LE VAISSEAU FANTOME / DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
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Konzerthaus
Konzertante Aufführung
1. Juni 2013

Dirigent: Marc Minkowski

Les Musiciens du Louvre Grenoble

Estonian Philharmonic Chamber Choir

Koproduktion mit dem Palazetto Bru Zane - Centre de musique romantique francaise und Les Musiciens du Louvre Grenoble

Le vaisseau fantôme (Pierre-Louis Dietsch)

Minna - Sally Matthews
Magnus - Bernard Richter
Troïl - Russell Braun
Eric - Eric Cutler
Barlow - Ugo Rabec
Scriften - Mika Karès

Der fliegende Holländer
(Pariser Urfassung) (1841)

Donald - Mika Karès
Senta - Ingela Brimberg
Georg - Eric Cutler
Mary - Marie-Ange Todorovitch
Steuermann - Bernard Richter
Der Holländer - Evgeny Nikitin

 


Geisterschiffe im Konzerthaus
(Dominik Troger)

Das Wiener Konzerthaus hat sich zu Richard Wagners 200. Geburtstag etwas Besonderes einfallen lassen: Gegeben wurde der „Fliegende Holländer“ in zweierlei Gestalt: als „Le Vaisseau fantome“ von Pierre-Louis Dietsch und eben als „Der fliegender Holländer“ von Richard Wagner.

Pierre-Louis Dietsch (1808-1865) ist dem interessierten Opernliebhaber vor allem als Fußnote zu Wagners Biographie im Gedächtnis: erstens wegen dieser „Holländer“-Parallälität, zweitens weil Dietsch 1861 die Pariser Skandal-Aufführungen des „Tannhäuser“ dirigiert hat. (Wagner bezeichnet in seiner Autobiographie Dietsch in diesem Zusammenhang wenig schmeichelhaft als „unfähig“. )

Der Komponist des „Le Vaisseau fantome“ gilt heutzutage vor allem als Verfasser von sakraler (Gebrauchs-)Musik. Er hat nur diese einzige, wenig erfolgreiche Oper komponiert – und doch ist sie, wie man nach der Aufführung im Konzerthaus sagen kann, ein ansprechendes Bühnenwerk, natürlich ganz im Stil der Zeit gehalten (Uraufführung November 1842 Paris). Wagner hat den Entwurf zu seiner Oper „Der fliegende Holländer“ (Uraufführung Dresden Jänner 1843) für 500 Franc an die Direktion der Grand Opéra verkauft, die das Sujet Dietsch zur Komposition überließ, dann aber den Stoff trotzdem vertont. „Le Vaisseau fantome“ ist eine zweiaktige Oper, die als „Appetitanreger“ vor einem Ballett gegeben wurde. Die Aufführung im Konzerthaus dauerte zwei knappe pausenlose Stunden.

Die Handlung mündet wie bei Wagner im Selbstmord, wobei sich bei Dietsch statt Senta eine Minna für den verfluchten schwedischen Seemann Troil opfert. Der Weg zu diesem Finale ist bei Dietsch aber weniger stringent als bei Wagner. Mit der Figur des Magnus kommt zudem ein recht stark herausgestrichener Verehrer Minnas ins Spiel, dem sie sich in einem langen Liebesduett Ende des ersten Bildes verspricht. Doch dann kehrt ihr Vater (der hier Barlow heißt) von einer Seereise mit Troil im Schlepptau nach Hause zurück. Minna fühlt sich gleich zu diesem rästelhaften Manne hingezogen, bei dem es sich um einen Seemann handelt, der mit einem Geisterschiff die Meere befahren muss, und löst ihre Verlobung. Magnus geht daraufhin ins Kloster. Das Schicksal fügt es allerdings im zweiten Akt, dass er Minna und Troil trauen soll. Dabei erkennt Magnus, dass Troil seinen Vater auf dem Gewissen hat. Troil wird als der verfluchte Seemann entlarvt – und von Minna erlöst. Einen Eric gibt es übrigens auch, der aber nur als Nebenfigur fungiert.

