LOHENGRIN
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Wiener Staatsoper
Premiere
3.12.2005

Dirigent: Semyon Bychkov

Inszenierung: Barrie Kosky
Bühnebild und Licht: Klaus Grünberg
Kostüme: Alfred Mayerhofer
Chorleitung: Ernst Dunshirn

Heinrich der Vogler - Kwangchul Youn
Lohengrin - Johan Botha
Elsa von Brabant - Soile Isokoski
Friedrich von Telramund - Falk Struckmann
Ortrud, seine Gemahlin - Janina Baechle
Der Heerrufer des Königs - Adrian Eröd
Vier brabantische Edle - Erich Wessner, Dritan Luca,
Michael Wilder, Jens Musger
Vier Edelknaben - Jung Won Han-Gallaun, Regina Knauer,
Zsuzsanna Szabó, Arina Holecek
Vier Kammerfrauen - Secil Ilker, Maria Gusenleitner,
Senta Fischer, Gabriella Bessenyei


Der Sänger SITZT
(Dominik Troger)

Das ist er also jetzt, der neue Staatsopern-Lohengrin: Die Inszenierung ist ziemlich dürftig ausgefallen, musikalisch bewegte sich der Abend auf hohem Niveau. Jubelstimmung kam bei mir keine auf.

[1] Dirigent Semyon Bychkov hat dem musikalischen Erscheinungsbild nur zwei ziemlich uniforme Aggregatzustände zugewiesen: mehr kammermusikalisch dezent und etwas antriebslos gespielt sowie ein festes, effektberechnetes, hartes Forte, das sein Heil eher im späteren Wagner findet als in einem feinstofflicheren Lohengrin-Granulat. Manches gelang überzeugend, etwa die martialischen Klänge im dritten Aufzug oder Lohengrins Ankunft im ersten Aufzug (die Bläser in ausgezeichneter Form), bei vielem reichte die Orchesterspannung aber nicht mehr aus, um dem belanglosen Bühnengeschehen „kontra“ zu geben. Während des Vorspiels kamen die schwebenden Streicher nicht zum Abheben und die wuchtig-gesetzte Steigerung gegen Ende erdrückte diese zart-sphärischen Regungen mit harscher Gewichtigkeit.

[2] Man wird derzeit kaum einen Lohengrin finden, der die Partie so perfekt und mühelos zu singen versteht wie Johan Botha. Sein kraftvolles, hellschlankes Organ ist zu vielen feinen Nuancen fähig, eigentlich so recht für einen Gralsritter, der aus einer höheren Sphäre in die Niederungen der Welt hinabsteigt. Nicht zuletzt verdankt man diesen sängerischen Ausgangsbedingungen und Bothas Einsatzfreude, dass Lohengrin in Wien ohne Striche aufgeführt wird, den zweiten Teil der Gralserzählung inbegriffen. Doch diese Perfektion hat auch ihre Schattenseite: den Hang zu einem undramatischen Phlegma im Vortrag, das ziemlich störend werden kann, wenn die Bühnensituation persönliches, zwischenmenschliches Engagement einfordert. Botha ist von Natur aus kein „dramatischer“ Sänger, er braucht die Herausforderung, es sein zu müssen. Augenscheinlich bietet diese Inszenierung dafür nicht das geeignete Umfeld. Botha wurde zudem gar nicht „ritterlich“ ausstaffiert: er trägt einen Anzug und wurde mit einer langhaarigen, zurückgekämmten, weißlichgrauen Perücke versehen. So gibt er eine sehr eigentümliche Erscheinung ab, irgendwo zwischen Phantasy-Hero und friseurwerbendem Buddha-Remake. Seine künstlerische Glaubwürdigkeit wird optisch nicht gerade gefördert.

[3] Soile Isokoski spielt eine blinde Elsa – aber sie hat die Augen dabei offen. Diese Blindheit ist grundsätzlich eine interessante Idee, die Elsas Konflikt um Lohengrins-Frageverbot verschärft. Barrie Kosky hat in Interviews darauf hingewiesen, dass es ihm vor allem um Elsa gehe und ihren als abgängig gemeldeten Bruder Gottfried. Man kann in der Blindheit zudem Elsas Trauma erkennen, das Gottfrieds Verlust ausgelöst hat. Soile Isokoski spielt und singt diese blinde Elsa ausgezeichnet, aber zugleich zieht diese Blindheit viel Energien von einer nach außen gerichteten Bühnendramatik ab. Elsas Spiel bleibt verhalten, ihren Gesang beherrscht ein zurückgenommenes Ego. Elsa lebt in ihrer Welt, die Eindrücke strömen auf sie ein, Elsa agiert vor allem passiv. Gesanglich hat Isokoski für diese Elsa viele zarte Töne gefunden, auch in der Höhe mit großer Sicherheit und Gefühl.

