DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
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Volksoper
12. März 2019

Dirigent: Marc Piollet

Daland - Andreas Mitschke
Senta - Kristiane Kaiser
Erik -
Vincent Schirrmacher
Mary -
Martina Mikelic
Steuermann -
Szabolcs Brickner
Der Holländer -
Markus Marquardt


„Zweite Vorstellung der Neuproduktion“
(Dominik Troger)

In der zweiten Vorstellung von Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ an der Volksoper ist – bis auf den Holländer und Mary – gleich das gesamte Personal „ausgewechselt“ worden. Das bot interessante Vergleichsmöglichkeiten.

Kristiane Kaiser ist seit vielen Jahren an der Volksoper engagiert, hat hier von Mozart bis Puccini viele lyrische (Koloratur-)Sopranpartien gesungen, und war jetzt zum ersten Mal am Haus in einer Wagner-Rolle zu erleben. Kaiser hat in den letzten Jahren ihr Repertoire um Wagner erweitert, etwa 2017 mit der Elisabeth in Köln. Die Sängerin hat immer mit ihrem klaren lyrischen Sopran gepunktet und mit ihre Fähigkeit, seelenvolle Rollenportraits zu gestalten (um nur ein Beispiel zu nennen: ihre feinfühlige Violetta).

Kaisers Sopran bringt für die lyrisch überhauchten Erlöserinnen Wagner’scher Vorstellungswelt gute und weniger gute Voraussetzungen mit: Auf der „Haben-Seite“ befindet sich der frische Klang ihrer beweglichen Stimme, die sich milde strahlend und nicht zu dunkel gefärbt, einen mädchenhaften, leicht romantisch-überspannten Ausdruck bewahrt hat. Die Nachteile: Die Stimme ist nicht sehr groß und sie kann in der Emphase der Leidenschaften schnell ein bisschen „flattrig“ klingen.

Kaiser begann als Senta vorsichtig, suchte die Möglichkeiten ihres Soprans nicht zu überspannen, steigerte sich im Laufe des Abends zunehmend und gestaltete das Finale mit einem gebührend aufjauchzenden Todesjubel, der in der Erlösung des grimmig-leidenden Holländers seine Bestimmung zu finden glaubt. Dieser mädchenhaft-naive Zugang hat für meinen Geschmack Senta mehr Persönlichkeit verliehen, als es der stimmkräftigeren Meagen Miller in der Premiere gelungen ist. Aber während Miller, so fürchte ich, das Los vieler Sopranistinnen zu teilen hat, die zu früh ins dramatische Fach gewechselt sind, kann man bei Kaiser noch hoffen, dass sich ihre Ausflüge ins Wagnerfach stimmschonender in Grenzen halten werden.

Vincent Schirrmacher war an diesem Abend als Jägersmann unterwegs. Schirrmacher setzte seinen Tenor schonungslos ein, drückte das „Gaspedal“ ohne mit der Wimper zu zucken bis zum Anschlag durch und jagte seine Stimme durch die Partitur. Manchmal kratzte ein Anflug von Heiserkeit die Kehle, aber dann gings gleich wieder weiter: volle Kraft voraus! Schirrmacher hat kein Problem die Volksoper mit seiner Stimme zu füllen, die Feinzeichnung lag ihm an diesem Abend weniger. Tomislav Muzek hat in der Premiere den Erik zwar nicht so kräftig, aber mit mehr Gefühl für Nuancen gesungen.

Ebenfalls neu an diesem Abend, der Daland von Andreas Mitschke. Mitschke hat in der Vergangenheit bei mir nicht immer den besten Eindruck hinterlassen, sein Bass klang oft trocken, mit mangelnder Durchsetzungskraft. Aber als Daland konnte Mitschke aus seiner langjährigen Bühnenerfahrung Vorteile ziehen. Während er stimmlich (im Gegensatz zu Stefan Cerny in der Premiere) Daland den Vortritt lassen musste, zeichnete er die Figur eine Spur differenzierter als sein Ensemblekollege.