Wenn man die Werke vergleicht, dann wird schnell deutlich, dass Wagner über die weitaus stärkere „Theaterpranke“ verfügt. Wagner bringt Szenen auf die Bühne, die die Handlung geheimnisvoller und spannender machen. Wagner zeigt beispielsweise das Auftauchen des Geisterschiffes, er führt den „Holländer“ mit seinem Leiden und seiner Geschichte wirkungsvoll als Figur früh in die Handlung ein. Bei Dietsch wird der verfluchte Seemann durch Minnas Ballade am Beginn zwar einigermaßen konturiert, Troils physischer Auftritt erfolgt erst im Laufe des zweiten Bildes, und das Liebeswerben um Senta beginnt danach recht unvermittelt. Über seine „wahre Gestalt“ und sein Leiden klärt Troil das Publikum erst im zweiten Akt mit eigenen Worten auf, kurz vor der Hochzeit.

Musikalisch ist Wagner bereits dabei, seinen „Individualstil“ auszuprägen – und in diesem direkten Vergleich sticht Wagners Individualität besonders stark heraus. Dietsch hingegen schöpft ganz aus der französischen Oper seiner Zeit – aber das durchaus mit Geschick und Geschmack. Zumindest in der befeuernden Wiedergabe unter Marc Minkowski und dem Les Musiciens du Louvre Grenoble sowie dem einsatzfreudigen Ensemble wurde die Aufführung zu einem kurzweiligen Vergnügen, und als Zuhörer wurde man mit vielen Raffinessen französischer Opernkultur verwöhnt.

Besonders spannend dabei: Dietsch erwies sich in manchen Passagen fast als eine Art von „Stichwortgeber“ für Charles Gounod. Bei dem „Chanson“ von Barlow im zweiten Bild, wenn dieser Dukaten besingt und den Teufel, da lachte einem schon der Mephisto aus Gounods „Faust“ entgegen. Auch sonst gab es im „Sentiment“ der Streicher immer wieder Gounod’sche Anflüge. Die Anlage der Singstimmen hat Dietsch nach der gängigen Mode gefertigt, jagt Sopran (Minna) als Primadonna und Tenor (Magnus) als romantischen Liebhaber auch in ein paar extreme Höhen und Kabaletta-Beschleunigungsmomente, verlangt beiden Sängern alles ab – was allerdings sehr starken Effekt macht. Beeindruckende Chöre sorgen für Seemannsstimmung und Meyerbeer-Reminiszenzen, ein Gewitter für Rossini-Stil. Interessant ist im Finale, dass Dietsch die Spannung noch einmal zurücknimmt, wenn sich Minna endgültig zum Sachverhalt äußert, und nach ihrem Sprung ins Meer erfolgt der Übergang in die Apotheose recht schnell. Das Finale bei Wagner ist (in der an diesem Abend gespielten Urfassung) zwingender, auch brutaler.

Man könnte sich Dietschs Oper durchaus szenisch vorstellen – allerdings nur in erstklassiger Besetzung und mit einem im Stil so versierten Orchester wie die Les Musiciens du Louvre Grenoble. (Wichtiger wäre es allerdings, die „Hugenotten“ wieder einmal auf eine Wiener Bühne zu hieven – und eine Wiederaufnahme von „La juive“ an der Staatsoper ist ohnehin schon überfällig.)

Allerdings ist das Spiel mit „Originalklang“ gerade bei Wagner „gewöhnungsbedürftig“, auch wenn man archaische Klangfarben – etwa bei den Hörnern – schnell schätzen lernt. Die Perfektion tritt insgesamt doch ein wenig in den Hintergrund, das Spiel klingt weniger brillant. Minkowski sorgte für eine sprechende Dynamik und eine spannende Wiedergabe. Nach meinem Empfinden ist er bei Wagner aber noch nicht ganz so „zu Hause“ wie bei der französischen Oper.

Die Besetzung war teils vorzüglich. Der erste Preis geht nach meinen Geschmack an Bernard Richter – der unlängst schon im Theater an der Wien als Bénédict (Berlioz „Béartice et Bénédict“) von sich Reden machte. Richters heller Tenor kommt in diesen teils schwierigen Partien der französischen Oper, die neben Höhensicherheit vor allem auch eine geschmeidige, geschmackvolle Stimme erfordern, sehr gut zur Geltung. Seine Stimme ist hell, besitzt einen virilen strahlenden Kern mit einem Hauch von „Süße“, ideal für einen jugendlichen Liebhaber. Sie lässt sich auch kraftvoll einsetzen, ohne dabei sonderlich forciert zu wirken. Richter kam recht locker über das Orchester (wobei sich das Orchester in dieser Konzertsituation hinter ihm befand). Ein wenig gepresst klangen nur die zwei, drei Spitzentöne, die Dietsch Magnus in seine Liebesextase komponiert hat. Nach rund eineinhalb Stunden Pause wusste Richter als stimmlich eleganter Steuermann ebenso zu überzeugen.

