vortragsweise war ohnehin eine Sache für sich. Dieser mit beträchtlichem und oft fast süßlich klingendem Anteil an „Kopfstimme“ in allen möglichen und „unmöglichen“ Momenten dargebrachte „Gesang“, war für meinen Geschmack nicht gerade das Nonplusultra. Dass die Stimme sich dabei als überraschend tragfähig erwies, zählt zu den Eigenheiten dieses Tenors, der auf diese Weise zumindest eindrücklich vermittelte, dass Lohengrin „von einem anderen Stern kommt“. Das ätherische Fluidum der Gralserzählung hat Vogt zwar gut herausgearbeitet, aber ein höherer Anteil an virilen Klangfarben wäre insgesamt kein Makel gewesen und hätte die emotionale Beziehung zwischen ihm und Elsa glaubwürdiger gestaltet. Mit langer, blondlockiger Haarpracht ausgestattet ist Vogt eine einnehmende Bühnenerscheinung. Aber daraus hat die Inszenierung nur sehr wenig Kapital geschlagen, weil sie das Heroische an diesem „Ritter“ kaum betont hat.

Wie Vogt den Lohengrin, so hat Camilla Nylund bereits die Elsa in Wien gesungen. Nylunds Sopran klang schon vor sechs Jahren in dieser Partie gestresst, flackerte beträchtlich und kam nicht zum Aufzublühen. Alle diese Symptome haben sich seither verstärkt. Wolfgang Koch als Telramund war dem Wiener Publikum ebenfalls schon bekannt. Koch hat das sängerische Format für die Partie, das bewies er ab dem zweiten Aufzug. Allerdings hat er den Telramund in Wien schon prägnanter im Ausdruck und kantabler im Gesang gestaltet. Ortrud drehte am Beginn des zweiten Aufzugs auf, verlor aber bald an Stimmkraft, und klang in der Auseinandersetzung mit Elsa schon deutlich schaumgebremst. Die Stimme verfügt zwar über ein passendes „Ortrud-Timbre“, erwies sich aber in der Mittellage als recht ungeschliffen. Insofern war Michaela Martens für eine Staatsopernpremiere keine erste Wahl.

Günther Groissböcks Bass ist für die Partie wohl zu schlank, ein schön gesungener Heinrich, aber mit wenig autoritärer „Fülle“ und markiger Tiefe. Wobei der König hier als Bezirksinspektor oder ähnliches auftritt und sich so jovial gibt, dass es eigentlich schon wieder passt. Stimmlich in keiner guten Verfassung war der Heerrufer von Detlef Roth, der als trachtig gekleideter Sekretär mit Aktentasche sein Hausdebüt gab. (Dass sich für diese Partie kein Sänger aus dem Ensemble gefunden hat??) Vor allem die Männerchöre klangen teils recht wuchtig und kraftvoll.

Teile des Publikums reagierten beim Schlussvorhang gnadenlos, nur bei Telramund und Lohengrin konnte ich keine Buhrufe ausnehmen, hier gab es viel Jubel. Vor allem den Hausdebütanten Roth und Martens schlug starker Unwillen entgegen. Deutliche Zustimmung, aber auch einige Missfallensäußerungen, gab es bei Nylund, Groissböck, Franck. Das Regieteam wurde heftig ausgebuht, die wenigen Bravorufer standen bei Homoki & Team auf verlorenem Posten. Die Buhs wiederholten sich teilweise sogar beim zweiten Durchgang der Einzelvorhänge.

Fazit: Es gab einmal Zeiten, da hat die Staatsoper im Repertoire und ohne viele Proben überzeugendere „Lohengrin“-Aufführungen „aus dem Ärmel geschüttelt“.


Kleine inhaltlich Anpassung 15.4.2014