Martina Mikelic kam an diesem Abend gut zur Geltung. Die Regie hat ohne Zweifel Mary aus dem Schatten, in dem sie meist steht, herausgehoben, aber dafür als „böse Gouvernante“ neu erfunden. Mikelic nützte jedenfalls die Chance und spielte und sang die Mary mit entsprechender Prononciertheit. (Die mutwillige Textänderung im Spinnchor, Mary zu Senta: „wenn du nicht singst“ statt „wenn du nicht spinnst“ sei auch noch erwähnt.) Der Steuermann von Szabolcs Brickner hätte sein Lied in allen Teilen flüssiger präsentieren können, JunHo You hat in der Premiere routinierter auf mich gewirkt.

Den Holländer hat wieder Markus Marquardt verköpert – er singt alle Vorstellungen der Premierenserie. Marquardt steigerte sich im Vergleich zur Premiere, sang schließlich ein bemerkenswertes Finale. Der Sänger war präsenter, auch seine angenehm timbrierte Stimme wirkte auf mich in der Höhe sicherer und durchschlagskräftiger. (Wobei er diesmal keinen Daland als Gegenüber hatte, der an Lautstärke erst einmal überboten werden wollte.) Schade, dass der Monolog wieder zu „weich“, zu „depressiv“ ausfiel. Der Holländer schlich im ersten Akt wie ein Büßer über die Bühne und sang teilweise auch so „devot“ (Vorgaben der Regie?). Sollte nicht vielmehr ein gegen sein Schicksal aufbegehrender Dämon (!) zu sehen und zu hören sein? Erlebt der Holländer im Monolog nicht den Sturm der Naturgewalten in seiner Seele? Leidet er nicht Sisyphosqualen? Schon eine akzentuiertere Betonung bedeutungstragender Worte könnte die Spannung beim Vortrag des Monologs verstärken.

Im Orchestergraben gab es wieder ein paar Unsicherheiten bei den Bläsern. Marc Piollet verstand es den Abend aber gut über die Runden zu bringen und die Dynamik zum Vorteil der Sängerinnen und Sänger dem Bühnengeschehen anzupassen. Wo es geraten schien, ließ er das Orchester deftig aufrauschen, und der Chor stand dann auch um nichts zurück. Zumindest musikalisch waren die Sturmesgewalten gegenwärtig, und so steigerte sich die Aufführung schlussendlich zu einem „griffigen“ dritten Akt. Die Einspielung des Geisterschiffchores machte wieder gute Wirkung, und die Lichtregie („Krampusrot“) schuf zumindest Ansätze von „Atmosphäre“. Das Finale, mit Senta, die in den Hintergrund abgeht, stört zumindest nicht den in dieser Produktion gegebenen Erlösungsschluss.

Fazit: Musikalisch besitzt die Produktion (natürlich abhängig von der jeweiligen Besetzung) einiges Potenzial, die Inszenierung ist der Schwachpunkt. Es gab wieder länger anhaltenden Applaus, (merklich weniger stark als bei der Premiere).

PS: Übrigens ist die Volksoper Zu-Spät-Kommenden gegenüber freundlich gesinnt. Aber es passiert auch nicht alle Abende, dass jemand, der zehn Minuten oder so zu spät kommt, gleich mal in der falschen Sitzreihe eincheckt, die Reihe fast durchwandert, aber keinen freien Platz findet, wieder zurückmarschiert, um dann von einer bereits etwas nervös gewordenen Billeteurin darauf hingewiesen zu werden, dass sich der Sitz eine Reihe weiter vorne befindet. Eine Szene, die ich – in Anlehnung an den britischen Komiker Rowan Atkinson – als „beanesk“ bezeichnen würde. Allerdings werden die Besucher, die brav zweimal kurz hintereinander aufgestanden sind, diesbezüglich wahrscheinlich anderer Meinung sein.