Minna / Senta wurden von Sally Matthews und Ingela Brimberg verkörpert, beide mit starker Persönlichkeit und der Bereitschaft voll in ihre Partien einzusteigen. Das Erschrecken Sentas beispielsweise, als Daland mit dem Holländer erscheint, wurde von Brimberg mit einem packenden Aufschrei markiert. Dadurch entstand eine starke, fast szenische Wirkung. Matthews führte von den beiden Sängerinnen zwar die „feinere Klinge", trotzdem hat bei ihr das dramatische Element die „prickelnde“ Eleganz des Vortrags leicht in den Hintergrund gedrängt.

Ingela Brimberg (eine weitere schwedische Sopranistin auf Wagners Spuren), war überall dort stark, wo sie ihre dramatischen Qualitäten einbringen konnte, mit effektvollen Spitzentönen ihres eher hellen, ein wenig metallisch klingenden Organs. Mag sein, dass die Sängerin da und dort schon mit zuviel Krafteinsatz ans Werk ging, die Stimme hielt es jedenfalls aus, ohne in der Höhe deutlich grell zu färben. Die lyrischen Passagen kamen mir nicht so „klangvoll“ vor. Ihre Wirkung auf das Publikum war sehr stark, weil sie sehr emotional agierte. Sie wirkte trotz der Konzertsituation wie abwesend und in Sentas Wahn gefangen, schien die Rolle intensiv auszuleben.

Die „Holländer“ wurde von Russell Braun und Evgeny Nikitin gesungen. Brauns angerauter und etwas dunkel gefärbter Bariton war für die Rolle ideal: bedrohlich und doch von einer gewissen Erlösungssehnsucht umfangen. Braun hat 2004 den Billy Budd an der Staatsoper gesungen, war auch im Theater an der Wien schon in Produktionen zu hören gewesen.

Evgeny Nikitin steuerte den „echten“ Holländer bei. Sein etwas deklamatorischer Stil fand an diesem Abend nicht nur Freunde im Publikum, wie ich nach Ende der Vorstellung aus einigen Gesprächen heraushörte. Nikitin begann den Monolog zurückhaltend, taute auch im weiteren Verlauf des Abends nicht wirklich auf. Sein Bariton ließ eine ansprechende „Noblesse“ hören, trug aber doch nicht so füllig, wie man es sich vielleicht erwartet hätte. Im Vergleich zur „power“-gebenden Senta wurde dieser Holländer möglicherweise eine Spur zu trocken „serviert“.

Barlow (Dietsch) wurde von Ugo Rabec nicht ganz fülligem Bass als recht legerer Charakter präsentiert; Mika Kares sorgte für einen etwas sonoreren Daland, der in Wagners Urfassung noch Donald heißt. Eric Cutler sang den Eric (Dietsch) und nach der Pause den Georg (später Erik). Ein großgewachsener Tenor, den ich noch nicht beim Erik, sondern noch eher beim Eric (Dietsch) sehen würde. Der Estonian Philharmonic Chamber Choir machte seine Sache insgesamt überzeugend, kam beim „Fliegenden Holländer“ aber nicht ganz an einen „gestandenen“ Opernchor heran.

„Le Vaisseau fantome“ begann um 16:00 und bei relativ vielen leeren Plätzen. „Der fliegende Holländer“ startete um 19:30 bei sehr gut besuchtem Haus. Beide Werke wurden eifrig beklatscht. Dass der Jubel nach dem „Holländer“ den nach „Le Vaisseau fantome“ deutlich übertraf wird niemand überraschen – obwohl sich darin nicht ganz der Gesamteindruck widerspiegelte, den dieser außergewöhnliche Opernnachmittag im Konzerthaus hinterlassen hat.