LOHENGRIN
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Wagner-Portal

Wiener Staatsoper
20. April 2023

Dirigent: Omer Meir Wellber

Lohengrin - Piotr Beczala
Elsa von Brabant - Camilla Nylund
Friedrich von Telramund - Tomazs Koniecny
Ortrud, seine Gemahlin - Nina Stemme
Der Heerrufer des Königs - Clemens Unterreiner
Vier brabantische Edle - Wolfram Igor Derntl, Juraj Kuchar, Johannes Gisser, Jens Musger

Vier Edelknaben - Irena Krteska, Maria Isabel Segarra, Zsuzsanna Szabó, Arina Holecek


Veristische Romantik
(Dominik Troger)

Deftig geht es zu, wenn die alpenländischen Erbhofbauern und -bäuerinnen einander in die Haare geraten. Der Saal eines schmucken Dorfgasthofs wird dann schnell zum Schlachtfeld demagogischer Umtriebe und heuchlerischer Verstellung. Ob das noch etwas mit Richard Wagners „Lohengrin“ zu tun hat? Spannend war es auf jeden Fall.

Allein schon Nina Stemme im schmucken Dirndl, die bei ihrem Auftritt im ersten Aufzug gleich alle Blicke auf sich zog: Des Friesenfürsten Spross hat es in die alpenländischen Trachtenregionen des Südens verschlagen, nach Oberammergau oder nach Berchtesgaden. König Heinrich muss auch in die Irre geleitet worden sein, wenn er Brabant in der Nähe das Watzmanns vermutet – und wo wohnen nur die Dänen? (Die Dänen haben zwar Telramund zu einiger Reputation verholfen, sind aber wirklich nur eine Fußnote der Handlung.) Immerhin hat es diese Inszenierung von Andreas Homoki laut Abendzettel inzwischen auf 31 Aufführungen gebracht. Doch kommenden Sonntag schlägt ihr das letzte Stündlein – und nächste Saison wird sich die Staatsoper einen neuen „Lohengrin“ zulegen. (Wer einen Blick in die Saisonvorschau wirft, die nach der Vorstellung in den Foyers verteilt wurde bzw. im ganzen Haus gratis aufliegt, ahnt allerdings Schlimmes.)

Aber bevor ich den Faden verliere, Ortruds finale „wilde Verzückung“ (Regieanweisung Richard Wagners) wird das Publikum zu aller erst von dieser Vorstellung mit nach Hause genommen haben: Nina Stemme erfüllte Ortruds vermeintlichen Sieg mit der dunkelgereiften Glut des Götterdämmerungschen Walhallbrandes. Schon im zweiten Aufzug hat sie Elsa mit loderndem Hass bis aufs Blut gepeinigt, zwang sie Elsa beinahe in die Knie. Und nicht jede Elsa, so vermute ich, hätte diesem Sturm so fest standhalten können wie Camilla Nylund, die zwischen Selbstaufgabe und Beharrlichkeit versuchte, allen Zweifeln Herrin zu werden, wo doch Ortruds Aufbegehren wie ein Rammbock an ihre von der Liebe zu Lohengrin entflammten Herzkammern krachte.

Die feine Klinge verführerischer Psychologie hat Stemme nicht ausgepackt, die mit dieser Aufführungsserie ihr Wiener Rollendebüt als Ortrud gegeben hat. In Anbetracht ihres Gemahls wäre das auch die falsche Strategie gewesen. Dem stimmmarkigen Telramund von Tomazs Koniecny konnte Ortrud nur mit brutalem Machtanspruch entgegentreten – und diesbezüglich schenkten sich beide nichts: ein grimmiges Ehepaar mit raumfüllender gesanglicher Ausstrahlung, dem die schachtelartige Bühnenkonstruktion noch einen zusätzlichen Lautstärkeschub verpasste. Koniecnys Telramund hätte mit Leichtigkeit ganze Heerversammlungen auf freiem Feld aufwiegeln können. Mächtig, mit brachialem Forte, hat er gleich am Beginn gegenüber König Heinrich argumentiert, der im Vergleich einen viel zu blassen Lehensherrn abgab.