[4] Falk Struckmann (Telramund) und Janina Baechle (der für Agnes Baltsa eingesprungenen Zweitbesetzung als Ortrud ) zeigten am Beginn des zweiten Aufzugs, wie man spannendes Operntheater gestaltet. Struckmann setzte wieder voll auf die Donnerkraft seiner Stimme und auf seine starke Bühnenpräsenz, Baechle überraschte als energische, machtgeile Ortrud, die ihren Telramund nahezu wortwörtlich zum „Erfolg prügeln möchte“. Baechle hatte die Partie sehr gut im Griff, aber Ortrud muss phasenweise schon ziemlich forcieren. Sie ging da wohl des öfteren über ihre derzeitigen stimmlichen Grenzen. Mit wenig auffälliger Seriosität agierte der König von Kwangchul Youn. Adrian Eröd war luxuriös, ein „Heer-Sänger“, kein „Heer-Rufer“. Sehr prägnant der Chor, mächtig und mannenhaft. Da hätte sich schon ein stattliches Heer auf die Bühne stellen lassen und stattliche Ritterfräulein – wenn es denn so hätte sein sollen.

[5] Betreffend Inszenierung wurde schon einiges angedeutet. Die Farbgebung des Bühnenräume beherrschen die schwarzen Chorkostüme und ein paar neongelbe Gegenstände als Kontrast, offenbar Kindheitsrelikte Gottfrieds: wie ein Plastik-LKW, ein Plastikschwan, der dann sogar ein paar Meter über einen schwarzen Bühnentümpel schwimmt, ein großes Plastik-Knusperhäuschen, dass sich wie Kinderspielzeug auf eins und zwei in eine Kirche verwandelt (zweiter Aufzug). Mehrere Meter hohe, bürstenähnliche, schwarze Antennen imitieren einen Technokraten-Wald, manchmal drehen sie sich sogar. Nur zwei Sessel gibt es für das Brautgemach. Lohengrin und Elsa SITZEN vor einem Vorhang, der die ganze Bühnenbreite abdeckt. Sie wirken wie ein altes Ehepaar im Seniorenheim, dass sich anschweigt, seit Jahren von großer Langeweile geplagt. (In dieser Szene agierte der SITZENDE Schwanenritter ziemlich lethargisch. Er hatte Elsa überhaupt nichts zu sagen. Seltsam, in Anbetracht der unverhüllten Erotik, die hier zum Ausdruck kommen müsste, stark konterkariert von Elsas nagendem Zweifel.)

[6] Lächerlich wirkte die Gottesgerichtsszene: Lohengrin besiegt Telramund aufgrund von geistiger Fernwirkung. Er hebt beschwörend die Arme, er braucht keine Waffe. Telramund befindet sich zehn Meter schräg vor ihm und versucht einen Morgenstern zu schwingen (beide SITZEN auf eigens herangeschafften Stühlen!). Aber da packt ihn Lohengrins gequantetes Energiepaket schon im Genick und ringt ihn zu Boden. Gelungen ist die Choreographie der Chorstelle vor der Ankunft Lohengrins. Die SITZENDEN Choristen haben sich endlich von ihren schwarzen Hockern getrennt und sind vor an die Rampe gekommen. Dem Publikum wird suggeriert, der Schwan müsse in der Mittelloge auftauchen – aber nein, plötzlich SITZT Botha links im Bühnenhintergrund. Der Heerrufer SITZT, während er das „Heer ruft“, u.s.f. Die Statik, die da teilweise auf der Bühne zugegen war, würde selbst eine konzertante Aufführung schwer überboten haben.

[7] Am besten gelang der zweite Aufzug – auch von der Inszenierung, die hier sogar betreffend Personenregie ein paar dramatische Akzente setzte und eine gute Raumaufteilung für den Prozessionszug arrangierte. Dieser Zug, angeführt von weihrauchgefäßschwingenden Vogelmasken, die weiße Blumen mit eingesetzten Lichtern trugen, erzeugte eine schwermütigpoetische und zugleich surreale Stimmung – der einzige Moment der Aufführung, wo ich Koskys in einem Interview geäußerten Wunsch („Für mich wäre es ein Erfolg, wenn die Menschen sagen, meine Inszenierung wäre ihnen wie ein seltsamer Traum vorgekommen.“ pro:log, 12/05) mit gewecktem Interesse nachvollziehen konnte. Am Schluss erscheint Gottfried, als Embryo (?), in einem großen Wassertropfen, der von der Decke herabschwebt. Positiv anzumerken: das Vorspiel darf Vorspiel bleiben, es blieb uninszeniert.

[8] Die Publikumsreaktionen waren absehbar: Koskis Versuch, Wagner ahistorisch und ohne politische Kontamination als „Traumspiel“ auf die Bühne zu bringen, wurde in der vorliegenden Form von einem Teil der anwesenden Zuhörerschaft nicht goutiert, was viele Buhrufe zur Folge hatte. Ich selbst finde einiges an Koskys Ideen nach wie vor überlegenswert, auch wenn mich die Umsetzung auf der Bühne enttäuscht hat. Sänger und Dirigent wurden gefeiert.