Die historische Stellung des deutschen Königs im Spiel der politischen Kräfte war oft genug eine „fragile“, aber Tareq Nazmi war ein darstellerisch und stimmlich zu blasser Herrscher, was seinem umtriebigen, bürokratisch gewappneten Heerrufer (Clemens Unterreiner) im Gegensatz zur hierarchischen Seinsordnung zu viel Gewicht verlieh. Insofern fehlte dieser „Lohengrin“-Aufführung das würdevolle Haupt, und somit auch ein wenig die mit ihm verknüpfte „Gottesurteilslogik“. (Was allerdings in Anbetracht der Inszenierung eigentlich nur konsequent ist, die wirklich die ganze Handlung in einem alpenländischen Gasthaussaal spielen lässt.)

Wie angemerkt, Camilla Nylunds Elsa schwankte zwischen Standhaftigkeit und Verzweiflung. Die verträumte „Magd“ des ersten Aufzugs lag ihr stimmlich schon zu fern, ist Nylund in ihrem Wagner-Repertoire doch inzwischen bei der Brünnhilde angekommen. (Diesbezüglich eifert sie der Ortrud dieses Abends nach.) Vom silbernen Straussschimmer ihres Soprans war kaum mehr etwas zu bemerken, aber was ihr an messianischer Lohengrin-Verzückung abging, stützte mit mehr abgeklärtem Erlösungsverlangen im zweiten und dritten Aufzug Elsas Widerständigkeit und Selbstbewusstsein. Dadurch wurde die Basis für spannende Auseinandersetzungen mit Ortrud und letztlich auch mit Lohengrin gelegt, als Elsa leidenschaftlich in die Falle des Frageverbots tappte.

Lässt sich aus den bisherigen Anmerkungen schließen, dass an diesem Abend nicht die geheimnisvolle Metaphysik des Grals die Geschichte vom „Lohengrin“ bestimmte, sondern vor allem stimmgetriggerte Leidenschaft? Auch der Lohengrin von Piotr Beczala suchte sein Glück nicht im Glanz überirdischer Verzückung. Seinen Tenor regierte eine bronzen getönte Mittellage, die seit seinem etwas verhaltenen Wiener Lohengrindebüt vor drei Jahren deutlich an Durchsetzungskraft gewonnen hat. Im ersten Aufzug war stimmlich phasenweise noch einige Anstrengung herauszuhören, ab dem zweiten Aufzug klang die Stimme gefestigt und verlieh dem Gralsritter eine erzerne Aura, die ihn mehr mit einer irdischen, weniger mit einer göttlichen Rüstung wappnete. Die Gralserzählung war demnach nicht das „Highlight“ des Abends, gingen ihr doch gerade diese strahlenden Töne ab, dieses Hereinleuchten einer allmächtigen, erlösungversprechenden Göttlichkeit in die trübseligen Verwirrungen irdischer Existenz. Sein Tenor dürfte insgesamt den früheren Höhenglanz mit einer zunehmenden Gewichtung der Mittellage getauscht haben. Dort allerdings ist dieser Lohengrin fest verankert und schielt wohl schon ein wenig auf den Parsifal, der sich den entrückten Glanz erst erwirbt, während er dessen Sohn als Erbteil wie selbstverständlich umstrahlen müsste.

Omar Meir Wellber am Pult stützte nun ebenfalls mehr die irdische Perspektive, zum Teil sehr flott unterwegs, ließ er erst gar kein Pathos aufkommen. Schon nach dem sich zu einem lauten, „robusten“ Höhepunkt aufschwingenden Vorspiel wusste man, dass das kein Abend verklärter „Lohengrin“-Romantik werden würde. Insofern wurden Erwartungshaltungen nicht eingelöst, was vielleicht erklärt, warum von der ersten Aufführung divergierende Publikumsreaktionen das Dirigat betreffend berichtet wurden. Für diesen, auch in den Chören zupackenden, mehr „weltlich-emotionalen“ als „romantisch-ätherischen“ „Lohengrin“ spendete das Publikum starken, rund zwölf Minuten lang währenden Beifall.

PS: Die Terrasse war wieder geöffnet. Ist sie Opernliebhabern nicht der schönste Platz von Wien?